: Wiener IAEA–Kongreß tanzte den Atom–Tango
■ Die Konferenz der Internationalen Atomenergie–Behörde in Wien zeigte sich als Lobby der Atomkraft / Hohle Resolutionen werden als Erfolge gefeiert / Nur Österreich und Schweden distanzieren sich vom Atomkurs / Die wichtigsten Entscheidungen fielen in Hinterzimmern
Aus Wien Thomas Scheuer
Die zwei Dutzend bestgekleideter Herren nahmen während der Sonderkonferenz der Internationalen Atomenergie–Behörde in Wien die Belange der sogenannten „Non Governmental Organizations“ wahr, also der nicht–staatlichen Organisationen. Womit in diesem Fall ausschließlich Verbände der Atom–Lobby zu verstehen sind, etwa das Atomic Industrial Forum der USA, die European Nuclear Society, das Uranium Institute, die Canadian Nuclear Association usw. Gleich am ersten Abend bat IAEA–Generaldirektor Hans Blix die Damen–lose Runde höchstpersönlich in den „Geheimen Ratssaal“ der Wiener Hofburg, „um ihren Kommentar entgegenzunehmen“. Allein der Name des Saales war ein Programm: Nur die Begrüssungssätze des Generaldirektors konnten die Korrespondenten von Zeit und taz aufschnappen, da waren sie auch schon als Nicht–NGOs identifiziert und höflich–bestimmt hinauskomplimentiert. Das Treffen sei intern. Das Ereignis im Hinter zimmer sagt über diese erste Sonderkonferenz in der Geschichte der 113 Mitgliedsstaaten zählenden IAEA mehr aus als das dreitägige Debattenritual im TV–Spotlicht. Schließlich ging es nach Tschernobyl um Information und Informationspolitik. Zur Beratung standen zwei Konventionen über Informationsaustausch und gegenseitige Hilfe bei zukünftigen Atom–Unfällen, die eine IAEA–Expertenkonferenz im Sommer ausgearbeitet hatte. Fortsetzung auf Seite 2 Zur Gegenkonferenz siehe Seite 7 Die beiden Texte wurden am Freitagnachmittag erwartungsgemäß ohne jede Änderung von der Mehrheit der 94 vertretenen IAEA–Mitgliedsstaaten angenommen und gleich im Anschluß zur Unterzeichnung im Wintergarten der Hofburg ausgelegt. Rund 40 Länder, darunter die Atomwaffenstaaten UdSSR, USA, Großbritannien, Frankreich und China sowie die BRD, die Schweiz und Österreich, hatten ihre sofortige Unterzeichnung angekündigt. Obwohl sie Fragen der Reaktorsicherheit gar nicht beinhalten, werden Bonns Umweltminister Wallmann und sein Kanzler die beiden dünnen Vertragswerke nun wohl als Früchte ihrer Initiative herumzeigen wie der Bischof das Bildnis der Jungfrau Maria. Doch mit der von Bundeskanzler Kohl so publikumsorientiert wie gebetsmühlenartig eingeklagten weltweiten Angleichung und Erhöhung nuklearer Sicherheitsstandards oder dem Aufbau eines internationalen Nuklear–Haftungsrechts hat der Papierausfluß dieser „Reaktorsicherheitskonferenz“ überhaupt nichts zu tun. Die Konvention über gegenseitige Hilfe beinhaltet nur eine entsprechende Absichtserklärung, keine völkerrechtlich bindende Verpflichtung. Nach dem „Übereinkommen über frühzeitige Benachrichtigung bei kerntechnischen Unfällen“ hat der jeweilige Pannenstaat den anderen Ländern schnellstmöglich direkt oder via IAEA alle relevanten Daten zu übermitteln, aber auch nur dann, wenn er eine „Gefährdung“ erkennen möchte. Eröffnet wurde die Konferenz vom österreichischen Außenminister Jankowitsch, und der hatte die Mundwinkel sinken lassen: Er warnte eindringlich vor den Gefahren der Atomenergie, empfahl den „Austrian way“ zur Nachahmung (per Volksabstimmung wurde 1978 die Inbetriebnahme des einzigen Atommeilers Zwentendorf verhindert) und forderte die Forcierung alternativer Energiequellen. Doch kritische Stimmen blieben die seltene Ausnahme: Schwedens Energieministerin Bergitta Dahl kündigte den Ausstieg ihres Landes an; Luxemburg nutzte auch dieses Forum zum Protest gegen Cattenom. Die Mehrheit des Kongresses tanzte jedoch auf dem Hochglanzparkett des Festsaales in der ehemals kaiserlichen Hofburg begeistert den Atom–Tango. Es gebe keinen Weg zurück aus dem Atomzeitalter, hatte IAEA–Häuptling Hans Blix gleich nach Jankowitsch klargestellt. Auch die in der „Gruppe der 77“ zusammengeschlossenen Dritte Welt–Länder priesen die Atomkraft ungebrochen als Quelle von Fortschritt und Wohlstand gerade für ihre Regionen. Die dreitägige Tagung war eher ein diplomatisches Ritual, in deren Verlauf jedes Land eben sein Statement abgab, denn eine wirkliche Diskussion. Die Konditionen waren vorab ausgehandelt worden; nur über die Schlußresolution wurde gestern hinter den Kulissen noch verhandelt. Den Show–Charakter unterstrich die für Freitag nachmittag anberaumte Unterzeichnungszeremonie: Bonns Wallmann ließ sich nach seiner Bundestagsrede eigens zu Unterschrift und Pressekonferenz noch einmal nach Wien fliegen; der sowjetische Delegationschef Boris Shcherbina kungelte mächtig, um als Erster signieren zu dürfen. Derweil labten sich im Foyer einige Delegierte ungeniert an den kleinen Schoko– Meilerchen aus Mohrenköpfen (die hier in Wien Schwedenbomben heißen) und einem Waffelröhrchen, die „Greenpeace“ am Eingang verteilt hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen