: Fahrlässigkeit machte Beben zur Katastrophe
■ Allein im eingestürzten Ruben–Dario–Gebäude in San Salvador, das vor 20 Jahren für unbewohnbar erklärt wurde, kamen über 200 Personen um / Heftige Kritik der Bebenopfer an der bisher nur zaghaft angelaufenen privatisierten Verteilung der Hilfsgüter
Aus San Salvador Ralf Leonhard
Die Erde bebt noch immer unter San Salvador: Eine in Bewegung geratene fünf Kilometer tiefe Erdfalte hat bis Montagabend nicht weniger als 1.075 verschieden starke Erdstöße ausgelöst, von denen allerdings keiner die Intensität des ersten erreichte. Die Bergungsarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen, aber schon jetzt ist klar, daß der Tod von vielen der über Tausend Verschüttenten auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Musterbeispiel dafür ist das Ruben–Dario–Gebäude, in dem allein über 200 Personen umgekommen sind. Der Bau wurde bereits nach dem schweren Beben vom 3. Mai 1965 von einer aus drei Ministerien gebildeten Kommission für unbewohnbar erklärt. Wenige Wochen nach dem ersten wurde ein neues Gutachten erstellt, welches das inzwischen oberflächlich restaurierte Gebäude für sicher erklärte. Eigentümer war 1965 der Unternehmer Roberto Murray. Der Bürgermeister von San Salvador, über dessen Büro alle Anträge für statistische Gutachen gingen, war damals der heutige Staatschef Napoleon Duarte, der nun vor wenigen Tagen Murray zum Vorsitzenden des Katastrophenkomitees ernannt hat.Moises Hasbun, ein prominenter Unternehmer, der das Gebäude 1979 von Murray kaufte, gab an, er sei über das Erstgutachten aus dem Jahre 1965 nicht informiert worden. Das Haus wies jedoch bis zuletzt deutliche Risse im Treppenhaus auf. Humberto Centeno, ein Gewerkschaftsaktivist, der am Freitag im Gebäude drei Kollegen verlor und sich selbst erst nach fünfzehn Minuten aus dem eingestürzten Haus retten konnte, sprach deutlich aus, was viele denken: „Die Katastrophe ist passiert, weil manchen Beamten Geld mehr wert ist als Menschenleben“. Er selbst hatte die Risse im Treppenhaus immer wieder registriert, wenn er zum Gewerkschaftslokal im fünften Stock hinaufstieg. Auch Generalstabchef Onecifero Blandon, der sich vor Ort vom Fortschritt der Bergungsarbeiten überzeugte, bestätigte die Vorgeschichte des Unglückshauses: „Nach meinen Informationen sind die notwendigen Instandsetzungs arbeiten nie vorgenommen worden, und hier sehen Sie heute die Folgen der Verantwortungslosigkeit“. Diese Verantwortungslosigkeit bestreitet auch Vizekultur– und Kommunikationsminister Roberto Viera nicht. Er bestätigte gegenüber Journalisten, daß das Gebäude, das vor allem Geschäftslokale und Arztpraxen beherbergte, baufällig war. Für ihn ist der damalige Eigentümer Roberto Murray der Schuldige, der nun offiziell dafür verantwortlich ist, daß die Katastrophenhilfe auch tatsächlich den Bedürftigen zugutekommt. Polemik um Verteilung der Hilfsgüter San Salvador (afp) - Vier Tage nach dem schweren Erdbeben in El Salvador organisiert sich das Leben in der Hauptstadt nur mit großen Schwierigkeiten, während es zunehmend zu einer Polemik über die Zahl der Bebenopfer und die Verteilung der Hilfsgüter kommt. Die Behörden, die in den ersten zwei Tagen nach der Katastrophe die Zahl der Toten unterschätzten, verdoppelten am Montagabend plötzlich die Bilanz. Staatspräsident Jose Napoleon Duarte nannte die provisorische Bilanz von 976 Toten, die vom Roten Kreuz bestritten wird. Inoffiziell wird von etwa 2.000 Toten gesprochen.Die genaue Opferzahl dürfte allerdings sehr schwer festzustellen sein. Die Gerichtsbehörden hatten bis Dienstagmorgen offiziell kaum mehr als 200 Leichen registriert und identifiziert. Doch wurden in den Randgebieten und Slums der Hauptstadt bei Erdrutschen Menschen verschüttet, deren genaue Zahl niemand kennt. Am umstrittensten jedoch ist die Frage der Verteilung der Hilfsgüter, die kaum angelaufen und bereits seitens der Obdachlosen, die sich im Stich gelassen fühlen, heftig kritisiert wird. Der Beschluß von Präsident Duarte, Privatunternehmer mit der Leitung des nationalen Katastrophenausschusses zu betrauen, hat bei der Kirche - die dem Aus schuß nicht angehört - und zahlreichen Diplomaten großes Befremden ausgelöst. Die katholische Kirche hat ihr eigenes Hilfskomitee gebildet, das von mehreren nicht staatlichen Organisationen unterstützt wird, was Rückschlüsse auf einen Mangel an Vertrauen dem von Duarte eingesetzten Komitee gegenüber zulassen dürfte. Erzbischof Arturo Rivera y Damas hat am Sonntag klar zu verstehen gegeben, daß er äußerst wachsam sei und jede Unterschlagung von Hilfsgütern anprangern werde. Ein weiterer Kirchenvertreter erklärte am Dienstag, daß die Kirche bereits 300.000 Dollar Geldspenden erhalten habe, was beweise, daß die Spender darauf vertrauten, daß die Kirche das Geld „gut zu verwalten“ wisse. Medico International hat eine Hilfslieferung für die Erdbebenopfer in El Salvador in Höhe von ca. 70.000 DM zur Verfügung gestellt. Die Sendung enthielt Operationszelte und medizinische Geräte sowie dringend benötigte Medikamente. Medico International ruft zug Spenden für die Wiederaufbauhilfe in El Salvador auf. Konto 1800, Medico International Stadtsparkasse Frankfurt Stichwort: El Salvador
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