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Grüne wollen „gläserne Verwaltung“ für BRD

■ Auf einem Hearing stellten die Grünen ihren Entwurf für ein neues Akteneinsichtsrecht vor / Unbeschränkte Einsichtsrechte aber auf Umweltbereich beschränkt / BRD hinkt im internationalen Vergleich hinterher: Allgemeines Akteneinsichtsrecht in den USA schon seit 1967

Aus Bonn Berndt Biewendt

Nichts Geringeres als die „gläserne Verwaltung“ sei das Ziel des von den Grünen eingebrachten Gesetzentwurfs über das Einsichtsrecht in Umweltakten. Mit dieser Erklärung eröffnete Otto Schily am Donnerstag ein von den Grünen in Bonn veranstaltetes Internationales Forum, bei dem die rechtlichen Probleme und praktischen Konsequenzen der angestrebten Novellierung des Akteneinsichtsrechts erörtert wurden. Der schon im Juli in den Bundestag eingebrachte, aber noch nicht beratene grüne Gesetzentwurf sieht vor, daß sich jede/r Einsicht in Verwaltungsakten verschaffen kann, ohne den Verwendungszweck angeben oder ein berechtigtes Interesse nachweisen zu müssen. Ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte! Nach geltendem Recht haben bislang nur diejenigen einen Anspruch auf Akteneinsicht, die von Verwaltungsmaßnahmen unmittelbar betroffen sind und ein individuelles rechtliches Interesse nachweisen können. Allerdings begründet der vorliegende Gesetzentwurf kein Ein sichtsrecht in Akten aller Verwaltungs–Bereiche. Die Möglichkeiten zur direkten Kontrolle durch die Bevölkerung sollen auf die Umweltverwaltung beschränkt bleiben. Von den Grünen wird der Bereich Umwelt jedoch sehr extensiv ausgelegt. Das Akteneinsichtsrecht erstreckt sich nach Maßgabe des Gesetzentwurfs vom Atom–, Immissions–, Abfallbeseitigungs– und Wasserhaushaltsrecht über den Gesundheitsschutz bis zu Bau– und Planungsvorschriften. Warum dann nicht gleich ein umfassendes Akteneinsichtsrecht für alle Verwaltungsbereiche? Dies wäre - so Otto Schily - kein „handhabares Instrument“ mehr. Ein allgemeines Akteneinsichtsrecht mußte dem Datenschutz sowie den Geschäfts– und Betriebsgeheimnissen Rechnung tragen und mit allgemeingehaltenen Ausnahmeregelungen arbeiten, was eine Verwässerung der ursprünglichen Ziele zur Folge hätte. Um auch für die übrige Verwaltung das Prinzip der Aktenöffentlichkeit einzuführen, habe das Einsichtsrecht in Umweltakten aber eine „Pilotfunktion“, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs. Daß ein allgemeinees Akteneinsichtsrecht möglich ist, ohne zwangsläufig die Transparenz und Kontrollierbarkeit der Verwaltung einzuschränken, erläuterte dagegen der US–amerikanische Rechtsanwalt Cornish F. Hitchcock anhand des 1967 in den USA verabschiedeten „Freedom of Informationen Act“. Dieses Gesetz, das den öffentlichen Zugang zu amtlichen Informationen regelt, ist im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Grünen nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt. Nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Staaten wird seit langem eine öffentliche Kontrolle der Verwaltung praktiziert. Theo Schiller, Professor für Politologie an der Universität Marburg, wies in seinem Vortrag darauf hin, daß sich die Bundesrepublik mit ihrem traditionellen Geheimhaltungsgrundsatz mittlerweile international isoliert habe. Während Schweden bereits im 18. Jahrhundert den Zugang zu allen Informationen im staatlichen Bereich gewährte, haben Finnland 1951, die USA 1967, Norwegen und Dänemark 1970, Frankreich 1978, die Niederlande 1980 und als letzte Kanada 1983 ein Akteneinsichtsrecht geschaffen. Das Prinzip der Aktenöffentlichkeit könne nach Ansicht von Theo Sommer in der Bundesrepublik nur unter der Bedingung durchgesetzt werden, daß die Bevölkerung sich ihres Informationsdefizits bewußt werde und ausreichend politischen Druck entfalte. Otto Schily bedauerte übrigens, daß die eingeladenen Vertreter des Bundesverbands der deutschen Industrie den Forumsdiskussionen fernblieben. Sie werden ihre Gründe gehabt haben.

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