: D O K U M E N T A T I O N „Gott, was war ich immer loyal!“
■ Grünen–Sprecher Rainer Trampert: „Einschränkung meiner Sprecher–Tätigkeit kommt nicht in Frage“ / SPD „soll ihren Wahlkampf alleine machen“ / „Den Ruf, Köpfe müßten rollen, gibt es bei den Grünen nur einseitig“ / Keine „verkrampfte grüne Staatsreputierlichkeit“
In einem fünfseitigen Brief an die Kreisverbände der Grünen setzt sich deren Sprecher, der beim letzten Parteitag politisch unterlegene Rainer Trampert, mit der in Nürnberg beschlossenen Wahlaussage der Grünen, dem Brief an die Wähler, auseinander. Er nimmt darin auch zu Spekulationen und Rücktrittsforderungen gegen ihn, die u. a. in dieser Zeitung laut wurden, Stellung. Wir dokumentieren Auszüge. Liebe Leute, (...) In den Grünen hat es immer ein Spannungsverhältnis zwischen eigener Meinung und Gesamtloyalität gegeben und es wird dieses Verhältnis weiterhin geben. In diesem Zusammenhang ist der Vorgang, daß ich den Brief als Ärgernis für mich und meine Position bezeichnete, ziemlich banal. Jede andere Äußerung von mir auf der Pressekonferenz in Nürnberg wäre eine durchsichtige Verlogenheit gewesen, und zwar für alle erkennbar, denn schließlich hatte ich einen anderen Antrag favorisiert, mit der Intention: die Versammlung sagt vor der Wahl, was sie mit einer SPD tragen kann und sie sagt, daß sie eine Regierungsbeteiligung nicht tragen kann. Diese Auffassung blieb knapp in der Minderheit. Jetzt sprechen einige dogmatische Koalos oder andere, denen die Harmonie gestört zu sein scheint, von einem Skandal. Der Freund unserer Koalos, Hartung von der taz, spricht sogar von Rücktritt, weil mindestens „das Amt“, wenn nicht sogar „die Würde“, vielleicht gar „die Verantwortung“ dies gebieten würden und von mir verlangte, jeden Dissens fallen zu lassen. Stellt Euch erstmal die Situation vor. Journalisten wollen von mir wissen, ob ich mit der Mehrheitsentscheidung zufrieden bin und ich antworte: „Selbstverständlich bin ich zufrieden. Der Brief ist ganz großartig, weil 1. mein Amt, 2. meine Würde und 3. meine Verantwortung und 4. die Harmonie von mir verlangen, meine Meinung über Bord zu werfen, die ich noch vor 5 Minuten hatte.“ Ist jemals etwas Blöderes von Grünen verlangt worden - aber Amtsehre und Blödheit liegen häufig dicht beieinander. Ich möchte aber nicht nur wegen der Blödheit meine Meinung sagen können. Sie gehört genauso zu mir wie die Vertretung der Grünen insgesamt. Ein Phänomen begleitete meine ganze Phase im Bundesvorstand. Den Ruf nach personellen Konsequenzen und den Ruf, Köpfe müßten rollen, gibt es in den Grünen nur einseitig. Nur gefestigte Koalos lassen über die Medien rollen, während sie selber keine Gelegenheit ungenutzt lassen, Mehrheitsentscheidungen zu torpedieren. (...) Gott, was war ich immer loyal. Wie ruhig habe ich echte Sauereien hingenommen und weiter gesamtgrün vertreten. (...) Jetzt gab es eine Mehrheitsentscheidung von Koalition und Harmonie, die ich respektiere, aber schon bieten uns einige zur Auswahl an: 1. das leninistische Prinzip von der Einheit nach außen, 2. das stalini stische Prinzip: Weg mit den Leuten, die abweichende Auffassungen haben, 3. die sumpfige Parteiräson der Sozialdemokratie, besonders die der Kanalarbeiter. Sucht Euch das beste davon aus. Gnade euch Gott, wenn Vertreter dieser Anliegen Macht lecken. Hauptsache, die Grünen gewinnen ein staatsreputierliches Ansehen. (...) Ich habe den Brief nicht als Ärgernis bezeichnet, sondern auch als SPD–anbiederisch. Weshalb erklären wir, die SPD sei in der Vergangenheit nato–abhängig gewesen, wo sie es doch noch heute ist und sogar ankündigt, in der Zukunft nato–abhängig bleiben zu wollen? Deshalb will sie ja nichts mit den Grünen machen. Weshalb loben wir die SPD so ungerechtfertigt? Dem kann doch nur zugrundeliegen, sich der SPD anzubieten. Laßt sie doch ihren Wahlkampf allein machen. (...) Glaubt doch nicht, eine verkrampfte grüne Staatsreputierlichkeit könnte so viele gesittete Staatsbürger hinzugewinnen, wie sich auf der anderen Seite Menschen von uns abwenden. Der Kern ist, daß ich eine solche Partei nicht will. Hinzu kommt, daß diese Geschichte nicht einmal wahlarithmetisch aufgeht. An dieser Stelle wissen natürlich Koalos, die bei Verstand sind, was nach den ersten Austritten aus den Grünen ein Rücktritt von Jutta und mir in der Wahl bedeuten würde. Ich registriere auch, daß lange nicht jeder Realo mit dem Quatschkopf Hartung einverstanden ist, der sich die Grünen nur noch als sozialdemokratischen Bürgerblock vorstellen kann. Niemand von uns kann in Anspruch nehmen, den großen Wurf für die Mediendarstellung der Grünen erfunden zu haben. Der würde wohl auch erst gelingen, wenn wir endgültig dort angelangt wären, wo die anderen Parteien sich tummeln. (...) Einige kluge Realos (...) wissen, daß die alte Flugente nur mit beiden oder mit mehreren Flügeln fliegen kann. Ich weiß das so genau, weil mich eine Reihe von sogenannten Realos händeringend gebeten haben: Bleib, ziehe keine Konsequenzen aus der Kritik, sonst stehen wir vor einem Erdrutsch, von dem wir uns nicht erholen. Das schließt nicht aus, daß sie diese Entwicklung heimlich weiter verfolgen, aber nicht jetzt und nicht als Riss. (...) Auf Ankündigung von Konsequenzen, ob in der taz, über politisch mit einigen befreundeten Chefs dort oder hinter vorgehaltener Hand, antworte ich: Einschränkung meiner Sprechertätigkeit kommt nicht in Frage. Ich bleibe Sprecher der Grünen mit allen Rechten und Pflichten. Sollten erkennbare Mehrheiten in den Grünen mich weghaben wollen, dann höre ich selbstverständlich sofort auf und leiste eine volle Offensive für meine politischen Auffassungen mit entspechend geschmälerter Gesamtloyalität. Dazwischen gibt es nichts. (...) Soweit meine Stellungnahme. Mit ganz herzlichen Grüßen Rainer Trampert
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