Von der Koalitionsdebatte zum Wahlkampf

■ Die Grünen wollen Machtwechsel ohne eine Option für Bündnis oder Nicht–Bündnis / Über die Kunst, achtundzwanzig Anträge zu debattieren / Aus Nürnberg Ursel Sieber und Klaus Hartung

„Farbe bekennen“ war das Motto des Nürnberger Parteitags der Grünen. Statt Radikalität herrschten jedoch Vorsicht und Unsicherheit vor. Strittige Debatten wie um den § 218 und eine Grüne Stiftung wurden abgelehnt. Vorrangig war die Koalitionsfrage, die zu einer qualvoll langen Debatte geriet. Einig waren sich die Delegierten lediglich in ihrem Votum, die Bündnisdebatte endlich zu beenden.

Fast hat das letzte September–Wochenende noch einmal den Sommer zurückgebracht. Früh morgens schon glänzt das Kongreßzentrum der Frankenmetropole in der Sonne; kein Wölkchen am Himmel. Von außen ziert die grauen Mauern der Frankenhalle ein großes Plakat, mit der Aufschrift: Die Grünen, mit der gelben Sonne und dem Wahlkampfmotto: Farbe bekennen. Diesmal auf türkis, und nicht, wie gewohnt, auf grün. Eine neue Ästhetik kündigt sich an, setzt sich drinnen, im großen Saale fort. „Farbe bekennen“ die Grünen auch hier auf schönem türkis, daneben riesengroße Kunstwerke mit abstrakten Mustern, in leuchtenden Farben. Eine junge Partei kämpft um den Einzug ins Parlament des Herrn Strauß und die Rückkehr nach Bonn. Den bayrischen Abgeordneten im Bundestag, Axel Vogel, begrüßt eine Delegierte aus Landshut mit dem neuesten Witz. „Was machen die Grünen diesmal auf ihrer Bundesversammlung, um nicht in den Landtag zu kommen?“. Axel Vogel weiß um den ernsten Kern. „Nützen wird er nichts, nur schaden darf der Parteitag nicht“. Schaden darf er nicht. Der neuen Ästhetik entspricht ein anderer Stil. Hannover, die letzte Versammlung, ist die heimliche Gefährtin in Nürnberg, sitzt still, aber beständig zwischen den Stühlen, schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen. Hannover stand für Aufbruch, Kämpferisches, für Bestätigung der eigenen Radikalität und dem Gefühl: die Welt gehört uns. Nürnberg heißt Vorsicht, Unsicherheit, Angst, Orientierung an Wählerinnen und Wählern. Das Bedürfnis, den Parteitag nicht mit unnötigen Streitereien zu belasten, ist groß: Ein Aufrollen der §218–Debatte wird kurzer hand abgelehnt. Für und Wider einer Stiftung werden nicht behandelt. Eine Kommission soll, wie vom Bundeshauptausschuß bereits beschlossen, vorerst alles weitere richten. Rainer Trampert, einer der Vorstandssprecher, verschärft stattdessen die Angriffe auf die SPD. Wer die Rüstung mit NATO–Ideologie wolle, müsse CDU wählen, „wer dieselben Raketen mit einem selbstbewußten Kanzler in Washington will, kann die SPD wählen „ und wer ernsthaft Abrüstung wolle, müsse die Grünen wählen. Die Bündnisdebatte klingt an. Aber noch müssen die anderen Punkte abgearbeitet werden. Das Frauenstatut. Die Asyldebatte. Der Rechenschaftsbericht der Bundestagsfraktion, über den im weiteren Verlauf kein Wörtchen mehr fällt. Nur im Hintergrund sind einige Abgeordnete am Toben, weil der Bericht nicht abgestimmt worden sei und einige falsche Details enthalte. Anders ist das mit dem Rechenschaftsbericht aus Hessen. Ein leidiges Thema. Schließlich aber hat Joschka Fischer selbst den Beschluß unterstützt, der den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie in Hessen zur Koalitionsfrage erhebt. Wieder steht dem Minister ein „großer“ Auftritt bevor. Er weiß mit Leidenschaft zu reden, spürt die Stimmung gegen sich, schafft es dennoch spielend, die Delegierten zu seinen Gunsten umzustimmen, trotz seiner, in solchen Momenten gequetscht klingenden Stimme. Alle sind plötzlich im Saale, draußen ist es wie leergefegt, sie stehen an den Wänden, aus allerlei Ecken werden Buh–Rufe laut. Schließlich verabschieden sie ihren Minister mit tosendem Beifall. Dabei hat Fischer sehr deutlich gesagt, daß „das Einhalten des Zeitplans sehr sehr schwierig“ sei und er dennoch an der Koalition festhalten werde. Ursel Sieber