: I N T E R V I E W Wir werden aus unseren Dörfern vertrieben
■ Jumma Chakma (Pseudonym) vom politischen Arm der Shanti Bahini–Guerilla über Repression, Widerstand und internationale Hilfe in den Chittagong Hill Tracts von Bangladesh
Der Guerillakrieg in den Chittagong–Bergen von Bangladesh gehört zu den Kriegen, die weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit geführt werden. Ein Drittel der Armee Bangladeshs ist in den Hill Tracts stationiert. Ihr stehen über 5.000 Kämpfer der Shanti Bahini Guerillabewegung gegenüber. Die Bewohner dieses Gebietes hatten sich 1971 um eine Teilautonomie im neu gegründeten Staat Bangladesh bemüht. Ihr Ziel war die Erhaltung sprachlicher und kultureller Eigenständigkeit und die Sicherung ihrer Landrechte, des traditionellen Erbrechts und der überkommenen Anbauformen. Bedroht wurde diese Eigenständigkeit immer wieder durch „Entwicklungsprojekte“ der Regierung in Dhaka, insbesondere durch Siedlungsprojekte für landlose Bauern aus dem dichtbesiedelten Deltagebiet von Ganges und Brahmaputra, denen zum Aufbau einer neuen Existenz verholfen werden sollte. Mehrere hundert Angehörige des Bergvolkes sind in den vergangenen Jahren von Regierungssoldaten verschleppt, gefoltert und getötet worden. Auf das Schicksal der Gemeinden, die die entlegenen Regionen der Chittagong–Berge im Südosten des Landes besiedeln, hat die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international in einem vor zwei Wochen in London veröffentlichten Bericht aufmerksam gemacht. Das folgende Interview entstand vor 16 Tagen auf einem Kongreß für die Shanti Bahini in Amsterdam. taz: Stimmt es, daß die Armee seit Anfang Mai zahlreiche Dörfer überfallen und Massaker an der Dorfbevölkerung verübt hat? Jumma Chakma: Ja, aufgrund dieser Massaker und Überfälle sind insgesamt 30.000 Menschen in die indischen Bundesstaaten Tripura und Mizoram geflüchtet, 100.000 Flüchtlinge halten sich in den Bergen auf. Sind die Shanti Bahini nicht in der Lage, die Bevölkerung vor diesen Überfällen zu schützen? Die Regierung von Bangladesh wollte die Hill Tracts innerhalb von fünf Jahren erobern. Jetzt sind 15 Jahre vergangen und die Regierung hat ihr Ziel nicht erreicht. Aber große Gebiete befinden sich in bengalischen Händen. Mehrere Jahre lang war der Widerstand der Shanti Bahini aufgrund von internen Konflikten stark geschwächt. Im Moment werden wir wieder stärker, aber die Soldaten haben Angst vor der Shanti Bahini. Sie kämpfen nicht mit uns, sondern greifen die wehrlose Dorfbevölkerung an. Täglich werden Bomben aus Hubschraubern und Düsenjägern abgeworfen und gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Bis jetzt haben wir keine Waffen, um uns dagegen zu wehren. Wird die Armee von ausländischen Beratern unterstützt? Ja, seit über zehn Jahren gibt es britische Berater in allen Teilstreitkräften. Immer wieder kommt es zu Zusammenstössen zwischen bengalischen Siedlern und der Guerilla. Warum? Die Armeestationen sind meist von bengalischen Siedlungen umgeben. Kommt es zu Gefechten mit der Armee, so werden die Siedler zwangsläufig in die Auseinandersetzungen mit einbezogen. Viele Siedler sind auf diese Weise umgekommen und 50.000 Bengalen haben die Hill Tracts wieder verlassen, seit wir im Mai unsere Angriffe auf die Armeestationen verstärkt haben. Das Problem ist, daß die Regierung immer wieder neue Siedler in die Hill Tracts bringt, die keine Ahnung von den Konflikten dort haben. Es sind meist Landlose und Analphabeten. Wenn sie informiert wären, würden sie nicht kommen. Die Konferenz über den Völkermord in Bangladesh, die am 11. Oktober in Amsterdam zu Ende ging, hat die indische Regierung aufgefordert, die Flüchtlinge nicht in die Hill Tracts zurückzuschicken... Ja, wir