: Der Gipfel naht - Invasion am Eismeer
■ In Reykjavik bereitet man sich auf das Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow vor / Fehlende Hotelbetten, Telex–Leitungen, Fernsehkanäle - aber die Isländer organisieren alles / Die größte Werbung seit den Wikingern
Von Gudrun Hanneck–Kloes
Reykjavik (taz) - Eine fiebrige Geschäftigkeit ist ausgebrochen, wo man sich doch gerade zum Winterschlaf hat betten wollen. Gorbatschow und Reagan wollen sich hier, auf halber Strecke, am 11. und 12.10.86 treffen, und seit dem 30.9., als das Treffen bekanntgegeben wurde, redet ganz Reykjavik von nichts anderem. Sehr kurzfristig angesetzt, fordert das vorbereitende Gipfeltreffen die Isländer über ihre Leistungsfähigkeit hinaus. Über 3.000 Personen - Sicherheitskräfte, Begleiter und vor allem Pressemenschen aus allen Ecken der Welt - müssen untergebracht werden. Die Hotelbetten im ganzen Land während der Saison im Sommer betragen aber nur ca. 4.400. Nicht einmal die Hälfte davon befindet sich in Reykjavik und Umgebung. Privatleute bieten jetzt Zimmer an und im Hafen ankernde Kreuzfahrtschiffe sollen das Übernachtungsproblem lösen. Die isländische Fluggesellschaft hat zu einer zusätzlichen Verknappung beigetragen, indem sie Hotelplätze en gros gebucht hat. Etwa 300 Telefon– und Telexleitungen stehen zur Verfügung, ebenso zwei Fernsehkanäle. Be reits angereiste amerikanische Sender wie ABC, aber auch Reuters, haben den Löwenanteil davon in Beschlag genommen, ebenso ganze Hotelflügel, Taxiunternehmen und Restaurants gebucht. Im staatlichen isländischen Fernsehen wurde die einheimische Bevölkerung aufgerufen, an dem fraglichen Wochenende nicht außer Haus essen zu gehen, da die Restaurants überfordert seien. Und erst die Sicherheitsfrage: Island unterhält kein Militär. Aber in Keflavik, wo sich auf der NATO–Basis auch der internationale Flughafen befindet, ist eine isländische Sonderpolizeieinheit stationiert, ebenso eine amerikanische Anti–Terror–Truppe. Denen werden sowjetische und amerikanische Sicherheitskräfte zur Seite gestellt, und aus der Umgebung von Reykjavik werden Polizeieinheiten zur Verstärkung zusammengezogen. Die Ausländerpolizei prüft Einreisende verschärft, und ganz erschrocken muß ich aus den Nachrichten erfahren, daß man immer schon scharf mit Ausländern war. Schon sind die ersten T–shirts mit den Konterfeis der beiden Regierungschefs Reagan und Gorbatschow bedruckt und werden in den Andenkenläden verkauft. Diejenigen, die dort normalerweise einkaufen, Stop–over–Touristen von USA nach Good Old Europe, wurden trotz teilweise langfristiger Vorbuchung aus den Hotels in Reykjavik ausquartiert. Die isländische Regierung hat die Hotelzimmer kurzerhand beschlagnahmt. Eine in Eile durchgepeitschte Sonderverordnung schließt Schadensansprüche der Ausgebooteten (und ihrer Reise büros) aus. Wo sich zwei treffen, kann sonst scheinbar niemand sein. Das staatliche Fernsehen hat vorsichtig angekündigt, daß eine halbe Stunde Berichterstattung täglich über den Vorgipfel als Gesamtprogramm ausreichen müsse. Die Fernsehstation wird anderweitig gebraucht - das sowjetische Fernsehen braucht die Studios. Und zusätzlich sind noch ganze Fernsehteams mit ihren Stationen angereist, die der Kapazität des isländischen Fernsehens in keiner Weise nachstehen. Eine enorme Islandwerbung steht bevor. Die Bewohner dieser fast übersehenen Insel am Rande Europas rücken normalerweise nur durch Kuriositäten in die Presse: Hundeverbot in der Hauptstadt, ein Vulkanausbruch, Frauenstreiktag. Manchmal gibt es einen guten Fuß– oder Handballspieler in einer europäischen Mannschaft. Alles, was im Ausland über die Insel am Polarkreis erscheint, wird hierzulande nach zwei Gesichtspunkten ausgewertet: gute oder schlechte Islandwerbung. Bei schlechter Werbung fühlt man sich mißverstanden, als kleine Nation unnötig auf den Fuß getreten, nicht richtig beachtet .Gute Islandwerbung allerdings hebt das Selbstgefühl - auch wenn sie fast selbstverständlich erwartet wird: die Besonderheiten der „kleinen, aber nicht unbedeutenden Kulturnation im Eismeer“ wurde einmal mehr richtig erkannt. Das Treffen Reagan–Gorbatschow ist für Island eine Riesenwerbung. Daß alle organisatorischen Probleme jetzt in kürzester Zeit gelöst werden, kann das Ansehen Islands nur heben. Und in der Tat findet kaum eine Diskussion statt, in der die politische Bedeutung und Dimension - oder Bedeutungslosigkeit und Dimensionsarmut - des Treffens Thema wäre. Vielleicht folgen bessere Absatzmöglichkeiten für Fisch (ca. 75 Prozent des Gesamtexports), mit Sicherheit aber eine Touristeninvasion in die urtümliche Nordwelt. Das Treffen Reagan–Gorbatschow in Reykjavik hat den Isländern ihre Existenz bestätigt. Politik, Übergriffe auf Bürgerrechte am Rande des Treffens (Hotelräumungen, Kontrollen, zusätzliche Kosten für die Staatskasse): alles kein Problem angesichts der „Ehre“, wie es der Ministerpräsident nannte, angesichts der Werbewirksamkeit, wie es das staatliche Reisebüro interpretiert. Die isländische Fraueninitiative will 1.000 Unterschriften unter einen Abrüstungsappell an beide Regierungschefs sammeln und ihnen überreichen. Bisher die einzige Stimme hierzulande, die sich - außer in Leitartikelphrasen - geregt hat und von Politik spricht.
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