Ein Durchmarsch durch die Mitte

■ Die britischen Sozialdemokraten befinden sich auf ihrem Parteitag auf der Suche nach dem radikalen Kompromiß Die Probleme einer Partei, die keine Klasse repräsentieren will / Ein bißchen von allem, aber nur nicht zuviel

Aus Harrogate Rolf Paasch

Harrogate ist Klasse. In der kleinen Stadt im Herzen der nordenglischen Grafschaft Yorkshire läßt sich gut speisen(!) und wunderbar durch die blumenreichen Parkanlagen bummeln. Harrogate mit seinem neuen Kongreßgebäude liegt überdies im Zentrum Großbritanniens, genau in der Mitte zwischen London und Edinburgh, zwischen Ost und Westküste. Harrogate ist sozusagen „Mittelklasse“. Was läge da näher für die britischen Sozialdemokraten, als sich hier zu ihrem alljährlichen Parteitag zusammenzufinden. Die SDP ist nämlich die Partei jener sozialen Schicht, zu der der Rest der britischen Klassengesellschaft je nach Standort verächtlich hinauf– oder hinabschaut. In den postmodernen Plüschsesseln des schnieken Konferenzzentrums haben sich also seit Beginn dieser Woche alle diejenigen versam melt, nach deren Vorstellung die politische Erneuerung Großbritanniens durch die Mitte kommen soll. Das sieht dann so aus: Soviel Recht und Ordnung wie bei den Tories, aber soviel Bürgerrechte, wie von Labour versprochen. Ein bißchen Atomkraft, damit die Lichter nicht ausgehen, aber auch nicht zuviel - wegen der Sicherheit und Tschernobyl. Ein bißchen Abschreckung und ein bißchen Frieden. Und ein bißchen Umverteilung an den Enden, damit die Mitte so breit wird wie in Dahrendorfs Zwiebelgesellschaft und den Sozialdemokraten eine Dauerherrschaft bis ins nächste Jahrtausend beschert. Angeführt werden die in Harrogate zum Durchmarsch durch die Mitte angetretenen SDPler von David Owen. Der Ex–Doktor ist derjenige aus der vor fünf Jahren von der Labour Partei abgesprungenen Vierer–Bande, der den „Social Democrats“ heute zeigt wos langgeht. „Ein–Mann–Partei“ lautet der verächtliche Kommentar aus den anderen Parteien zu David Owens neue Parteialternative. Die SDP gewinnt zwar immer häufiger irgendwelche Nachwahlen, auf nationaler Politik– und Fernsehebene hat sie jedoch wenig Möglichkeit, sich als junge Oppositionspartei zu profilieren. Wenn die Meinungsumfragen ganz schlecht aussehen, geht Dr. Owen sogar mit seinem Freund David Steel zum Angeln. Damit der andere David daran erinnert wird, daß beide im gleichen Boot sitzen. David Steel ist nämlich Häuptling der Liberalen, eines recht undisziplinierten Haufens, der das Boot öfter mal aus dem Gleichgewicht bringt. Zum Beispiel nächste Woche auf ihrem Parteitag in Eastbourne. Dann werden die Liberalen nämlich den Ausstieg aus der Kernenergie beschließen, an dem sich die Delegierten in Harro gate am Montag gerade erfolgreich vorbeigedrückt hatten. Das rote Gewissenslämpchen der Liberalen flackert besonders stark bei dem Wort „Bombe“. Und David Owen und seine Truppe wollen nun ausgerechnet eine solche Bombe, genauer gesagt die „Euro–Bombe“. Um herauszufinden, wie eine solche aussehen könnte, hatten die beiden Davids der britischen Politik in den vergangenen Wochen und Monaten den vor England liegenden Kontinent bereist. Was vor allem David Owen nicht zuletzt wegen des in Großbritannien um sich greifenden Anti–Amerikanismus vorschwebt, ist eine Art „reaganfreier Fall–out“. Für David Owen sind die Euro– Bombe und verstärkte europäische Verteidigungsanstrengungen ein Kompromiß: zwischen der nationalen Überheblichkeit der Thatcher–Regierung, die alternde U–Atom–Flotte durch vier neue Trident–U–Boote zum Preis von ca. 12–16 Milliarden Pfund zu ersetzen, und dem einseitigen „Abrüstungswahn“ der Labour Party, die Polaris–Flotte ersatzlos zu verschrotten. David Steel und seine Liberalen haben dagegen Bedenken, ob der Kompromiß auch wirklich in der Mitte liegt. Sehr zur Erleichterung der beiden Führer stimmten die SDP–Delegierten am Montag dann einem Kompromiß über den Kompromiß zu: Die Frage der Ersetzung von Polaris bleibt offen, muß aber vor der nächsten Wahl geklärt werden. „Mal hören“, so ein Delegierter, „was die Liberalen nächste Woche dazu zu sagen haben“. Die Euro–Bombe war allerdings nicht der einzige Sprengsatz, den die Delegierten in Harrogate unter ihrer Partei ticken hörten. Da gab es am Montag noch die Debatte über die zuküntige Steuerpolitik der SDP. Voller Altruismus hatte sich ein Parteiausschuß der Umverteilung angenommen und zum Parteitag die Verabschiedung einer radikalen Verzahnung von Erleichterungen und Sozialleistungen vorgeschlagen. Den Bedürftigen sollte gegeben werden. Viel zu spät bemerkte man dann den katastrophalen Fehler in dem Umverteilungs–Vorschlag: Der Ausschuß hatte irrtümlich das eigene Mittelklassenklientel zu den Besserverdienenden gezählt, und denen sollte ja genommen werden. Zuletzt löste David Owen das Problem in gewohnt souveräner Manier. Er machte noch einmal 600 Mio. Pfund (rund 2 Mrd. DM) locker - was ja bekanntlich in der Opposition nicht schwer ist - und drückte die von der Umverteilung gefährdete Einkommensschwelle nach oben. Die Mitte ist halt gar nicht so einfach zu finden.