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Israel: Kein Gedenken an das Massaker von Kafr Kassem

■ Dreißig Jahre nach dem Morden israelischer Soldaten in einem palästinensischen Dorf veröffentlicht eine Zeitung Interviews mit den Tätern / Eine Sühne für die Massaker fand nie statt

Von Samuel Hitzig

Jerusalem (taz) - In Israel häufen sich zur Zeit die Gedenktage. Man feiert den hundertsten Geburtstag des Staatsgründers Ben Gurion und erinnert sich an den Sinai–Krieg vor 30 Jahren, den Ben Gurion, im Bündnis mit Frankreich und England, gegen Abd el Nassers Regime und gegen die Verstaatlichung des Suez–Kanals führte. Das damals ausgerufene Dritte Königreich Israels endete mit dem Rückzug: Das Unternehmen der westlichen Alliierten brach zusammen. Die israelische Strategie jedoch blieb unverändert und wurde im nächsten Krieg, 1967, erfolgreicher durchgesetzt, diesmal im Einvernehmen mit den USA und ohne England. Bei den offiziellen Gedenktagen nicht beachtet wird allerdings der dreißigste Jahrestag des Massakers von Kafr Kassem, jenem palästinensischen Dorf etwa 30 km nord–östlich von Tel Aviv, wo am Vorabend des Krieges 43 Dorfbewohner, Männer, Frauen und Kinder von israelischer Grenzpolizei erschossen wurden. Nur Palästinenser gedachten in diesen Tagen der Opfer und weihten einen Gedenkstein in Kafr Kassem ein. Der eigentliche Sinn des Gemetzels blieb ungeklärt, aber kurz vor dem Angriff auf Ägypten sollte es wohl eine Warnung für die arabische Minderheit in Israel sein: Wagt nicht zu protestieren! Niemand in Kafr Kassem wußte etwas über den bevorstehenden Krieg, die Bevölkerung war völlig unbewaffnet. Die Sicherheitsbehörden hatten das allnächtliche Ausgehverbot um eine Stunde vorgezogen, ohne die außerhalb des Dorfes arbeitende Bevölkerung davon zu informieren. Als die Dörfler um 5 Uhr nachmittags heimkehrten, wurden sie von einer kleinen Einheit der Grenzpolizei mit einem Major und einem Hauptmann an der Spitze am Dorfeingang niedergeschossen. Das Ausgehverbot war auf 5 Uhr vorgezogen worden, um 5.30 war das Massaker geschehen. So wurde Kafr Kassem zu einem Glied in der Kette der Schreckenssymbole in der palästinensischen Leidensgeschichte. Wochenlang konnte - aus „Sicherheitsgründen“ - der Mord an unbewaffneten Zivilisten, arabischen Bürgern Israels, nicht an die Öffentlichkeit gebracht werden. Um Ruhe zu halten, wurde das Mordkommando noch eine Woche lang in Kafr Kassem stationiert. Schließlich durchbrach der Knessetabgeordnete Taufik Tubi (KP) die Mauer des Schweigens. Eine Untersuchung und ein Gerichtsverfahren gegen ein Dutzend Grenzpolizei–Mitglieder war nicht mehr zu vermeiden. Es stellte sich heraus, daß unter den Opfern auch sieben Kinder unter 13 Jahren worden waren, die mit ihren Eltern erschossen worden waren. Oberst Schadmi, der das Ausgehverbot verhängt und auch den Schießbefehl gegeben hatte, wurde gar nicht vor Gericht gestellt, er befand sich zur Fortbildung in den USA. Die Befehle wurden vom Gericht für gesetzwidrig befunden und die ausführenden Soldaten wegen Mordes zu Gefängnis bis zu 17 Jahren verurteilt. Später wurde der Oberst zu einer symbolischen Strafe von 10 Prutot (weniger als 1 Pfennig) verurteilt, weil sich herausstellte, daß die Aktion auf höheren, ja höchsten Befehl unternommen worden war. Ein Jahr nach dem Urteilsspruch begnadigte der Staatspräsident alle Verurteilten. Die israelische Wochenzeitung Ha Ir veröffentlichte jetzt Interviews mit den Tätern des Massakers. Einer der Offiziere, Shalom Ofer, drückt aus, was auch andere der Beteiligten heute dazu denken: „Ich habe keine Gefühle, nur meine Gedanken arbeiten...ich bereue nichts. Seit meinem 15. Lebensjahr gehe ich über Leichen...Wir waren wie die Deutschen. Wir haben Befehle ausgeführt, so wie deutsche Soldaten im Krieg Befehle ausführten als sie Juden liquidierten“. Alle „Helden“ von Kafr Kassem, so zeigt sich in den Interviews, „taten ihre Pflicht“, bereuen nichts, fast alle hassen Araber und alle kamen nach kurzer Haft ( „bei vorzüglicher Behandlung“) zu guten „Jobs“. 30 Jahre nach Kafr Kassem ist die Vorstellung zutiefst erschreckend, daß die bestehenden Umstände und das allgemeine Klima in Israel die Wiederholung eines Massakers möglich macht. Hinter der Fassade von „geordenetem Nebeneinanderleben“ liegen Feindschaft und Haß.

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