: Beugehaft als Politikersatz
Was am Freitag noch niemand für möglich gehalten hatte, wurde am Sonntagabend dann doch zum Knüller der Republik: Erstmals in der Geschichte der Bundestags– Untersuchungsausschüsse wurde ein Zeuge zu Beugehaft (auch Erzwingshaft genannt) verdonnert, nachdem er sich geweigert hatte, die Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Seit Montagmorgen sitzt der Gewerkschaftsmanager Alfons Lappas, Chef der Holding BGAG, im Bonner Knast, um mit diesem drastischen Mittel „weichgekocht“ zu werden. Ziel der Aktion ist die Zurücknahme seiner Aussageverweigerung. Der Vorgang ist zwar bislang beispiellos, laut Strafprozeßordnung aber rechtlich gedeckt. Daß er im Rahmen eines Untersuchungsausschusses noch nie angewandt wurde, hängt mit der etwas wackeligen Rechtsgrundlage der Ausschüsse zusammen. Laut Artikel 44 Grundgesetz verfahren Bundestagsuntersuchungsausschüsse „sinngemäß“ nach der Strafprozeßordnung. Die sieht in § 70 folgendes vor, daß gegen einen aussageunwilligen Zeugen Beugehaft angeordnet werden kann, falls dessen Aussage entscheident für Freispruch oder die Verurteilung des Angeklagten ist. Da der Angeklagte in Untersuchungsausschüssen fehlt, ist der Interpretationsrahmen dessen, was „sinngemäß“, ist verständlicherweise weit gefaßt und entsprechend anfechtbar.Schon deshalb rechnete der unbefangene juristische Beobachter damit, daß der zuständige Bonner Ermittlungsrichter am Amtsgericht den Antrag auf Anordnung einer Beugehaft sorgfältig prüfen und frühestens Anfang dieser Woche einen Beschluß verkünden würde. Als Erklärung für die beträchtliche Eile kursierte in Bonn am Montag eine Version, die die Komplott–These der Gewerkschaften unterstützt. Danach ist der Ermittlungsrichter namens Hertz–Eichenrode ein bekannter CDU–Mann, der seinen Parteifreunden in Bonn unter die Arme greifen wollte. Angeblich sei zu diesem Zweck auch am Geschäftsverteilungsplan des Gerichts gedreht worden. Begründet wird der Gerichtsbeschluß, auf dessen Basis der polizeiliche Zugriff am Sonntagnachmittag erfolgte, damit, daß nach Meinung des Amtsgerichts eine generelle Aussageverweigerung nicht auf das GmBH– oder Aktiengesetz, wie von Lappas behauptet, gestützt werden könne. Andererseits hätte sich Lappas auch später durch seinen Anwalt ausdrücklich nicht auf den § 55 der Strafprozeßordnung berufen (wie zum Beispiel die Zeugen im Flick–untersuchungsausschuß häufiger), der regelt, daß ein Zeuge nicht gezwungen werden kann, sich selbst zu belasten. Da darüber hinaus der Verfahrensbevollmächtigte von Lappas eine Frist bis zum 4.11. zur weiteren Begründung der Zeugnisverweigerung erbeten habe, da sein Klient eine USA–Reise beabsichtige, hätte die sofortige Vollstreckung angeordnet werden müssen, um nicht Gefahr zu laufen, daß der Zeuge sich einem Zugriff des Gerichts endgültig entzieht. Dieser Hinweis bezieht sich darauf, daß die Beugehaft längstens drei Monate dauern kann, da dann mit Ende der Legislaturperiode der Untersuchungsausschuß aufgelöst wird und der Haftgrund entfallen würde. Daß Lappas aber drei Monate in den USA bleibt, schien dem Ermittlungsrichter offenbar durchaus vorstellbar. Vorsorglich hatte er in seinem Beschluß gleich angemerkt, daß einer Aussetzung dieses Beschlusses durch ein auswärtiges Gericht widersprochen wird. Da er selbst am Montag einen durch Lappas eingereichten Widerspruch umgehend ablehnte, steht nun eine Haftprüfungsentscheidung durch die nächsthöhere Instanz, in diesem Falle das Kölner Landgericht, an. Nach der Strafprozeßordnung gibt es für diese Haftprüfung keine gesetzlichen Fristen, die Kölner Richter könnten sich also Zeit lassen. Versierte Parlamentsjuristen rechnen allerdings mit einer schnellen Aussetzung der Haftanordnung, weil sie die Verhältnismäßigkeit der Mittel als nicht gewahrt ansehen. Im übrigen sollen bei der kommenden Sitzung des Untersuchungsausschusses zwei weitere Vorstandsmitglieder der BGAG vernommen werden, sodaß sich auch die Strategie der Gewerkschaften gegenüber dem Ausschuß in den nächsten Tagen klären wird. Es sei denn, daß Gewerkschaftsmanagment zieht es vor, komplett in Beugehaft zu gehen. Jürgen Gottschlich
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