: Indien: US–Computer gegen Wohlverhalten?
■ Zum ersten Mal seit der indischen Unabhängigkeit vor 39 Jahren besucht ein amerikanischer Verteidigungsminister in diesen Tagen den Subkontinent Bis morgen verhandeln Weinberger und Gandhi den Transfer von moderner Rüstungstechnologie uqnd Großrechenanlagen / US–Firmen wittern einen neuen Markt
Von Uwe Hoering
Nur Gutes hatte der neue Botschafter Indiens in Washington, P.K. Kaul, bei seinem Amtsantritt zu vermelden: Stetig hätten sich die beiderseitigen Beziehungen verbessert. Diplomatische Einstandshöflichkeit? Auch, aber nicht nur. Nach jahrzehntelangen frostigen Beziehungen bahnt sich zwischen Indien und den USA allmählich eine neue Waffenbrüderschaft an. Sichtbarer Ausgangspunkt des Tauwetters war Indira Gandhis Besuch in Washington im Sommer 1982, als die „indische Eiserne Lady“, der eine Befähigung zu kalkuliertem Charme nachgesagt wird, Ronald Reagans Herz erobert haben soll. Dieser politische Flirt intensivierte sich, seit Rajiv Gandhi seiner Mutter als Premierminister nacheifert. Bereits ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt im November 1984 reiste er in die USA, wo sich Regierungsmitglieder, Senatoren und die Presse vor Lob für den „jungen, selbstbewußten, westlichem Denken aufgeschlossenen“ Regierungschef überschlugen. Das war nicht immer so. Jahrzehntelang hatte Indiens Verständnis von Blockfreiheit in Washington, wo die Devise gilt: „Wer nicht für mich ist, ist wider mich“, stets nur Skepsis hervorgerufen. Neu Delhis gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion waren suspekt, auch wenn die USA die Ex–Kolonialmacht Großbritannien bereits in den sechziger Jahren als wichtigsten Handelspartner Indiens abgelöst hatten und zielstrebig auf die Spitzenposition bei den Auslandsinvestitionen zusteuerten. Die Eiszeit aber brach aus, als die USA im indisch–pakistanischen Konflikt 1971 offen für Indiens Traditionsgegner Partei ergriffen. Seither erhält Pakistan massive Wirtschafts– und Militärhilfe, um so mehr, als das Land nach der Revolution und der späteren sowjetischen Okkupation Afghanistans zum Frontstaat der „freien Welt“ avancierte. Das Umdenken auf beiden Seiten begann mit der wirtschaftlichen Liberalisierung, die Anfang der achtziger Jahre unter Indira einsetzte. Indien brauchte für die Modernisierung seiner antiquierten Industrie moderne Technologie und Kapital; ausländische Unternehmer witterten neue Marktchancen, und es war denn wohl vor allem die Unternehmer– Lobby, die das US–Außenministe rium drängte, Indien neu zu entdecken. Rüstungsmodernisierung Das Wettrüsten mit Pakistan ist jedoch schon die zweite Etappe von Indiens Aufstieg zur regionalen Militärmacht. Nach der Unabhängigkeit wurde dem Militär zunächst kaum Bedeutung beigemessen. Mahatma Gandhi hätte am liebsten demobilisiert und die Soldaten als Aufbauhelfer eingesetzt. Doch nach der blamablen Niederlage im indisch–chinesischen Grenzkrieg 1962 wurden die Rüstungsanstrengungen verdoppelt und verdreifacht. Die Verteidigungsausgaben wuchsen von acht Milliarden Rupien 1964/65 auf 30 Mrd. am Ende der 70er Jahre. Heute fließen 17 Prozent der Staatsausgaben in die Rüstung. Das hochgepeitschte Feindbild Pakistan und die stets wachgehaltene Furcht vor einer neuen Konfrontation mit China dienten dazu, die Aufrüstung weiterzutreiben und jegliche Kritik daran zu verdrängen. Mit fast 300.000 Beschäftigten, die in 32 sogenannten Ordonnanzfabriken und neun staatlichen Großunternehmen vom Gewehr bis zum Kriegsschiff so ziemlich alles herstellen, was Armee, Luftwaffe und Marine glücklich macht, hat Indien heute den größten militärisch–industriellen Komplex in der Dritten Welt aufgebaut. Doch trotz aller Fortschritte blieb Indien im Rüstungsbereich angewiesen auf Zulieferungen und Know–how aus den Industrieländern.Um eine einseitige Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten zu verhindern, wurden Produktionslizenzen und Kriegsmaterial für die mit 1,1 Millionen Soldaten viertstärkste Armee der Welt in aller Herren Länder eingekauft. Trotzdem konnte das Land mit der durch das Wettrüsten vorangetriebenen rasanten