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Kritik an der taz–Titelseite vom Freitag

■ An der Entscheidung der taz–Redaktionskonferenz, den offenen Brief der Brüder des ermordeten Gerold von Braunmühl an die RAF auf der Titelseite der Freitags–Ausgabe abzudrucken, gibt es eine taz–interne Auseinandersetzung um die Plazierung / Wir veröffentlichen zwei kritische Stellungnahmen sowie eine Begründung für diese Entscheidung

Auseinandersetzung mit der RAF - aber nicht so! Wir haben am Donnerstag unsere Arbeit vorübergehend eingestellt, weil wir den Abdruck des Briefes auf Seite 1 der taz für politisch untragbar halten. Um nicht mißverstanden zu werden: Gegen den Abdruck des Briefes in Form einer Dokumentation hatten wir nichts einzuwenden. Wir finden es bemerkenswert, daß die Brüder Gerold von Braunmühls versuchen, sich mit der RAF auseinanderzusetzen, ohne sofort in das Geschrei der Scharfmacher einzustimmen. Durch die Plazierung auf Seite 1 aber hat er als quasi redaktioneller Beitrag einen Stellenwert bekommen, der uns völlig unangemessen erscheint. In den Vordergrund der taz–Berichterstattung wird mit diesem Brief eine moralische Verurteilung der RAF gestellt, während Staatsschutz–Maßnahmen wie die Großfahndung in Baden–Württemberg, die Hausdurchsuchungen in Düsseldorf und die Teilräumung der besetzten Häuser in der Hafenstraße innerhalb der nachrichtlichen Routineberichterstattung abgehandelt werden. Außergewöhnliches Gewicht geben wir durch den Abdruck dieses Briefes an der exponiertesten Stelle, die die taz zur Verfügung stellen kann, nicht etwa der Berichterstattung über einen drohenden neuen Deutschen Herbst, sondern einer christlich– aufklärerisch gestimmten Verurteilung der RAF. Das scheint uns vor allem auch deswegen falsch zu sein, weil in diesem Brief all das fehlt, was ihn wirklich zu einem brisanten Politikum hätte machen können: eine Absage an die Benutzung des Mordes an von Braunmühl durch die Koalition, um das „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus“ durchpeitschen zu können, das sich gegen die gesamte Linke richtet. Mag sein, daß das von der persönlichen Auseinan dersetzung der Brüder von Braunmühls mit dem Anschlag nicht erwartet werden kann - aber die Berliner Zentralredaktion hätte dann den Brief auch wie ein persönliches Dokument behandeln und entsprechend plazieren müssen. Wir denken nicht, daß der Brief geeignet ist, die auch unserer Meinung nach dringend erforderliche Auseinandersetzung mit der RAF und den antiimperialistischen Gruppen in Gang zu setzen. Wenn, wie am Schluß des Briefes geschehen, die RAF in die „mörderische Tradition derer“ gestellt wird, „die sich für Auserwählte der Wahrheit halten, in deren Namen sie die schlimmsten Verbrechen begehen“, trägt das eher dazu bei, die letzten Diskussionsdrähte ganz zu kappen. Und der Appell: „Hört auf. Kommt zurück“, bleibt so lange bloße Phrase, wie damit nicht ganz klar ein Eintreten für eine andere prozessuale Behandlung und andere Haftbedingungen bei RAF–Mitgliedern verbunden ist. z.Z. Bonn Ursel Sieber, Oliver Tolmein, Tina Stadlmayer Ich bin mit einer Veröffentlichung auf Seite 2 oder 3 einverstanden Hier wird ein Pressecoup bis zur Geschmacklosigkeit von der taz ausgeschlachtet. Es dürfte nicht unbekannt sein, daß Attentate der RAF sich nicht einfach in ein Schwarz–Weiß–Muster einzwängen lassen. Die Aktionen der RAF, des damaligen 2. Juni und der RZs sind nicht irgendwelchen kranken Hirnen entsprungen,sondern sind der extremste Ausdruck einer linken Bewegung in der BRD, die nur aus der Geschichte seit 1945 und der Studentenbewegung ab 1967 begriffen werden kann. Auch wenn ich viele Kritikpunkte an der RAF, ihren Aktionen und Erklärungen habe, finde ich nicht, daß dieses alles die Veröffentlichung eines solchen Briefes auf der Seite 1 rechtfertigt. Auf der Seite 1 würde m.E., wenn überhaupt, dann eine Erklärung der taz–Redaktion zum Anschlag gehören, was u.U. auch zwei verschiedene Standpunkte bedeuten könnte. So schlachten wir die persönliche Betroffenheit und Empörung der Brüder von Braunmühl aus, um unsere Verkaufszahlen in die Höhe zu drücken, bzw. auf uns aufmerksam zu machen nach dem Motto „schaut auf die taz, wie sie sich so deutlich und klar von der RAF distanziert“. Egal, wir ihr über die RAF denkt, finde ich dennoch, daß die taz sich nicht wie Springer und Konsorten aufführen muß! Haben gerade wir sowas nötig? Also nochmals: Ich bin für Auseinandersetzung mit der RAF, auch für die Veröffentlichung des Briefes, sie aber auf der Seite 1 auszuschlachten, finde ich blanken Opportunismus (weil wir uns hinter dem Brief verstecken).

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