: Schlechte Aussichten für die Abrüstung
■ Internationales Institut für Strategische Studien in London legt Bericht vor / Abrüstungsvereinbarungen zwischen den Supermächten sind nach Reykjavik schlechter geworden / Kräfteverhältnis unverändert / Wachsende Gefahr für Sicherheit in Nordafrika und im Nahen Osten
London (afp) - Die Aussichten für das Zustandekommen von Abrüstungsvereinbarungen zwischen den beiden Supermächten sind nach dem Gipfeltreffen in Reykjavik schlechter geworden. Diese Ansicht wird in dem Jahresbericht 1986–1987 des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London vertreten. Es gebe „nicht viel Zeichen“ dafür, daß der Abgrund zwischen den USA und der Sowjetunion überbrückt werden könne, sagte Institutsdirektor Robert ONeill am Donnerstag bei der Vorlage des Berichts. Bei dem isländischen Treffen zwischen US–Präsident Ronald Reagan und dem Kremlführer Michail Gorbatschow Mitte Oktober sei die Verbindung zwischen den Mittelstreckenwaffen in Europa und der Strategischen Verteidigungsinitiatve (SDI) erneut bekräftigt worden. Es ist sehr schwer auszumachen, wie es ohne eine grundlegende Änderung der Ansichten bei den Regierungsführern eine Annäherung beider Positionen geben könnte“, meinte der Experte. Dem Bericht zufolge investieren beide Mächte bedeutende Summen in die Weltraumwaffen– Forschung. Washington hat im Untersuchungszeitraum seine SDI–Ausgaben mit einer Aufstockung von 1,4 Milliarden auf 2,7 Milliarden praktisch verdoppelt. Bezüglich der UdSSR verfügt das Institut nicht über präzise Zahlen, geht aber davon aus, daß Moskaus Ausgaben für den Bereich der Raketenabwehrsysteme „vergleichbar mit denen der Amerikaner“ sind. Das nukleare Kräfteverhältnis zwischen beiden Staaten ist den Londoner Experten zufolge „mit Nach– und Vorteilen auf beiden Seiten“ unverändert geblieben. Die USA haben mit der Aufstellung ihrer neuen Interkontinentalrakete MX (Peacemaker) begonnen, von denen zwei im September in umgebauten Bunkern der früheren Minuteman–III–Rakete untergebracht wurden. Dem entspricht auf der sowjetischen Seite die eingeleitete Stationierung der mobilen SS–25–Rakete mit einem Sprengkopf. Die Sowjetunion hat - so das IISS - die klare Überlegenheit im Bereich der landgestützten Langstreckenwaffen, während die USA bei solchen Waffen auf U–Booten und Flugzeugen einen Vorteil von jeweils zwei zu eins und vier zu eins hat. Die von der Regierung Reagan betriebene Modernisierung der amerikanischen Rüstung hat vor allem zu einer mengenmäßigen Materialverbesserung geführt, während die Sowjetunion ihre Rüstung qualitativ aufgewertet hat, ohne allerdings einen „echten technologischen Durchbruch“ zu erreichen, heißt es in der Studie. Für die kommenden Jahre lassen die im amerikanischen Verteidigungshaushalt vorgesehenen Einsparungen eine „bedeutende“ Ausgabenreduzierung voraussehen, die Washington zu einer Überprüfung seiner strategischen Rüstungspläne zwingen wird. Die Sowjetunion wird nach Überzeugung der Experten das Modernisierungsprogramm ihrer Verteidigung bis zum Ende des Jahrzehnts beständig fortsetzen, ohne daß es zu beträchtlichen Neuinvestitionen kommt, heißt es. Die Neuaufstellung der Systeme hat laut IISS praktisch keine zahlenmäßige Erhöhung bewirkt, weil sie durch den Abbau alter Systeme ausgeglichen wurde. Das Institut schließt mit der Feststellung, daß USA und UdSSR an der Gesamtheit der Rüstungsausgaben in der Welt jeweils einen Anteil von 55 Prozent und 60 Prozent haben, welche auf 75 Prozent und 80 Prozent ansteigen, wenn man den Vergleich auf die NATO und den Waschauer Pakt ausweitet. Wachsende Gefahren sieht das Londoner Institut für die Sicherheit in Nordafrika und dem Nahen Osten, wo das Zusammenwirken von Wirtschaftsrezession, Dauerkonflikten und galloppierendem Bevölkerungszuwachs schwere Erschütterungen befürchten läßt. Die von politischer und militärischer Unsicherheit gezeichneten Nahost–Staaten machen derzeit „die schlimmste Wirtschaftskrise ihrer jüngeren Geschichte“ durch, die zu einem Abfall des Lebensstandards führt, stellen die Experten fest. Das schafft die Gefahr sozialer Unruhen, während die Regierungen gleichzeitig gezwungen sind, ihre Militärausgaben zu reduzieren. Die Golf–Staaten erscheinen in dem Jahresbericht wegen des Zusammenbruchs der Ölpreise und der Schrumpfung der Fördermengen am verwundbarsten.
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