: Revolutionäre Justiz: Auspeitschung in Raten
Auspeitschung ist im Regime des Ayatollah Khomeini heute eine übliche Rechtspraxis geworden. Dergleichen haben sich die Iraner vor dem Fall des Shah Mohamad Reza Pahlevi im Februar 1979 nicht träumen lassen. Wer Alkohol trinkt, bekommt 70 Schläge, ein Jugendlicher, der versucht, auf der Straße mit einem Mädchen anzubändeln, kann sich zehn bis fünfzehn Schläge einhandeln. Drogenkonsum, Preiswucher, der Besitz bestimmter Musik– und Videobänder, westliche Kleidung und eine nicht–vollständige Bedeckung des weiblichen Körpers, d.h. das Fehlen des „Hejab“, des körperlangen schwarzen Tuchs, all das kann ein Grund für Auspeitschung sein. Im Mai dieses Jahres wurden in Ahwaz, der Hauptstadt der ölreichen südlichen Provinz Khuzestan, Braut und Bräutigam, sowie alle 800 Gäste eines Hochzeitsfestes verhaftet und ausgepeitscht. Frauen, die auf dem Fest getanzt hatten, bekamen dafür 20 bis 30 Hiebe, Frauen mit attraktiv wirkenden Kleidern, „korrupt“ in Khomeinis Worten, mußten 20 Schläge hinnehmen, während der Bräutigam selbst 70 dafür bekam, diese „Zeremonie der Korruption“ veranstaltet zu haben. Die Braut wurde ihres Vaters wegen verschont, der aber, als angesehener Geschäftsmann, einwilligen mußte, Geld und Material für den sechs Jahre währenden Krieg mit dem Irak zu spenden. Solche leichten Vergehen, die mit nicht weiter begründeten Urteilen von bis zu 74 Peitschenhieben bestraft werden, fallen in die Kategorie „Taazir“. Unterhalb dieser Grenze kann ein klerikaler Richter den Angeklagten nach Gutdünken zu einer beliebigen Anzahl von Hieben oder auch Geldbußen verurteilen. Das Geständnis des Angeklagten oder das Zeugnis eines Mannes oder zweier Frauen reicht aus, um ein Urteil fällen zu können. Eine ausführliche Beweisführung ist nicht erforderlich. Vollzogen wird die Auspeitschung dann entweder bei Versammlungen zum Freitagsgebet oder auch auf Fried höfen; besonders auf solchen, wo Märtyrer begraben sind. Damit wird der Sache, um deretwegen diese Märtyrer ihr Leben gelassen haben, besonderer Respekt gezollt. Innerstädtische Parks oder Plätze dienen ebenfalls als Richtstätte. Familien von Märtyrern und Invalide werden zum Vollstreckungsakt herbeigeschafft, um bei jedem Hieb „Allah–o–Akbar“ (Gott ist groß) zu rufen, womit sie Befriedigung darüber äußern, daß jenen die Islamische Gerechtigkeit widerfahren ist, die „das Blut der Märtyrer und den Willen der Nation, die Werte des Islam zu schützen, mißachten !“ Bevor die eigentliche Zeremonie der Peitschung beginnt, predigt ein Kleriker über islamische Gerechtigkeit und Strafe als ein unveränderbares Recht. Dann wird der Verurteilte mit dem Gesicht nach unten auf eine Bank gelegt. Seine Hände werden angebunden, seine Füße von ein oder zwei Männern festgehalten. Die Schläge treffen ihn auf der vollen Länge seines Körpers, von den Schultern bis zu den Füßen, Schlag für Schlag. Nach der islamischen Vorschrift soll eigentlich nur leicht geschlagen werden. Der Auspeitscher sollte etwa ein Buch oder einen vergleichbaren Gegenstand unter seinen rechten, den ausführenden Arm stecken, damit er seine Hand nicht allzu hoch heben kann. Aber das wird nie eingehalten, und die Opfer weinen vor Schmerz und verfluchen, wen und was ihnen gerade in den Sinn kommt. Die Peitsche, zumeist ein Stromkabel oder eine Pferdepeitsche, wird sogar von kräftigen Männern kaum ausgehalten. Der Mann auf dem Bild, im letzten Mai wegen Drogen ausgepeitscht, konnte nicht mehr als 20 Hiebe ertragen. Am folgenden Tag wurde er noch einmal vorgebracht, um die restlichen 40 Schläge zu empfangen. Eine Folter auf Raten. Man kann sich aber auch von Peitschungen loskaufen. Ein wegen Bekleidungsproblemen verhaftetes Mädchen durfte sich für umgerechnet etwa 2.200 DM von ihren 70 Peitschenhieben freikaufen (also 35 DM pro Schlag). Der - nichtklerikale - Justizminister, Dr. Hassan Habibi, hat erfolglos große Anstrengungen gemacht, um solche Urteile mit festgesetzten Strafen zu belegen. Das Strafmaß für das gleiche Vergehen ist aber von Gericht zu Gericht, von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Ein Jugendlicher kann in einer Stadt zu 10 Hieben verurteilt werden, in der nahe gelegenen Nachbarstadt kann er für die gleiche Tat 20 oder 30 Schläge bekommen. Das Regime hat die Auspeitschungen zugegeben, bestreitet aber, daß dies Folter sei. Ayatollah Mohammad Mohammadi–Gilani, der frühere Chef–Richter im grausigen Evin–Gefängnis im Norden Teherans, hat gesagt: „Es gibt in unseren Gefängnissen keine Folter, aber wenn ein Gefangener oder Angeklagter nicht aufhört, bei der Beantwortung von Fragen im Verhör Lügen zu erzählen, muß er zu soviel Peitschenhieben verurteilt werden, bis er die Wahrheit sagt. Das genau meint Taazir. Das haben wir unserem Heiligen Buch, dem Koran entnommen !“
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