piwik no script img

Das holländische „Schweinesystem“ im Aufwind

■ In Holland entsteht ein Netz von Bauern und Metzgern, die ausschließlich Bio–Schweine züchten, mästen oder schlachten. Die Nachfrage bei den Verbrauchern ist so groß, daß es inzwischen an „Scharrelschweinen“ mangelt.

Venlo / Nimwegen (kontur) - Die Schweine von Bauer Leo Geelen fühlen sich sauwohl. Auf dem Hof des holländischen Landwirts in der Nähe von Venlo dürfen die Ferkel und Läufer, Säue und Eber fast alles, was sie wollen. Sämtliche Mastschweine liegen auf Stroh und können nach Herzenslust darin wühlen. Wollen sie lieber an die frische Luft, gelangen sie durch ein Loch in der Mauer hinaus in einen Pferch. Tag und Nacht steht frisches Trinkwasser bereit, und auch beim Fressen findet sich Abwechslung: Neben dem Fertigfutter gibts regelmäßig Grünes. Die Ferkel lernen die Welt auf der Wiese kennen. Während der Nachwuchs im Gras tobt, kann die Muttersau sich behaglich an einem Baum scheuern, falls es sie juckt. Bei Regen und im Winter zieht die Schweinefamilie sich in eine kleine Holzhütte zurück.(Schöne heile Schweinewelt...d.sin) Das Schweineparadies von Bauer Leo Geelen (49) ist in den Niederlanden kein Einzelfall mehr. Seit einem Jahr gibt es einen Verband, der sich für eine tiergerechte, natürliche und weitestgehend giftfreie Borstentierhaltung einsetzt. „Scharrelvarken“ nennen die Holländer ihre Bio– Schweine, auf deutsch heißt das soviel wie „Kratzschweine“. Die „Interimcomissie Scharrelvarkenscontrole“ wird getragen von Tierschützern, einer Konsumentenorganisation und Landwirtschaftsvertretern. „Bauern, die sich anschließen wollen, werden von der Komission geprüft und ihr Betrieb regelmäßig kontrolliert“, betont Johannes Roos, Inspektor des Verbandes. Scharrelschweinehalter dürfen dem Futter keine Antibiotika oder Wachstumsförderer untermischen und müssen regelmäßig Grünfutter an die Tiere geben. Pro Schwein sind Mindestgrößen für Stall– und Freilaufflächen vorgeschrieben. Die Ringelschwänze dürfen nicht kupiert, die Zähne nicht abgekniffen werden. Säue ohne Ferkel müssen in Gruppen gehalten werden, solche mit Nachwuchs einzeln mit reichlich Auslauf. Mindestens sieben Wochen lang leben die Ferkel bei ihrer Muttersau. Damit kein Bauer konventionelle Schweinchen unterschieben kann, gibts bereits früh besondere Ohrmarken. Die Landwirte kostet die alternative Schweinehaltung natürlich mehr als eine konventionelle. Deshalb bekommen sie pro Schwein umgerechnet 45 DM zusätzlich an Erlös. „Für mich lohnt sich das unterm Strich“, rechnet Bauer Geelen. Auf einem riesigen Gelände hält der erfahrene Landwirt 1.900 Bio–Schweine. Jeden Montag gehen 50 bis 60 der Borstenviecher den letzten Weg aller irdischen Hausschweine: sie werden geschlachtet. Mit einem Viehtransporter bringt Bauer Geelen die fetten Schweine zu besonderen Metzgern - den Scharrelschlachtern. Sie sind ebenfalls an die Komission angeschlossen und dürfen nur das Fleich der ehemals glücklichen Schweine verwursten. Vorteil für die Kunden: An dem großen runden Emblem bei ihrem Metzger erkennen sie, daß alle Schinken, Leberwürste und Schnitzel in diesem Laden von den natürlich gehaltenen und gesund ernährten Schweinen stammen. Etwa zehn Borstentiere lädt Bauer Geelen jede Woche allein bei Metzger Sjek Floor in Nimwegen ab, und deren Fleisch kann der junge Schlachter mühelos absetzen. Der Fettanteil beim Fleisch, das haben Untersuchungen ergeben, ist vergleichbar mit dem von konventionellen Schweinen. Doch:“Die Schnitzel schrumpfen in der Pfanne nicht so stark wie normale“, meint Metzger Floor. Und der Preis? „Durch Ausschalten des Zwischenhandels liegen unsere Schlachter im Schnitt nur geringfügig über den normalen Metzgern“, berichtet Komissions–Inspektor Roos. Die Nachfrage ist so groß, daß Bauer Geelen und seine Kollegen nicht genügend Schweine züchten und mästen können. Weitere Scharrelschweine–Halter werden gesucht; interessierte Metzger müssen bereits mangels Schweinen auf Wartelisten gesetzt werden. „Die holländischen Bauern denken eben auch konservativ“, klagt Inspektor Roos. Jetzt sollen die staatlichen Landwirtschaftsberater den Bauern die alternative Haltungsmethode empfehlen. Das erste Jahr Scharrelschweinehaltung war ein voller Erfolg. Metzger, Verbraucher und Bauern sind rundum zufrieden. Nur ein Problem bleibt noch auszufechten: die Kastration der Eber (so, so d.sin). Eigentlich wollten die Tierschützer sie verboten sehen, doch hier spielten die Metzger nicht mit. Sjek Floor: „Ich kann meinen Kunden schließlich kein Eberfleisch verkaufen, das wegen der männlichen Hormone stinkt“. Heiner Wember

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen