piwik no script img

Schlamm, TV und ein letztes Hurra

■ Am Dienstag kommender Woche werden in den Vereinigten Staaten Senatoren, Abgeordnete und Gouverneure gewählt / Die Republikaner könnten die Kontrolle über den Senat verlieren / Klagen über den unfairen Wahlkampf, in dem mehr schmutzige Wäsche gewaschen als politisch debattiert wird

Aus Washington Stefan Schaaf

Was hat Jane Fonda mit der Farmkrise in South Dakota zu tun? Die Wähler in diesem US–Bundesstaat im Mittleren Westen, in dem vor allem Rinder– und Schweinezucht betrieben wird, wissen es - dank James Abdnor, ihrem Senator in Washington. Jane Fonda ist nicht nur eine bekannte Polit–Aktivistin, deren Überzeugungen in South Dakota nicht sehr populär sind, sie hat darüber hinaus in Los Angeles eine Benefiz–Veranstaltung für Abdnors Gegner Tom Daschle organisiert. Und vor allem: Ihre Kampagnen gegen das Essen von Schweinefleisch und Rindersteaks hätten dazu beigetragen, Dakotas Farmer in die Krise zu stürzen. Wer sich, wie Tom Daschle, mit solchen Unterstützern umgebe, so Abdnors Fernsehbotschaft, verdiene nicht, South Dakota im Senat zu vertreten. Verschlungene und bizarre Wege geht das Werben um die Gunst und die Stimmen der amerikanischen Wähler, die am Dienstag der kommenden Woche gebeten sind, Senatoren, Abgeordnete, Gouverneure und lokale Beamte zu bestimmen. Acht Tage vor dem 4. November ist die Stimmung im Land von Klagen bestimmt, daß dieser Wahlkampf neue negative Dimensionen eröffnet habe. Noch nie gab es so wenig Auseinandersetzung um die tatsächlichen politischen Probleme des Landes, noch nie waren die Kampagnen so persönlich und so schmutzig, und noch nie hat Geld eine so wichtige Rolle gespielt. Georgias demokratischer Kandidat Wyche Fowler hat es auf den Punkt gebracht, als er klagte, dies möge eine Wahl und keine Auktion sein. Demokraten und Republikaner kämpfen um die Kontrolle des Senats Meist sind die Wahlen zur Halbzeit zwischen den Präsidentschaftskampagnen eine Routineangelegenheit. Doch dieses Jahr möchte die Demokratische Partei den Republikanern die Kontrolle über den Senat abringen. 53 Republikaner stehen dort 47 Demokraten gegenüber. Ein Drittel der Sitze wird jetzt neu besetzt. Falls die Hoffnungen des demokratischen Senators von Delaware, Lloyd Bentsen, sich erfüllen, gibt es nach dem 4. November 48 republikanische und 52 demokratische Senatoren. Die Chancen sind günstig: von den 34 Senatoren, die neu gewählt werden, sind 22 Republikaner und zwölf Demokraten. Eine Woche vor den Wahlen sind ein Dutzend der Wahlkämpfe so knapp, daß sich kein Sieger prognostizieren läßt. Beim Kampf um die Kontrolle des Senats geht es weniger um die numerischen Mehrheiten der beiden Parteien, denn deren Fraktionsdisziplin wird häufig gebrochen, als um das Recht, die Vorsitzenden der Senatsausschüsse zu stellen. Dieses steht der Mehrheitspartei zu. Was das heißt, machte der republikanische Fraktionsführer im Senat, Robert Dole, potentiellen Spendern in einem Bettelbrief klar: „Teddy Kennedy als neuer Vorsitzender des Justizausschusses ? Stellen Sie sich vor: Amerikas Probleme mit Kriminalität und Drogen in den Händen eines der offensten Liberalen des Senats, oder unsere Außenpolitik, wenn Alan Cranston, Chris Dodd oder John Kerry, drei der rabiatesten Militärgegner, die entsprechenden Ausschüsse leiten!“ Bei anderen Ausschüssen könnte der Wechsel von einem re publikanischen zu einem demokratischen Vorsitzenden allerdings durchaus einen Ruck zu konservativerem Denken bedeuten. Warum die Reagan–Administration dennoch alles, einschließlich der Popularität des Präsidenten, in die Waagschale wirft, um einen Wahlerfolg der Demokraten zu verhindern, erläuterte Reagan– Mitarbeiter Mitchell Daniels mit der Gefährdung der „neuen Richtung“, die das Land in den letzten sechs Jahren genommen habe - eine vage Bestimmung und Synonym für die militärische wie psychologische Aufrüstung, der die Vereinigten Staaten seit 1980 unterzogen wurde. Ein Sieg der Demokraten bedeute ein „Zurück zu den grimmigen siebziger Jahren“, der Carter–Ära mit ihrer „unverantwortlichen“ Ausgabenpolitik. Reagan hat sich in den letzten beiden Wochen der Kampagne selbst auf Reisen durch die am heftigsten umkämpften Bundesstaaten begeben. „Der Präsident ist unsere wirksamste Waffe im Wahlkampf“ sagt Robert Teeter, Wahlkampfstratege der Republi kaner. Dessen Botschaft ist schlicht: „Am 4. November ist die letzte Möglichkeit, Ronald Reagan die Stimme zu geben“, und weil der Präsident populärer ist als jeder Kandidat für den Senat, könnte diese Aufforderung in manch einem Staat den entscheidenden Unterschied machen. Nur zwei Themen spricht Reagan bei seinen Auftritten an: seine Abrüstungsvorschläge von Reykjavik, die wegen der kompromißlosen Haltung der Sowjets zum SDI– Programm vorerst nicht realisiert werden konnten; und seine Wirtschaftspolitik, die das Land wieder auf den „richtigen Kurs“ gebracht habe. Reykjavik - Pluspunkt für die Republikaner Das überraschende Ende der Gipfel–Gespräche in Reykjavik hat den republikanischen Kandidaten Pluspunkte eingebracht. „Wir sind überrascht, wie gut es funktioniert hat“, sagt Robert Teeter. Burton Yale von der konservativen Heritage–Stiftung, zeigte sich erleichtert, daß Reagan sich in Island geweigert hat, „einen inakzeptablen Deal zu unterzeichnen“. Reagan hat in Island die beste aller politischen Optionen gewählt: Er kann einen hervorragenden Deal vorweisen und gute Gründe, warum er ihn doch nicht eingegangen ist. Von den demokratischen Senatskandidaten gab es kaum Widerspruch. Robert Squier, demokratischer Polit–Berater, sagt, die nationale Sicherheit könne kein Thema für politischen Streit sein: „Wenn es um Überleben oder Vernichtung des Planeten geht, ist selbst der zynischste Politiker schlau genug die Finger davon zu lassen. Die Demokraten würden das Thema nicht einmal mit der Kneifzange anpacken.“ Und wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, ist Verwirrung angesagt. Reagans Beteuerungen, der Wirtschaft gehe es gut und der Aufschwung setze sich fort, wurden von den Konsumenten im dritten Quartal 1986 mit einem außergewöhnlichen Kaufrausch beantwortet. Die Zinsen sind niedrig, die Inflation ebenso, und die Kon ten wurden geplündert: Noch nie in den letzten dreißig Jahren hatten die US–Bürger und Bürgerinnen so wenig Geld auf der Bank wie zur Zeit. Wen kümmerts da, daß das Haushaltsdefizit für 1986 mit 220 Milliarden Dollar abermals eine neue Rekordhöhe erreicht hat. Wen kümmert es, daß der Reagan– Boom sich auf die Küstenregionen und unproduktive Branchen beschränkt, während die Farmer und Industriearbeiter in eine düstere Zukunft schauen. Augen zu und durch Ein Beispiel dafür ist der Wahlkampf in Iowa, einem Staat, der vom Weizenanbau lebt. Iowa wählt am 4. November einen Senator: der Sieg des republikanischen Amtsinhabers Charles Grassley gilt als sicher, einen Gouverneur: der Republikaner Branstad führt 48 zu 41 Prozent vor dem demokratischen Kandidaten Junkins, und sechs Mitglieder des Repräsentantenhauses, von denen aller Voraussicht nach vier der Partei Ronald Reagans angehören werden. Edward Campbell, ein demokratischer Parteifunktionär aus Iowa beklagt die Lethargie der Wählerschaft: „Farmen werden zwangsversteigert, Banken krachen zusammen, die kleinen Geschäftsleute machen Pleite, und trotzdem kommen die Leute mit dem Hintern nicht hoch, denn sie sind überzeugt, doch nichts bewirken zu können. Die politische Landschaft hat ganz neue Züge angenommen.“ Praktisch keine Rolle spielen außenpolitische Fragestellungen, wenn man vom Streit um die Politik gegenüber der Sowjetunion absieht. Kaum ein Demokrat versucht ernsthaft, die Zentralamerikapolitik Reagans als Argument in die Debatte zu werfen. Das Persönliche ist politisch Viel beliebter ist es, mit detektivischem Eifer persönlichen Verfehlungen des Gegners nachzuspüren - oder der Gegnerin: Barbara Mikulsky, demokratische Senatskandidatin in Maryland, habe eine radikale Feministin in ihrem Mitarbeiterinnenstab beschäftigt. Und recht subtil versucht ihre Gegnerin den Eindruck zu vermitteln, daß man mit Mikulsky am Ende eine Lesben–Sympathisantin in den Senat wähle. Die fragliche Mitarbeiterin ist im übrigen seit fünf Jahren nicht mehr dabei, und ihre Beschäftigung währte ganze vier Monate. Und so geschah es landauf, landab: In 30–Sekunden–TV–Spots wird mit Schmutz geworfen, wird diffamiert und gelogen. Ein Beispiel aus Florida: die republikanische Senatorin Hawkins tritt in einem ihrer Fernsehspots auf, ein Flugblatt in der Hand und sagt: „Die Liga junger Kommunisten sagt hier, Paula Hawkins müsse geschlagen werden. Ich weiß nicht, für wen sie dann sind - für mich nicht, und es gibt ja nur zwei Kandidaten“. Der zweite ist der Demokrat Bob Graham. Viele Laien–Schauspieler Weil die Kampagnen so persönlich und unfair geworden sind, klagt Pennsylvanias Senator Arlen Specter: „Die Öffentlichkeit hat noch nie viel von uns Politikern gehalten. Jetzt noch weniger.“ Die Fernsehspots spielten vor allem in großen Bundesstaaten wie Kalifornien oder Florida eine Rolle. Weil die Kandidaten viel effektiver die Wähler erreichen, wenn sie im Fernsehen zu sehen sind, als wenn sie auf Wahlkampfveranstaltungen auftreten, hat sich die Auseinandersetzung dort fast völlig auf die TV–Röhre reduziert. Die Kandidaten treten nur noch persönlich in Erscheinung, wenn sie von potenten Spendern Geld abzocken können - um die nächsten Fernsehspots zu finanzieren. Und da die Presse kaum noch Auftritte der Kandidaten beschreiben kann, schreibt sie über... Fernsehspots! Art Levy, ein Politikwissenschaftler aus Florida, beklagt die politischen Sitten: „Die Medien schießen sich auf die Werbespots ein, weil sie der sichtbarste Teil der Kampagne sind. Keiner der beiden Kandidaten gibt Substantielles von sich, sie werfen nur mit Dreck; eine solche Kampagne nützt weder der Öffentlichkeit noch der Demokratie.“ Der Öffentlichkeit nützt sie vor allem nicht, weil alles zu Slogans und Schlagworten verknappt wird. Bob Graham stöhnt: „Wo wären wir, wenn Alexander Hamilton und Thomas Jefferson die Französische Revolution in 30–Sekunden–Spots hätten diskutieren müssen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen