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Sandinos Erben setzen auf Niem

■ Ein „revolutionärer Baum“ weist Wege zur „sanften Chemie“ / Impressionen und Bilanz einer Reise nach Nicaragua von Hanswerner Mackwitz

Der Krieg und die Zerstörung der Umwelt haben viel miteinander zu tun in Nicaragua. Die Angriffe der Contras binden die wenigen verfügbaren Mittel, in Kriegsgebieten liegt fruchtbares Land brach. In weiten Teilen des Landes ist die Philosophie der Grünen Revolution - mit allen bedenklichen Folgen - noch nicht überwunden. Dennoch: Nicaragua hat die Zeichen der Zeit erkannt. Ein breit angelegtes Aufforstungsprogramm soll nicht nur die Erosionsprobleme mildern. Durch die Pflanzung von 750.000 Niem–Bäumen in drei Jahren wollen die Nicas von giftigen Pestizidimporten unabhängig werden. „Die erste Erfahrung, die wir hier gemacht haben, ist, daß in Nicaragua nix klappt wie es soll - aber alles klappt irgendwie“. Dieter Schmidt, 37, Biologielehrer aus Dreieich bei Frankfurt sitzt neben mir am Strand des Pazifischen Ozeans in Casares. Es ist 7.00 Uhr morgens, angenehm warm und friedlich. Strandkrebse flitzen über den Sand, eine Sechserformation Kraniche zieht über die Wellen. Dieter hat sich für ein Jahr von der Schule beurlauben lassen, um hier in Nicaragua als Brigadist Niem–Bäume zu pflanzen. Niem– Bäume (siehe Kasten) haben für engagierte Biologen und Landwirtschaftsexperten eine besondere Attraktivität. Öl–Palmen im Odenwald Der Niem ist in Nicaragua ursprünglich nicht beheimatet. Deshalb muß er dort von vielen emsigen Händen gesetzt, gepflegt, geerntet und verarbeitet werden. Die Anlaufschwierigkeiten bei der Vermittlung an die Campesinos waren enorm, „so ähnlich, als wolle man einen Bauer im Odenwald dazu bringen, Öl–Palmen zu pflanzen“, meint der Biologielehrer. Wenig später stehen wir schweißtriefend bei brütender Hitze auf der Landwirtschaftskooperative La Flor, um Löcher in den Boden zu bohren und Niem– Setzlinge zwischen den Bananen einzugraben. Mit einem Ruck wirft der Campesino Francisco Gonzales den Diesel–Motor des Erdbohrers an. Der Boden ist hart und trocken obwohl es erst gestern Sturzbäche geregnet hat. 300 Pflanzlöcher für 300 Bäume in vier Stunden, das grenzt schon fast an Akkord. Fünf Helfer aus Deutschland arbeiten hier gemeinsam mit fünf Nicas an der Verbreitung der Niem–Kultur. Jürgen Valdix aus Konstanz ist Agrarwissenschaftler und gehört ebenfalls zu den Förderern des Niem. Er hat seine Diplomarbeit über „Die Verunkrautung in Nicaragua“ gemacht und betreut jetzt das Niem–Aufforstungsprojekt in der Region IV. Allein in der Zone Diriamba will Jürgen bald 30.000 Niem– Bäume in der Erde haben. Warum der ganze Aufwand? In spätestens drei bis fünf Jahren sollen mit einfachen Wasserextrakten aus den Samen der Niem–Früchte die gefährlichen Schädlinge bei Mais, Bohnen und Hirse in Schach gehalten werden. Doch die Campesinos sind noch etwas mißtrauisch: Intensive Kontakte mit der Bevölkerung, Seminare über Nutzen und Vorteile des Niem, Aufklärung über die Gefährdung durch chemische Pestizide, verbunden mit oft schwerer körperlicher Arbeit sind notwendige Überzeugungsarbeit. Die Niem–Schule in Leon In Leon bei Julio Molla steht die schönste und größte Niem–Baumschule des Landes. Nur wenige Kilometer von den Baumwoll–Monokulturen entfernt, die durch ihren gigantischen Pestizid–Einsatz aus der Luft mittlerweile traurige Berühmtheit erlangt haben. Dicht an dicht stehen hier Tausende von Niem–Setzlingen, wie die Orgelpfeifen, feinsäuberlich nach Größe und Alter geordnet. Die zarten weißen Blüten des Niem duften nach Honig, die grünen bis gelben Früchte kann man mit kleinen Oliven oder Kaffeebohnen vergleichen. In den ersten Monaten müssen die Niem– Pflänzchen von Unkraut freigehalten werden. Gejätet wird allemal mit der Hand. Mit Schädlingen gab es bislang keine Probleme in der Baumschule. „Im Gegenteil“, bekräfigt Julio mit ausholender Bewegung, „ich habe den Eindruck, daß sogar in der Umgebung der Niem–Pflanzen, auf den Nachbarkulturen, die Schadinsekten vertrieben und ferngehalten werden“. Allein im Jahr 1985 sind bei Julio 62.000 Niem–Setzlinge kultiviert worden, davon wurden 1986 bereits etwa 20.000 in die Region Diriamba gebracht und an verschiedenen Orten erneut eingesetzt. Die Bäume wurden zwischen oder an den Rand der Kulturen gepflanzt. Auf diese Weise geht keine Anbaufläche für Feldfrüchte verloren. „Ein echt revolutionäres Gewächs“ Wie offizielle Stellen das Niem– Projekt bewerten, erfährt man am besten in der Hauptstadt des Landes. Aufbruch um 6.00 Uhr morgens in Diriamba. Über 60 Kilometer Schlaglöcher. Nach zweieinhalb Stunden haben wirs geschafft. Miguel Reyes, freundlich–agiler Abteilungsleiter des Instituts für natürliche Ressourcen und Umwelt in Managua, empfängt uns in seinem klimatisierten Büro. Seit zehn Jahren befaßt er sich mit dem Niem–Baum. Und er weiß, daß sich der Niem besonders gut für die Pazifik–Küste eignet, er läßt sich aber auch in den anderen Regionen des Landes kultivieren. Es sei das erklärte Ziel der Regierung, gemeinsam mit deutscher Unterstützung 250.000 Niem– Bäume pro Jahr zu pflanzen. Wenn also in drei Jahren 750.000 Niem–Setzlinge heranwachsen, könne man auf ein genügend großes Potential zurückgreifen. Größere Niem–Pflanzungen werden derzeit in Jalpa, Matagalpa, Sebaco, San Miguelito, Leon, Managua, Masaya, Diriamba und Rivas angelegt. Ursprünglich war beabsichtigt, den Niem hauptsächlich als Brennholz anzusehen. Heute liegt das Interesse Nicaraguas zweifellos bei der multiplen Nutzung, wobei das Schwergewicht auf die Gewinnung insektentoxischer Pflanzeninhaltsstoffe gelegt wird. Auf meine Frage, ob denn der Niem in die revolutionäre Bewegung Nicaraguas paßt, antwortete Miguel Reyes ohne zu zögern: „Ja, der Niem ist zweifellos ein Baum unserer Revolution, ein echt revolutionäres Gewächs“. Feldversuche erfolgreich Der Niem muß nicht nur dezentral kultiviert und - solange er jung ist - von Unkraut freigehalten werden. Es müssen auch Untersuchungsprogramme über die Anwendungsmöglichkeiten der Niem–Extrakte bei der Bekämpfung wichtiger Schadinsekten in Nicaragua durchgeführt werden. Dies ist teilweise schon geschehen, die Ergebnisse der Feldversuche sind vielversprechend und lassen auf gute Erfolge in der landwirtschaftlichen Praxis hoffen. Die Extrakte werden während der Pilotphase für die Praxis–Versuche dringend benötigt, sie müssen nach einer möglichst „standardisierten“ Methode praxisorientiert produziert werden. Das alles ist keine Hexerei und erfordert keine hochkomplizierten technischen Geräte. Doch selbst einfache Extraktionsapparate sind in Nicaragua nicht zu haben. Katja Gruber, eine Biologin aus Berlin, hat sich diesem Problem gewidmet und die Ausrüstung in der BRD organisiert. Die Niem–Samen holt sie sich in der Baumschule in Leon und zerkleinert sie im Labor in Managua mit einer gewöhnlichen Getreidemühle. Anschließend werden die insektenwirksamen Substanzen mit diversen Lösemitteln (u.a. auch nur mit Wasser) ausgezogen und der Gehalt an Azadirachtin bestimmt (s.Kasten). Für die Herstellung eines Wasserextrakts werden 50 Gramm gemahlene Niem–Kerne mit ein Liter Wasser gemischt und während zwölf Stunden bei langsamer Geschwindigkeit gerührt, anschließend wird filtriert, z.B. mithilfe eines feinen Leinensacks, und die Spritzbrühe ist fertig. Für die Behandlung von einem Hektar stark befallener landwirtschaftlicher Nutzfläche werden ca. 500 Liter Extrakt benötigt, das entspricht der Ernte von fünf Niem–Bäumen. Niem nützt Nützlingen -“soft and beautiful“ Es geht auch um die Nebeneffekte. Ob denn die gefräßigen Spodoptera–Raupen, die den Grundnahrungsmitteln Mais, Hirse und Bohnen so zusetzen, und die sich später zu einer Art Nachtfalter entwickeln, auch natürliche Feinde haben, will ich wissen. „Selbstverständlich, zwei sehr aktive Feinde sogar !“ Katja erzählt von einer räuberischen Ameise und einem ebenso räuberischen Ohrwurm. Beide sind typische Eier– und Larvenräuber. „Vor allem die kleinen Spodoptera–Larven werden von Ameisen und Ohrwürmern betäubt und abgeschleppt. „Diese Nützlinge werden durch Niem aber in keiner Weise geschädigt. Ein Erklärungsversuch für dieses Phänomen könnte lauten, daß die Konzentration an Azadirachtin einfach zu gering ist, um die erwachsenen Nutzinsekten nachteilig zu beeinflussen. Wenn man jetzt noch in Rechnung stellt, daß bei allen bisherigen Versuchen mit dem Niem keinerlei Resistenzen bei den Schadinsekten beobachtet werden, läßt sich folgendes Fazit ziehen: Der Niem–Baum kann und muß tatsächlich als biologisches Pflanzenschutzmittel auch im Sinn einer ökologisch– orientierten Landwirtschaft verstanden werden, da er das Hauptziel des ökologischen Landbaus - nämlich die Selbstregulierungskräfte eines solchen Landwirtschaftssystems wiederaufzubauen - erfüllen kann. Erwähnenswert ist auch, daß die Kombination von Niem mit Bazilluis Thuringiensis sich als noch wirksamer erwiesen hat. Bazillus Thuringiensis ist ein Bakterienpräparat, welches nur bei den schädlichen Raupen tödliche Infektionen hervorruft. Die Wechselwirkung ist verständlich, denn ein von Bazillus Thuringiensis bereits geschwächtes Insekt wird natürlich auf den Niem–Extrakt besonders heftig reagieren - und umgekehrt. Der Witz bei den Niem–Projekten in Nicaragua liegt zweifelsohne in der dezentralen Gewinnung und Anwendung eines ungiftigen Pestizids. Mit dem Niem vor der Haustür können die Campesinos in den landwirtschaftlichen Betrieben und Genossenschaften bei Bedarf jederzeit mit einer sanften Technologie - ohne sich und andere zu gefährden - die Schädlingspopulationen kontrollieren..Wer mit den Realitäten in Nicaragua vertraut ist, weiß, wie schwierig es unter den dort herrschenden Verhältnissen ist, den ökologischen Landbau in naher Zukunft zu forcieren. „Eco–Farmin“ mit mehrteiliger Fruchtfolge und Mischkulturen ist zwar sowohl im tropischen Regenwald als auch in der Savanne möglich; Versuche im afrikanischen Ruanda haben sich als aussichtsreich und übertragbar erwiesen. Aber Nicaragua kämpft wirtschaftlich ums Überleben und befindet sich noch immer in einer Übergangsphase. In weiten Teilen des Landes ist die Philosophie der Grünen Revolution noch nicht überwunden: Hohe Gaben löslicher Mineraldünger beschleunigen die grassierende Erosion der tropischen Böden und Pestizide - darunter Gifte schwersten Kalibers - gefährden die Arbeiter in den Fabriken und die Campesinos, Frauen und Kinder auf den Plantagen. Nahrung und Muttermilch sind teilweise mit unerträglich hohen Giftrückständen belastet - bis zum 33–fachen der WHO–Toleranzen. Aus der Umgebung der Baumwoll–Plantagen, die mit Pestiziden wie Toxaphen aus dem Flugzeug begiftet werden, wird berichtet, daß Kinder erschreckend häufig mit Mißbildungen geboren werden. Ob ein kausaler Zusammenhang besteht, wird derzeit u. a. von dem deutschen Arzt Carlos Vanzetti erforscht. Vanzetti kämpfte schon vor der Revolution mit der FSLN. Seit 1979 arbeitet er am L. Fonseca Hospital in Managua. Er sieht wenig Chancen, die Pestizide überhaupt einzudämmen: „Die meisten Europäer machen sich überhaupt keine Vorstellungen, wie sich hier in den Tropen die Schädlinge vermehren. Es ist unglaublich, mit welcher Schnelligkeit, mit welcher unheimlichen Massivität sie hier auftreten!“ Natürlich hat diese Fehlentwicklung historische Gründe; aber die Nicas wissen, daß sie diesen verhängnisvollen Trend stoppen müssen. In ihrem Verfassungsentwurf haben die Sandinisten „das Recht des Volkes auf eine vernünftige Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Notwendigkeit, dem Schutz der Umwelt Priorität einzuräumen“, explizit hervorgehoben. Umweltschonend ist der Niem allemal. Er ist sicher kein Allheilmittel für alle Probleme und Irrtümer der Landwirtschaft in Nicaragua. Doch das Niem– Projekt weist in die richtige Richtung. Wenn es so gut weiterläuft wie bisher, wird Nicaragua in fünf Jahren auf giftige Insektizidimporte weitgehend verzichten können und es wird gleichzeitig bewiesen haben, daß die „Sanfte Chemie“ in der Praxis keine Utopie darstellt. Das wichtigste dabei ist, daß ein Projekt in dieser Größenordnung und dezentralen Ausrichtung an die regionalen Gegebenheiten bisher noch nirgendwo auf der Welt verwirklicht wurde. Weiter Information zum Niem– Projekt bei: VFLU (Verein zur Förderung von Landwirtschaft und Umweltschutz in der Dritten Welt e.V.), Mainzer Straße 14, 6501 Stadecken–Elsheim 2, Tel. 06130–460

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