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Verwirrende Nach–Gipfeldiplomatie

■ Moskau dementiert Karpows Erklärung, SDI sei kein Hindernis für den völligen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa / UdSSR–Abrüstungsvorschläge nur als Paket verhandelbar / Mitterand zu Thatcher, Kohl in die USA

N A C H L E S E VOM

Bonn/Berlin (ap/taz) - Der Schaukampf zwischen den Supermächten um die öffentliche Meinung nach dem gescheiterten Gipfel nimmt schweißtreibende Dimensionen an, Bonn entwickelt sich zum Zentrum der hektischen Reisediplomatie. Erklärungen und Dementis jagen sich: Kaum hatte der sowjetische Chefdelegierte bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen, Karpow, am Mittwoch in Bonn die Experten mit seiner Erklärung verwirrt, SDI sei kein Hindernis mehr für einen vollständigen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa, da pfiff ihn der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Gerassimow, wieder zurück. Die sowjetischen Angebote von Reykjavik seien ein „Komplex“, korrigierte er am Donnerstag. Doch für die Kremlastrologen war der offensichtliche Widerspruch zwischen Karpow und Gorbatschow, der ebenfalls am Mittwoch in Moskau dem argentinischen Präsidenten Alfonsin sagte, über die sowjetischen Abrüstungsvorschläge ließe sich nur im Paket verhandeln, ein willkommener Anlaß zum Sterndeuten. Das Faß zum Überlaufen brachte der US– Chefunterhändler Kampelman, der am Donnerstagmorgen in der Hauptstadt der Rüstungsdiplomatie der Bonner Korrespondentenschar mitteilte, daß sich die Sowjets bei der ersten Sitzung in Genf nach dem Gipfel keinen Zentimeter vorwärts bewegt hätten. Von der hektischen Reisediplomatie angestachelt, kommen auch die Europäer in Fahrt. Als erster reiste CDU/CSU–Fraktionsvorsitzender Rühe nach Moskau. Gerstern besuchte Mitterrand „Maggie“ Thatcher in London, um mögliche Auswirkungen des Reykjaviker Gipfels auf ihre gemeinsamen Interessen als westeuropäische Atommächte zu besprechen. Beide vertreten den inzwischen von der Sowjetunion akzeptierten Standpunkt, daß ihre eigenen Nuklearstreitmächte aus den Verhandlungen zwischen den Supermächten ausgeklammert bleiben sollen. Währenddessen ist für Kohls und Genschers Besuch am Montag in Washington alles vorbereitet. Genscher wird sich gar länger als vorgesehen dort aufhalten. Ob sie Reagan für seine Standhaftigkeit in Sachen SDI gratulieren will, wie es ihre Parteikollegen am Donnerstag während einer Bundestagsdebatte gegen den heftigen Widerstand der Opposition taten? SPD und FDP machten nämlich erneut Präsident Reagans Festhalten an seinem SDI–Programm für das von ihnen konstatierte „Scheitern“ des Gipfels verantwortlich.

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