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Brutaler Anschlag in San Sebastian

■ ETA bekennt sich zu Mord an Militärgouverneur und seiner Familie in San Sebastian / Fahrer und 14 Passanten zum Teil schwerverletzt / Spekulation über Motive des Anschlags in baskischer Öffentlichkeit

San Sebastian (taz) - Während sich am Samstag Zehntausende zu Großdemonstrationen in Bilbao und Vitoria versammelten, platzte eine neue Bombe im Baskenland: Zwei Jugendliche stoppten an einer Ampel am Boulevard von San Sebastian ihre schwere Kawasaki und legten eine Sporttasche auf das Dach des Autos, in dem der Militärgouverneur von Guipuzcoa saß. Wenige Sekunden später explodierte die Bombe, die das Auto praktisch in zwei Teile zerriß. General Rafael Garrido Gil und seine Frau Daniela Velasco de Vieaurreta waren sofort tot, ihr 16jähriger Sohn Daniel starb im Krankenwagen. Der Fahrer und 14 Passanten wurden z.T. schwer verletzt. Rafael Garrido ist der zweite Militärgouverneur in San Sebastian, der durch ein ETA–Attentat umkam. 1979 erschossen ETA– Mitglieder General Lorenzo Gonzalez Valles mit einem Genickschuß. Garrido war Mitarbeiter der spanischen Botschaft in Bonn, bevor er zum General ernannt wurde. Das Attentat der ETA fiel mit dem siebten Jahrestag der Verabschiedung des Autonomie–Status des Baskenlandes und zwei bedeutenden Demonstrationen zusammen. Einerseits demonstrierten am Samstag 20.000 Menschen in Vitoria im Baskenland für die Freilassung des von der ETA entführten 69jährigen Industriellen Lucio Aguinagalde. Andererseits forderten 25.000 Demonstranten am Samstagabend unter Führung der ETA–nahen Koalition Herri Batasuna in Bilbao Verhandlungen zwischen der ETA und der spanischen Regierung über die Zukunft des Baskenlandes. Beide Demonstrationen verliefen ohne Zwischenfälle. Die Vereinigung für den Frieden im Baskenland rief für Sonntag abend zu Schweigemärschen gegen den Terrorismus in San Sebastian, Pamplona und Vitoria auf. Seit der Kleinunternehmer und aktives PNV–Mitglied Lucio Aguinadalde vor zwölf Tagen entführt wurde, hebt seine Familie hervor, daß ETA sich in diesem Fall geirrt habe, da er überzeugter Baske war. Sein 30–Mann–Betrieb sei ungeeignet, um eine hohe Revolutionssteuer zu erpressen. Um diese allerdings scheint es der ETA zu gehen. Auch in den beiden spanischen Behörden gibt es Diskrepanzen in der Behandlung der baskischen Problematik. Gerichte widersprechen dem spanischen Innenministerium, und junge Richter äußerten den Verdacht, die Regierung habe den Polizeiapparat nicht mehr unter Kontrolle. Nach dem Skandal um die Aussagen eines Zivilgardisten, daß er an Folterungen teilgenommen habe und weiteren Polizeiskandalen, ist die Regierungspolitik angeschlagen. Die schweren Folterungen an Augustin Azkarate, der als zwölfter Baske von der französischen Polizei direkt an Spanien ausgeliefert wurde, haben die baskische Öffentlichkeit alarmiert. Als Azkarate dank sechs Tagen Kontaktsperre in den Händen von Guardia Civil und Polizei ins Gefängnis von Carabanchel eingeliefert wurde, schickte der Gefängnisarzt ein so alarmierendes Gutachten an den Richter in Madrid, daß dieser Azkarate noch einmal zu sich zitierte. Diesmal nur, um ihn zwei Stunden lang über die Verhöre durch die Polizei zu befragen. Am Samstag, unmittelbar nach dem Bombenattentat, stellte der Polizeichef erneut einen Antrag, Azkarate nochmals zu verhören. Diesmal ging es wohl um den Anschlag. Die ETA hat in diesem Jahr bereits 34 Menschen ermordet und zahlreiche weitere verletzt. nach der Ausweisung der meisten ETA–Führungsmitglieder aus Frankreich in Länder der Dritten Welt ist nach Ansicht von Experten die Führung der Organisation von einer neuen Generation übernommen worden, die eine Eskalation um jeden Preis anstreben. An der Spitze soll nach Angaben der spanischen Polizei jetzt Francisco Mugica Garmendia alias Artapalo stehen, der zum radikalsten Flügel der ETA gerechnet wird. Was wollte die ETA mit diesem blutigen Attentat demonstrieren? Ganz sicher, daß nicht nur ihr viel gesuchtes Madrider–Kommando in der Lage ist, den Staatsapparat hart zuzusetzen. Die Mobilisierung in Vitoria und der Ruf von Zehntausenden nach Verhandlun gen in Bilbao scheint sie bei ihrer Strategie des unerbitterlichen militärischen Kampfes wenig zu stören. Handelt es sich innerhalb der ETA um das Konzept hart zuzuschlagen, ungeachtet evenutell negativer politischer Auswirkungen, um gleichzeitig gegenüber dem militärischen Gegner eine bessere Verhandlungsbasis zu haben? Oder steht einer militärischen Fraktion eine verhandlungswillige Fraktion gegenüber, deren Sympathie auch Herri Batasuna hätte? Beides hält man hier für möglich.

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