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Nach der Fahndung in „XY ungelöst“ stellt sich WAA–Gegener der Polizei

■ Mit Fernsehfahndung und 10.000 DM Belohnung WAA–Gegener gejagt / Betroffener stellte sich selbst den Behörden / Beschuldigung reichte für Haftbefehl nicht aus / Von Nachbarn erkannt und nicht verpfiffen

Aus Ravensburg Karl Rommel

Genau eine Woche, nachdem in der ZDF–Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ nach fünf „militanten Atomkraftgegnern“ gefahndet worden war, hat sich am vergangenen Freitag ein 24jähriger Schüler bei der Polizeiwache im württembergischen Biberach gestellt und zugegeben, einer der fünf Gesuchten zu sein. Zuvor war er von Bekannten und Nachbarn in der XY–Sendung eindeutig erkannt worden. Allerdings hatte ihn trotz der vom Bayerischen Landeskriminalamt ausgesetzten hohen Belohnung von 10.000 Mark niemand angezeigt. Dem in Ravensburg wohnhaften Mann wird vorgeworfen, am Pfingstmontag dieses Jahres in Wackersdorf am Baugelände „Wurfgeschosse, die er aus der Tasche zog“, in Richtung Baugelände geworfen zu haben. Er selbst will allerdings lediglich Dreckklumpen gegen einen Wasserwerfer geschleudert haben, weil ihm „der Gaul durchgegangen“ sei, nachdem ihm mehrere Gaspatro nen um den Kopf geflogen seien. Dies rechtfertige nicht, irgendjemand im Fernsehen zwischen Schwerverbrechern zu zeigen, meinte der Mann. Er sieht darin einen eklatanten Verstoß gegen sein Persönlichkeitsrecht. Nachdem die Biberacher Polizei den Mann vorläufig festgenommen hatte, wurde er von zwei eigens aus München angereisten LKA–Beamten ins 35 Kilometer entfernte Ravensburg überführt. Dort wurden seine Wohnung und die Wohnung seiner Eltern durchsucht. Bei der anschließenden Vernehmung durch die LKA–Beamten, die der vor wenigen Monaten eigens für die Fahndung nach WAA–Demonstranten gebildeten Arbeitsgruppe in München angehörten, interessierten sich die Fahnder hauptsächlich dafür, mit wem er in Wackersdorf gewesen sei und vor allem wer die Fahrt dorthin organisiert habe. Nach Auskunft des Stuttgarter Anwalts Franz Riedel, der den Mann vertritt, zeige die Vorgehensweise der Fahnder, daß man versuche, auch WAA–Demonstranten zu kriminalisieren, die sich im Ver gleich zu anderen mit sehr geringen Delikten belastet haben. Damit soll der gesamte Widerstand diskreditiert werden. Dafür spricht, daß die Vorwürfe, die das Bayerische Landeskriminalamt gegen den Mann in der Nacht von Freitag auf Samstag erhoben hat, offenbar nicht ausreichten, einen Haftbefehl auszustellen. In den frühen Morgenstunden des Samstag wurde der Mann wieder auf freien Fuß gesetzt. Aufgrund der hohen Belohnung und der Art der Fahndung übers Fernsehen hatte selbst der Anwalt mit einem Haftbefehl gerechnet. Als eine „bodenlose Sauerei“ bezeichnete es der Landtagsabgeordnete der Grünen Rezzo Schlauch, wie man solche Täter übers Fernsehen hetzen lasse und zum Abschuß freigebe. Wenn Mörder und Bankräuber in der gleichen Sendung mit 2.000 und 3.000 Mark gesucht würden, so sei in diesem Fall „jegliche Verhältnismäßigkeit außer acht gelassen“. Dies habe Methode bei der CSU und dem Bayerischen Landeskriminalamt und zeige „die völlig entgleiste und aus dem Ruder gelaufene Hatz einer Landtagswahl“. Schlauch, der grundsätzliche rechtliche Bedenken an der XY–Sendung hat, will jetzt überprüfen lassen ob es rechtlich haltbar ist, bei so einem Vorwurf übers Fernsehen fahnden zu lassen. „Da könnte ja jeder Ladendieb von XY gesucht werden“, erklärte Schlauch gegenüber der taz. Miltner für TV–Fahndung Köln (ap) - Für eine verstärkte Fernsehfahndung hat sich der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Karl Miltner, ausgesprochen. Dies sei wichtig, damit auch die Bevölkerung zur Mithilfe motiviert werde, sagte Miltner. Der CDU–Politiker trat weiter dafür ein, neue Kriterien in die Rasterfahndung aufzunehmen und den Sicherheitsorganen in der nächsten Legislaturperiode durch die sogenannten Begleitgesetze die „notwendigen Möglichkeiten“ zu geben. Der Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizei müsse gesetzlich sichergestellt werden.

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