Idar–Oberstein: Die Nahe wird eingesargt

■ Seit gestern kann man mit dem Auto auf der Nahe entlangrasen / Von den früheren Protesten war bei der Einweihung des Straßenstücks wenig zu spüren / Auch militärstrategische Überlegungen spielten in dem 265–Millionen–Projekt eine Rolle

Aus Idar–Oberstein Felix Kurz

Erwin Korb, CDU–Oberbürgermeister des einst malerischen Flußstädtchens Idar–Oberstein, war sauer. Bundesverkehrsminister Werner Dollinger (CSU) hatte doch glatt abgesagt. Dollinger habe es vorgezogen, so munkelte man, lieber beim Münchener Wiesn–Fest ein Faß aufzumachen als sich im rheinland–pfälzischen Idar–Oberstein bei der Einweihung eines 1.875 m langen Straßenstücks der Bundesstraße 41 zu vergnügen. Das 265 Mio. DM teure vierspurige Teilstück durch die Edelsteinmetropole hat es nämlich in und unter sich. Die Nahe, ein Flüßchen, das dem Ort seit seinem Bestehen sein idyllisches Stadtbild verlieh, ist unter der Betonstraße verschwunden. Die Nahe wurde „überbaut“, sagen die einen. Für die Kritiker des Projekts, das nach sieben langen Jahren Bauzeit nun fertiggestellt wurde, ist sie schlicht „eingesargt“ worden. Doch am Tag der Einweihung war von Protesten vergangener Jahre fast nichts mehr zu spüren. Einzig der frühere Vorsitzende der Bürgerinitiative gegen die Baumaßnahme erschien im schwarzen Cut und legte einen Kranz nieder. Die rund 6.000 Bürger/innen, die am Mittwochabend der Freigabe des Teilstücks, das eher einer Autobahn als einem städtischen Verkehrsweg gleicht, beiwohnten, interessierten sich für „derlei Fürz“ nicht. Was solls? Das Ding ist fertig. Eine ältere Frau: „Ich kann mir kaum noch vorstellen, daß hier die Nahe floß, obwohl ich sie jeden Tag 35 Jahre lang gesehen habe.“ Ein mehrtägiges Stadtfest dürfen die Idar–Obersteiner nun feiern. Der Bürgermeister der 40.000–Einwohner–Stadt, Hans– Jürgen Machwirth, hat gar eine „Aufbruchstimmung und große Zufriedenheit“ unter der Bevölkerung ausgemacht. Die große Hoffnung des als Edelsteinzentrum bekannten Ex–Nahe–Städt chens: ein spürbarer Aufschwung für die Fremdenverkehrsindustrie. Der örtliche Handel hofft ebenfalls auf Zuwachs. Jetzt, so heißt es, könnten die Bürger in der früheren Verkehrsstraße endlich in Ruhe einkaufen. Vorrang für die Fußgänger nennt das der Sprecher des rheinland–pfälzischen Wirtschaftsministers. Dagegen kann man eben heute auf der Nahe mit dem Auto rasen und parken, selbst ein Marktplatz wurde installiert. Der Verkehr „fließt endlich“ und die „fürchterliche Leidenszeit“ der Menschen in Idar–Oberstein durch den sich langsam durch den Ort quälenden Verkehrswurm von ca. 20.000 Fahrzeugen täglich, so Hans–Jürgen Machwirth ist jetzt vorbei. Seit rund drei Jahrzehnten debattierte man in der Schmuck stadt über eine Behebung der chaotischen Verkehrsverhältnisse, an denen der Durchgangsverkehr nur zu rund 20 Verursacht wurden sie vor allem durch die endlosen Militärkonvois, die sich täglich in und um Idar–Oberstein bewegen. Denn die Stadt hat neben ihrem Ruf als Schmuckzentrum auch eine wichtige Bedeutung im Konzept der NATO. Die einzige Bundeswehrartillerieschule mit ihren Lance– Raketen findet sich dort genauso wie zahlreiche amerikanische Einheiten. Gleich vier riesige Kasernen, die Hohl–, die Rilchenberg–, die Klotzberg– und die Straßburgkaserne mit mehreren tausend Soldaten prägen die Stimmung im Ort. Im benachbarten Nahbollenbach unterhalten die Amerikaner noch zwei Depots, wobei im Lager „Winterhauch“ die zweite Generation der Chemischen Waffen, die Binären Kampfstoffe, deponiert werden soll. Der knapp 15 Kilometer entfernte NATO–Truppenübungsplatz Baumholder sorgt für zusätzlichen militärischen Verkehr. So sind gerade die örtlichen Friedensgruppen der Ansicht, daß die vierspurige Nahe–Einsargung vor allem auch aus militärstrategischen Gründen ermöglicht wurde. Immerhin kann dadurch der Nachschub zur Militär–Drehscheibe Frankfurt schneller das enge Nahetal passieren. Kronzeuge der Friedensbewegung ist das Straßenbauamt Bad Kreuznach. Dieses erklärte nämlich, so konnte man 1967 bereits im Birkenfelder Heimatkalender lesen, daß „die Naheüberbauung für die Zukunft die optimale Lösung“ darstelle. Weiter hieß es damals, das Gesamtprojekt könne durch die Einsprüche der Bevölkerung nicht gestoppt werden. In diesem Gesamtprojekt habe der „militärische Auftrag Vorrang“. Derlei Überlegungen weist Bürgermeister Machwirth zurück. „Wer immer für Umweltschutz ist, muß eine solche Maßnahme“ wie in seiner Stadt begrüßen, sagt er. Zum ersten Mal seien beim Bau einer solchen Straße ihre Umweltverträglichkeit und ein zeitgemäßer Straßenbau verknüpft worden. 35.000 Qudratmeter Fläche wurden begrünt und über 100.000 Gehölze angepflanzt, und „zum ersten Mal“ könne man die „historische Schönheit der Stadt“ erkennen.