internationalen Entwicklung nicht mithalten. Daher wird „Modernisierung“, die Lieblingsparole Rajiv Gandhis, heute auch für die Rüstung ganz groß geschrieben. Die Ausgaben für Waffenimporte verdoppelten sich innerhalb von vier Jahren auf 950 Mio. US–Dollar (1983/84); den gleichen großen Sprung machte die interne Rüstungsproduktion, deren Wert auf umgerechnet zwei Milliarden Dollar jährlich stieg. Auf den Wunschzetteln der Beschaffer standen unter anderem 155–mm– Haubitzen, Lenkraketen zur Panzerbekämpfung, gepanzerte Mannschaftstransporter, Radarausrüstungen, und ganz generell, Computer und Elektronik. Größter Wunsch ist die eigene Entwicklung eines Leichten Kampfflugzeugs, das in den neunziger Jahren einmal die bislang in Indien nachgebauten MIGs ersetzen soll. Voller Neid mußte die US–Rüstungsindustrie zusehen, wie ihre Konkurrenten sich ein Stück nach dem anderen aus dem indischen Kuchen schnappten. Im Frühjahr dieses Jahres ging der Eine–Milliarde–Dollar–Auftrag über 11–mm–Haubitzen nach Schweden, Frankreich verkaufte Milan– Panzerraketen im Wert von zehn Mrd. Rupien) und 90 Mirage 2000 (35 Mrd. Rupien), Großbritannien „half“ mit Jaguar–Kampfflugzeugen, einem Flugzeugträger und 21 Westland–Hubschraubern, die Bundesrepublik lieferte U–Boote vom Typ 209. Über wei tere Geschäfte wird noch verhandelt. Auch die Sowjetunion, die seit Anfang der sechziger Jahre einen Großteil zur indischen Aufrüstung beisteuerte, hält ihrem alten Kunden die Treue: in Kürze sollen die ersten 40 MIG–29 in Indien eintreffen, sehr zum Ärger der US– Firma Northrop, die Indien gerne mit ihrer F–20 bedient hätte. Seit 1981, so wird geschätzt, wurden allein mit der Sowjetunion Verträge über Waffenlieferungen im Wert von 180 Mrd. Rupien abgeschlossen. Zank um Auflagen Das größte Konkurrenzhindernis für die US–Waffenhändler war bisher das eigene Verteidigungsministerium, das die Frühlingsträume wirtschaftlichen Handels und außenpolitischen Wandels mit seinen Bedenken störte, die an Indien verkaufte Technologie würde umgehend den Russen in die Hände fallen. Indien einerseits widersetzt sich vehement den Kontrollauflagen und Klauseln, mit denen die USA ihre Verkaufsangebote verknüpfen. Ablehnung und Mißtrauen haben nicht nur etwas mit nationalem Selbstbewußtsein, sondern auch mit geschichtlicher Erfahrung zu tun.Bereits vor ihrer Parteinahme für den Erzfeind Pakistan benutzten die USA ihre Nahrungsmittelhilfe, um politi schen Einfluß und Druck auszuüben. Ende der siebziger Jahre stellten sie trotz vertraglicher Lieferverpflichtungen die Lieferung von angereichertem Uran für das AKW Tarapur ein, weil Indien nicht dem Atomwaffensperrvertrag beitrat. Der Aufmarsch von US–Truppen im Indischen Ozean (Diego Garcia), Handelshindernisse für indische Produkte und Intrigen im Weltbank–Ableger IDA, um die Vergabe günstiger Entwicklungskredite in Indien zu verhindern, runden die Geschichte unfreundlicher Beziehungen ab. Her mit den Computern Was Indien heute anstrebt, ist offensichtlich weniger der Kauf von Waffen in den USA als vielmehr eine enge wissenschaftliche Zusammenarbeit, um an hochmoderne Technologie heranzukommen. Just im Vorfeld von Gandhis Washington–Besuch wurde denn auch ein Abkommen über zivilen Technologie–Transfer abgeschlossen. Aktueller Prüfstein für den Gesinnungswandel ist Indiens Verlangen nach einem Supercomputer vom Typ Cyber 205 der Control Data Corporation, den man, so die Begründung, für ein aufwendiges Programm zur Erforschung des Monsuns einsetzen möchte, der aber auch für militärische Zwecke brauchbar ist. Weinberger ist natürlich seriös und bringt selbst keine Waffen im Gepäck mit. Doch Besuche dienen dem mitmenschlichen Vertrauen, und das Vertrauen dient dem Geschäft. So wird damit gerechnet, daß es bald zu einem Abkommen über die von Indien gewünschte Lieferung von Triebwerken des Typs F–404 von General Electric kommt, mit denen Indiens Leichtes Kampffugzeug bestückt werden soll. Das wäre dann die erste bedeutende Rüstungslieferung zwischen den beiden Ländern seit zwanzig Jahren - das Eis wäre gebrochen.
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