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Wir vertrauen auf Gott und auf uns selbst

■ Begegnung mit Assayed Hussein Mussawi, dem Chef der libanesischen Schiiten–Organisation Amal Islamiye

Von Petra Groll

Der aufgehenden Sonne entgegen gelangen wir nach Baalbek, der mehrheitlich von Schiiten bewohnten 20.000 Seelenstadt im libanesischen Bekaatal. Die Gegend verspricht Exotisches. Erstens die berühmten Haschischplantagen, zweitens das Hauptquartier von Amal–Islamiye, einer Organisation libanesischer Schiiten, die sich 1982 von der Sammelbewegung Amal des Rechtsanwalts und heutigen Ministers für den besetzten Südlibanon, Nabih Berri trennte. Der Amal–Chef hatte sich nämlich geweigert, den aus der iranischen Hauptstadt Teheran anvisierten politischen Kurs libanesischer Innenpolitik zu übernehmen und den Nationalen Dialog, also Verhandlungen mit den anderen libanesischen Interessengruppen fortgesetzt. Den Chef von Amal Islamiye, Assayed Hussein Mussawi zu treffen, ist Ziel der Fahrt. Ein vielleicht vierzigjähriger Baalabaki, ehemaliger Tierarzt und jetzt offensichtlich für ausländische Besucher zuständig, wird übersetzen. Ein nettes Geplänkel überbrückt die Zeit des Wartens und Teetrinkens. Ob wir in Beirut gewesen seien, als man die Amerikaner das Fliegen gelehrt habe. Ob es nicht tatsächlich ein Vogelschwarm gewesen sei, der während des Schleuderganges aus der Trommel einer Waschmaschine befreit wird. Sei es nicht genau so gewesen, 1983, als im Oktober das Hauptquartier des achten Bataillons der US–Marines in Beirut hochgegangen war? Der Tierarzt fährt uns durch die hoffnungslos verstopften Gassen Baalbeks. Iranische Musik aus dem Cassettenrecorder. Seinen überaus deutlichen Yankee–Akzent will er während seines Studiums an der Beiruter Amerikanischen Universität angenommen haben. Wir werden peinlichst genau durchsucht. An der winzigen Parfumflasche muß ich selbst riechen, für den Fall, daß es Gift enthalte, „Lippenstifte brauchen wir hier nicht“, klärt man mich auf. Dann endlich werden wir in die Gemächer des Mannes vorgelassen, den wohl die meisten Europäer, erst recht US–Amerikaner nicht einmal im Traum sehen möchten. Amal Islamiye ist nicht nur durch ziahlreiche Himmelfahrtskommandos gegen US– Einrichtungen und israelische Besatzungsposten im Libanon bekannt geworden. Auch die Entführung mehrerer im Libanon lebender Ausländer wird auf das Konto seiner Organisation gezählt. „Jihad Islamiye“, der „Heilige Krieg“, der bei allerlei Attentaten und Entführungen verantwortlich zeichnete, wird von den meisten westlichen Beobachtern der libanesischen Scene und auch von den diversen Geheimdiensten als Deckname angesehen, hinter dem sich zu entsprechendem Anlaß immer wieder verschiedene Gruppierungen versammeln. „Wir haben wiederholt gesagt, daß wir mit den Geiselnahmen nichts zu tun haben“, erklärt Assayed Mussawi auf meine Erkundigung nach dem Verbleib der französischen Geiseln. Immerhin sind gerade zwei oppositionelle Iraker wieder in die Hände der französischen Regierung gelangt, um so einer Forderung der Kidnapper nachzukommen. „Dieser und andere Schritte werden die Beziehungen zwischen Frankreich und den Moslems verbessern und die Fehler vergangener Zeiten korrigieren“, sagt Mussawi. Auf weitere Fragen zum Thema „Geiseln“ will er sich aber nicht einlassen. Die internen Streitereien der libanesischen Schiiten bieten jedoch genügend Anlaß zur Nachfrage. Viele Beobachter halten es nur noch für eine Frage der Zeit, wann aus den gelegentlichen Scharmützeln zwischen den Fraktionen, sei es nun, daß sie im Südlibanon oder in den Slums der südlichen Beiruter Vororte stattfinden, ein harter Sippenkrieg wird. Eines der derzeit heißesten Eisen ist die Frage nach Einrichtung einer Islamischen Republik nach iranischem Vorbild. Der Beiruter Amal–Chef Nabih Berri hat sich eindeutig dagegen ausgesprochen und sich damit die Attribute „gemäßigt“ und „laizistisch“ eingehandelt. Das sichert ihm nicht nur seinen Ministersessel, so bleibt er auch innerhalb und außerhalb des Landes Gesprächspartner. „Libanon ist ein Teil im Kampf der Moslems gegen die Ungläubigen, an deren Spitze Israel steht“, meint dagegen Assayed Mussawi. „Die libanesischen Phalangisten (Partei der derzeitigen libanesischen Minderheitsregierung, d.R.) sind von Israel eingesetzt worden und sind somit ein Teil dieses Kampfes. Es gab Diskussionen zwischen den beiden libanesischen Seiten, die aber keine Lösung verheißen. Unserer Meinung nach muß die Konfrontation mit Israel und dem Phalangistenregime fortgesetzt werden, bis diese Regierung zerschlagen und gestürzt ist. Diese Regierung und die derzeitige Verfassung sind ein Objekt Israels, mit dem Ziel, Libanon zur Kolonie des Zionismus zu machen. Wir glauben nicht, das Libanon sofort oder in allernächster Zeit Teil der Islami schen Republik sein kann. Aber die islamische Revolution unter Führung des Imam Khomeiny bewegt sich auf den Libanon zu. Wenn die islamische Revolution Jerusalem erreicht hat, dann wird es kein Israel mehr geben, dann wird es eine islamische Regierung für alle Länder dieser Region geben, dann wird Libanon auf der Landkarte ein Teil der Islamischen Republik sein. Und das ist die sichere Zukunft.“ Die Konfrontation mit Israel findet derzeit im Südlibanon statt. Und die jüngsten Ereignisse im Südlibanon sind das nächste Thema, über das die schiitischen Fraktionen sich nicht einig sind. Es war Nabih Berris Amal–mainstream, der erst wenige Tage vor der Begegnung mit Mussawi zur nationalen Großdemo in der südlibanesischen Stadt Sour (Tyros) aufgerufen hatte. Den Interimstruppen der UNO (UNIFIL) sollte die Sympathie der südlibanesischen Bevölkerung bewiesen werden. Mussawi: „Wie Sie wissen, wird Israel von den USA, von Großbritannien und den zionistischen Regierungen unterstützt. Israel soll deren Polizei spielen und die undisziplinierten Völker der Region bestrafen. Die israelische Regierung will einmarschieren, den Süden besetzen und zu einem Teil Israels machen. Die Kolonialmächte, die ihre Truppen unter der Fahne der UNO in den Südlibanon gesandt haben, benutzen die UN–Resolution 425 , um den Interessen Israels zu dienen. Wir, die Söhne der Nation von Hizb Allah (Partei Gottes), sind vom Zweck dieser UNO–Resolution nicht überzeugt. Wir sehen nicht, daß die UN–Resolutionen der Bevölkerung Südlibanons helfen. Wir vertrauen auf Gott und auf uns selbst, wir stellen fest, daß, wer auf UNIFIL vertraut, einen Fehler begeht und zu schwach ist, selbst etwas zu unternehmen.“ „Sind an den Operationen im Südlibanon Kommandos der PLO beteiligt?“ Mussawi: „Bislang kooperieren wir nicht mit palästinensischen Parteien oder Organisationen, bis jetzt nicht. Aber wir haben spezielle Beziehungen zu den Gläubigen unter den Palästinensern, die sich auch am Widerstand beteiligen. Jeder gläubige Palästinenser wird von uns als Bruder und Partner im Kampf gegen Israel betrachtet, wir haben gemeinsame Märtyrer in diesem Krieg.“ Der Tierarzt notiert sich die arabischen Erklärungen Mussawis, Mussawi korrigiert die englische Übersetzung bisweilen. Mir gibt es Zeit, den Mann etwas genauer zu betrachten. Assayed Mussawi strahlt eine ungeheure Konzentrationskraft aus, spricht außergewöhnlich klar, eigentlich „stellt“ er seine Worte in den Raum. Nur ab und an läßt er die Gebetskette durch die gepflegten Hände gleiten. Und nur ein einziges Mal während der einstündigen Begegnung verraten seine Augen, welch ein Vulkan auszubrechen vermag. Dabei ist der Anlaß gering: Irgendjemand ist neugierig und schaut ins Zimmer. Aber nur ganz kurz, die Augenlitze des Chefs haben ihn sofort vertrieben. Für den Rest des Gesprächs bleibt die Tür geschlossen. „Das Bonner Außenministerium fürchtet offenbar um die Sicherheit der bundesdeutschen Einrichtungen in Westbeirut und hat die Präsenz stark eingeschränkt. Gerade heute wurden iranische Flüchtlinge aus der BRD zurückgeschickt, die Abschiebung libanesischer und palästinensischer Flüchtlinge steht bevor. Nehmen Sie der Bundesrepublik diese Maßnahmen übel?“ „Grundsätzlich beschuldigen wir alle Staaten wie z. B. Kanada, die den Emigranten die Tür öffnen, der Kooperation mit Israel. Sie sorgen dafür, daß die Anzahl der Moslems sinkt. Deshalb haben wir nicht das geringste dagegen, daß die BRD die libanesischen Moslems oder Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran zurückschickt. Wir begrüßen diese Maßnahme als Kooperation im Kampf gegen Israel. Ich sehe keinerlei negative Situation für die Deutschen. Wir glauben, daß die deutschen Politiker sich um gute Beziehungen zu den Moslems, ganz besonders zum Iran bemühen. Jeder Freund der Islamischen Republik ist unser Freund.“ Schließlich kommt es zum entspannteren Teil der Sitzung. Kaffee und Obst werden serviert. Für den Fotografen werden der dreijährige Neffe und die 17–monatige Nichte des Chefs hereingeholt. Der Junge im Mini–Kampfanzug, das kleine Mädchen in schwarz, bis auf das winzige Gesicht dicht verschleiert. „Sie ist eine gute kleine Moslemin, Hamadiyah“, stellt Mussawi die Kleine vor und weist so noch einmal darauf hin, daß mir das Kopftuch schon wieder aus der Stirn gerutscht ist. „Shoot at her first“, befiehlt der Tierarzt, als der Fotograf die Kameras wechselt und deutet auf mich. Assayed Mussawi fürchtet offenbar weniger um seine Sicherheit als die Aufpasser und lacht, als ich den Fotografen ermuntere, zuerst mich umzubringen. Die UN–Resolution 425 stammt aus dem Jahr 78. Nach der israelischen Invasion in dem Jahr forderte die UNO Israel zum Abzug seiner Truppen aus dem Libanon auf und entsandte gleichzeitig die Interimstruppen.

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