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Ohnmacht demonstrieren

Was zuviel ist, ist zuviel - „Jetzt reichts aber“, rüffelt der Einsatzleiter einen seiner Feldgrauen, der da noch nach dem „Zerstreuen“– Befehl auf der Piazza del popolo unversehens ins „Yankee–go–home“–Lied der Demoproletarier eingestimmt hatte. Vielleicht war es nur die eingängige Melodie, vielleicht auch die innere Überzeugung des „Poliziotto“ - jedenfalls waren an diesem Tag die Ordnungskräfte nur mäßig geneigt, amerikanische Liegenschaften massiv zu schützen. Als ein paar Autonome das Fast–food– Restaurant „Big Burg“ traktieren, drehen sich die Ordnungshüter auf der gegenüberliegenden Piazza Barberini fast noch schneller um als die Autonomen wegtauchen, die ich fotografieren will. Auch der Vormarsch behelmter Schlagstockträger auf der Piazza del popolo, nachdem die Grußadressen der Gruppenchefs vorbei sind, hat eher folkloristischen Charakter - auch wenn das Polizeikommunique später von 14 verletzten Beamten und vier maladen Autonomen spricht (einer soll, mit Molotow–Cocktails im Beutel, festgenommen worden sein). „Die wollen halt alle zeigen, daß sie auch dabei sind - Autonome und auch die Polizei“, kommentiert ein Alt–Kommunist aus Perugia, der mit seinem ehrwürdigen Partisanen–Halstuch wenigstens noch „einen Gesellschaftsstamm repräsentiert, der dreinhauen konnte“, wie er mit fast mitleidigem Blick zum bunten, meist bemalten Völkchen der Friedensdemonstranten meint. „Disar ...mare cielo e terra“ (Meer, Himmel und Erde entwaffnen) lautet das Motto, und fast eine halbe Million Teilnehmer konstatieren die Veranstalter - die Kommunistische Parteijugend, die Democrazia proletaria, Abteilungen des christlich–demokratischen Jungvolks, katholische Arbeiterverbände, Umweltschutzvereine, Anarchistengruppen und Restposten der „Lotta continua“; eine Mischung, die es bisher in Italien noch nie gegeben hat. Und es stimmt: alle, alle wollen zeigen, daß auch sie dabei sind. Handwerkszeug dazu sind neben Transparenten krächzende Megaphone, aus denen einander überlagernde Gesänge und Slogans röhren; von Einfach–Sprüchen wie „Frieden jetzt“ (Katholische Jugend und Pfadfinder) über „Von Sizilien bis nach Skandinavien - kein Warschaupakt und keine NATO“ (PCI) bis zu „Der Friede ist schnell eingeklagt, sind NATO und DC verjagt“ (Demoproletarier). Wobei offenbar die Friedenswelle noch nicht bis zu den Komponisten vorgedrungen ist - die Texte müssen meist auf alte Melodien gesungen werden, auf die „Bandiera rossa“, aber auch auf den Ohrwurm „Funiculi funicula“. Die Sogwirkung der Massendemo ist freilich mächtig: Selbst die verschnupft boykottierenden Sozialisten, Republikaner und Radikalen haben mehr oder minder genierlich doch noch ein paar Sympathieträger hingeschickt. So ganz ernst gemeint war das PSI– Verdikt offenbar doch nicht, daß „die PCI kein Recht zu Friedensmärschen hat, weil er vor dreißig Jahren auch nicht für Ungarn marschiert ist“; und auch die Radikalen blieben alleine mit ihrer martialischen Denunziation, wonach der „Friedensmarsch sich in keiner Weise von einer Truppenparade auf dem Roten Platz in Moskau unterscheidet“. Erstaunlich immer wieder, mit wie wenig Polizei die italienische Obrigkeit derartige Massenkundgebungen begleitet - gerade eine Handvoll, meist gelangweilt dastehender Uniformierter genügen an den Straßenecken; selbst an der Piazza del popolo reichen drei Züge im Kampfanzug, um die paar Hunderttausend zu überwachen: Die Ungefährlichkeit des Massenaufmarsches ist erprobt. Sinnlich demonstriert wird die Ohnmacht der Friedensmarschierer gegen selbst geringe Gewalt freilich dann, wenn die Autonomen auftreten. Allenfalls ein halbes Dutzend von ihnen haut jeweils mit Knüppeln gegen Schaufenster und beschießt US–verdächtige Läden mit Steinschleudern - und schon beginnt eine Massenflucht, die eben noch kraftstrotzend gereckten PCI– und Demoproletarier–Fahnen landen auf der Straße, die meisten Demonstranten werfen sich zu Boden, suchen Schutz hinter U– Bahn–Schildern. „Der Gedanke, daß alleine die Masse von uns Friedlichen ausreichen müßte, die paar Gewalttätigen einzuschüchtern, kommt uns erst hinterher“, geniert sich ein hünenhafter PCI– Bannenträger neben mir, als er seine Fahne wieder aufhebt. „Irgendwie demonstrieren wir hier vor allem eines: unsere Ohnmacht. Das aber machtvoll.“

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