haben darum gebeten, die Flüchtlinge so lange nicht zurückzuschicken, wie ihre Sicherheit in Bangladesh nicht gewährleistet ist. Die Armee steht ihnen feindselig gegenüber. Wenn sie jetzt zurückkommen, werden sie sterben. Es müssen auch Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt werden, aber die Regierung wird diese Programme nicht durchführen. Wir sind an die internationale Gemeinschaft herangetreten, damit sie sich für das Überleben und die Sicherheit dieser Flüchtlinge einsetzt. Eine neutrale Untersuchungskommission soll die Hintergründe der Massaker untersuchen. Das ist zur Zeit nicht möglich. Die bengalische Regierung erlaubt weder Journalisten noch Hilfsorganisationen, sich in den Hill Tracts aufzuhalten und die indische Regierung hat den angrenzenden Bundesstaat zur „Disturbed Area“ (Spannungsgebiet) erklärt. Journalisten und Hilfsorganisationen haben dort ebenfalls keinen Zutritt. Die Flüchtlinge in den Bergen leben von Wurzeln und Blättern, viele verhungern. Ihr Eigentum ist an bengalische Siedler verteilt worden. Allein 500 Flüchtlinge sind seit Mai an Malaria gestorben, darunter viele Kinder. Auch die Flüchtlinge in Indien werden unzureichend ernährt. Wir wissen nicht, wie sie überleben sollen. Die Regierung von Bangladesh erhält umfangreiche internationale Entwicklungshilfe. Welche Auswirkungen haben diese Leistungen für die Hill Tracts? Die gesamte internationale Hilfe für die Hill Tracts kommt der bengalischen Wirtschaft und der Armee zugute. Anfang der sechziger Jahre wurde im Rahmen eines von der US–Aid finanzierten Planes der Kaptai Staudamm gebaut. 100.000 Jummas verloren fruchtbare Ackerböden, 50.000 Bergbauern mußten ihre Wälder verlassen, 40 fruchtbaren Anbauflächen für Reis in den Hill Tracts wurden überflutet. Die betroffenen Bauern erhielten keine Entschädigung und flohen nach Indien. Die mit dem Stausee entstandene Fischereiindustrie wird von der Asiatischen Entwicklungsbank unterstützt. Es sind aber ausschließlich Bengalen an diesem Wirtschaftszweig beteiligt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO finanzierte ein Bewässerungsprojekt, aber nur bengalische Siedler und Armee profitierten. Internationale Nahrungsmittelhilfe fließt auch in das Rationierungssystem Bangladeshs. Aber die Regierung teilt Reis und Weizen in den Hill Tracts ausschließlich an Armeeangehörige und bengalische Siedler aus. Werden Entwicklungshilfegelder für die sogenannten Modelldörfer in den Hill Tracts ausgegeben? Ja, diese Dörfer sind aber nicht Teil der Entwicklungsplanung, sondern Teil des Plans, mit dem die Jumma–Bevölkerung aus dem Gebiet vertrieben werden soll. Wo die Regierung neue Dörfer einrichtet, ergreift die alte Dorfbevölkerung oft die Flucht. Die Jummabevölkerung wird gezwungen, in die neuen Dörfer umzuziehen, die zurückbleibenden Ländereien werden an bengalische Siedler verteilt. Vergewaltigungen, Diebstahl, Mord und Plünderungen durch Soldaten oder Siedler sind zur Routine geworden. Wir nennen diese Siedlungen Konzentrationslager, denn sie sind unmgeben von Kasernen und Siedlungen bengalischer Bauern. Wie ist die Ernährungssituation in den Dörfern? Die Regierung hat die Versorgung mit alltäglichen Bedarfsgütern und Nahrungsmitteln fast abgeschnitten. So ist es z.B. nicht möglich, Medizin zu erhalten, da dafür eine spezielle Erlaubnis von den Behörden ausgestellt werden muß. Die Behörden sind aber weit von den Dörfern entfernt und auf dem Weg ist man den Schikanen der Kontrollposten der Armee ausgesetzt. Für Frauen ist es unmöglich, allein zu gehen, da viele vergewaltigt werden. Die Regierung versucht, die Dorfbevölkerung zum Verlassen der Dörfer zu zwingen. Interview: Dieter Reinhardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen