: Aus dem Inneren eines Reaktors
■ Seit 18 Jahren steht das AKW Obrigheim im Odenwald unter Volldampf / Einer Einladung des baden–württembergischen Wirtschaftsministers in das AKW folgte auch der taz–Reporter / Wie erwartet lautet die Botschaft: „Sicherer geht es nicht!“
Von Dietrich Willier
Obrigheim (taz) - Das mittelalterliche Städtchen Obrigheim liegt eingekeilt zwischen den finsteren Wäldern des Spessart und Odenwald. Der Neckar ist hier nicht nur schiffbar, sondern auch für exotische Warmwasserfische bestens geeignet. Die schöne, große Kreissparkasse aus Beton und das Freizeitcenter lassen den Verfall der Fachwerkhäuser vergessen. Wo es einst trübe und finster war, ist es seit 18 Jahren poppig und licht. Solange hat Obrigheim schon sein Atomkraftwerk und seit kurzem für zwei Milliarden Mark auch ein vollautomatisches Sicherheitszentrum. Und weil Atomkraft nicht nur sauber sondern auch wirtschaftlich ist, lud der baden–württembergische Wirtschaftsminister Martin Herzog nach Obrigheim ein. Sogar in den Reaktorkern, dort, wo der blanke Brennstab im azurblauen Wasser dümpelt. Nur wenige Journalisten waren aus der Landeshauptstadt hierhergekommen, um das von den Grünen und der SPD für schrottreif gehaltene AKW zu betreten und sich vom Herrn Dangelmeier, dem kaufmännischen Direktor anzuhören, daß das Ding im Durchschnitt zu 80 18 Jahren produziert es für die schwäbische Energieversorgung und die Badenwerke, hat mit vielen Tests und Innovationen Sicherheits–Patente zur Produktionsreife geführt, und nur einmal, vor 14 Jahren, sei ein Störfall eingetreten. Jetzt eben, zu Ehren des Herrn Minister und der anwesenden Journalisten, fahre man sogar Vollast. Im Eingang des Reaktorgebäudes hängen Fahndungsplakate, wir, die Besucher gruppe werden oberflächlich mit Metallsonden abgesucht. Unsere Begleiter, das Direktorium, Techniker und Herren des Betriebsrats, erzählen uns freundlich, daß man zur Wiederaufbereitung der hiesigen Brennstäbe kein Wackersdorf brauche, weil es ja die französische WAA in La Hague gebe. Vorbei geht es an dem vollautomatischen Reaktorsicherheitsgebäude. Oben auf dem Gebäude ist ein hölzernes Wachhäuschen installiert. Wir müssen unsere Ausweise abgeben und erhalten dafür kleine Radioaktivitätsmeßgeräte, die von 0–100 rem alles registrieren, was uns an Strahlung behelligen könnte. 2/3 des atomar erzeugten Dampfes, hören wir, entweiche als Verlustwärme in den Neckar. Wir werden in weiße Mäntel, in Überschuhe und weiße Handschuhe gekleidet, und durch eine vollautomatische Schleuse ins frischgewienerte Heiligtum geführt, 18 mm Stahl und 44 mm Beton hüllen uns ein. Mein Strahlenmeßgerät zeigt Veränderung, auf 2–3 rem steht die Nadel. Als ich einen Ingenieur darauf aufmerksam mache, steht es wieder auf Null. Ich müsse mich getäuscht haben, belehrt mich der Ingenieur, denn erstens gebe es hier keine Strahlung und zweitens gelte die Anzeige nur, wenn die Nadel auch bei dem gemessenen Wert stehen bleibe. Auch nach Verlassen des Reaktorgebäudes durch eine Dekontaminationsschleuse werden wir mit einem Strahlenmeßgerät abgesondet. Das Gerät knattert. Wenn es das nicht täte, werde ich belehrt, sei es defekt. Wieder im Konferenzsaal, sitzt uns der Betriebsratsvorsitzende gegenüber, sein AKW zu preisen. Es gelte nur das „gesprochene Wort“, sagt er, um Mißverständnissen vorzubeugen: Denn die Gemeinsamkeit in der Energiepolitik sei nach Tschernobyl und vor der Bundestagswahl verlorengegangen. Sie, die Beschäftigten, verteidigt Siegfried Lange, Betriebsratsvorsitzender, ÖTV– und SPD–Mitglied die Interessen der 300 köpfigen Belegschaft, hätten überhaupt kein „Verständnis dafür, daß einige Politiker den Ausstieg aus der Kernenergie, koste es volkswirtschaftlich oder wirtschaftlich was es wolle, zum Eldorado für Wahlkämpfe nutzen wollten“. Arbeitsplätze blieben nur gesichert mit preisgünstiger Energieversorgung. Auch wenn von Wissen schaftlern ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann, so der Betriebsratsvorsitzende, so könne es doch nie zu einem Störfall mit Auswirkungen auf die Bevölkerung kommen. Weshalb es dann eigentlich Katastrophenschutzpläne– und Übungen für baden– württembergische AKWs gibt, kann sich der ÖTV–Mann auch nicht erklären. Jedenfalls „war Obrigheim 1968 sicherheitstechnisch in Ordnung und ist es auch 1986“. Und es solle doch ja niemand glauben, daß gerade die Mitarbeiter des AKW Obrigheim, die ja das Kernkraftwerk kennen, ihre Gesundheit oder ihr Leben aufs Spiel setzen würden! Der baden– württembergische Wirtschaftsminister scheint sich da in der offiziellen Beurteilung des AKW Obrigheim nicht ganz so sicher zu sein. Mit einem eigenen Gutachten soll bis zum Sommer nächsten Jahres die Sicherheit hiesiger AKWs nachgewiesen werden, um dann unabhängig von politischen Kontroversen in Ruhe weiterdiskutieren zu können. Sicher ist daß Block 2 des AKW Neckarwestheim in Betrieb gehen wird, einen Bedarf darüber hinaus soll es nicht geben. Der Minister verabschiedet sich, das kalte Buffet und der Riesling werden aufgefahren.
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