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Männer und die Last mit der Lust

■ In Berlin hatten die Männer zum vierten Mal ihre Tage / Diskussionen zwischen Offenheit und Chaos

Großer Andrang herrschte von Donnerstag bis Samstag bei den vierten bundesweiten Männertagen, bei denen der „Austausch über Themen, die in der Öffentlichkeit immer noch tabu sind“, vertieft werden sollte. So fanden denn auch aus dem Gemischtwarenladen der Angebote die Workshops zur männlichen Sexualität das größte Interesse. Tatsächlich gestattete mann sich in den für Frauen nicht zugänglichen Arbeitskreisen einige Einblicke in die eigenen Abgründe - allgemeinere Konsequenzen konnte oder wollte abr niemand daraus formulieren.

Im U–Bahn–Abteil hält ein Mann das Programm der Berliner Männertage hoch und liest seinen Kumpanen laut vor: „Schwanz! Wenn uns jefrau auf selbigen tritt, fangen wir an zu rotieren“. Alles grölt und prustet. Die Männertage als Lacher für all jene, die mit ihrem Mann–sein noch nie Probleme hatten. Eine Stunde später im Arbeitskreis Pornographie: Ein Mann steht auf und zeigt sich gerührt von der solidarischen und offenen Diskussion. Es sei „spektakulär“ für ihn, hier zu sprechen, und er freue sich über diese neue Qualität. Männer sollen die Möglichkeit haben, „ohne Konkurrenzdruck und Profilsucht einander zuzuhören, sich auszutauschen über Themen, die immer noch tabu sind, Erfahrungen sammeln, Mut schöpfen, über sich nachzudenken und neue und ungewöhnliche Wege zu gehen“. So wollten es die Veranstalter. Und tatsächlich ist in vielen Arbeitsgruppen große Offenheit und Ehrlichkeit zu spüren, werden Empfindungen rausgelassen, die üblicherweise unterdrückt werden. Das „Korrektiv“ der Frauen fehlt, und die Erleichterung darüber füllt den Raum. Das Knebel der ständigen Selbstbeherrschung müsse herausgezogen werden, stattdessen solle man ungeniert „die Sau raus lassen“ und seine bösen Seiten kennenlernen, gab ein bunt Gestylter als Parole aus und nahm sich gleich selbst beim Wort: „Es ist eigentlich reines Glück, daß ich noch niemand vergewaltigt habe.“ Die Berliner Männertage sind bundesweit die vierte Veranstaltung dieser Art und längst ein ernstzunehmender Versuch, Männerthemen zu diskutieren. Aber was sind Männerthemen? Die Veranstalter von der Männer– Zeitschrift „Herr Mann“ haben diesen Begriff so weit gefaßt, daß (faest) alles männerspezifisch wird. Arbeitslosigkeit, Einsamkeit in der Großstadt, Gentechnologie, Tschernobyl, Psychopharmaka, all das waren Überschriften für Workshops der Berliner Männertage. Dennoch dominierte das Thema Sexualität, um das sich die Mehrzahl der 33 Arbeitskreise drehten: Orgasmus, Sterilisation, Der Mann im Bett, Impotenz, Por nographie, Sexualität und Gewalt usw. Zugleich wurde versucht, Männer mit Randgruppen zu konfrontieren, mit Schwulen, Verrückten, Behinderten, Alten. Eine besondere Stellung in dem Programmangebot hatte der Arbeitskreis über Männergewalt und Vergewaltigung. Gerade dieses Thema, das die ganzen Jahre im Zentrum der Frauenbewegung stand und den Geschlechterstreit entscheidend geprägt hat, scheint für Männer besonders schwer diskutierbar zu sein. In keinem anderen Arbeitskreis wurde jedenfalls so hitzig und z.T. aggressiv debattiert. Mit dem Video waren zu Beginn der Diskussion die Berichte von vergewaltigten Frauen eingespielt worden. Furchtbare Schilderungen. Schweigen. Und sehr schnell der Vorwurf eines Mannes: „Wir alle“ seien potentielle Vergewaltiger, durch die männliche Sozialisation zum Mißbrauch von Frauen und Mädchen prädestiniert. Zusammen mit den Fernsehbildern provoziert das wütende Reaktionen: „Das ist dieselbe Männerfeindlichkeit, die auch bei der Frauenbewegung rüberkommt.“ Ein anderer Mann berichtet, wie er als Elfjähriger von einer Frau verführt worden sei. „Auch Frauen ziehen kleine Jungs ins Bett“. Die Pädophilen warnen davor, die Vergewaltigungsgrausamkeiten an Mädchen als Vehikel zu benutzen, um Sex mit Kindern generell zu tabuisieren. Andere spüren nur noch einen „Kloß im Hals“ oder ihnen ist „flau“. Erstaunlich die Offenheit einiger Männer, die „zugeben“, daß Berichte über Vergewaltigungen trotz der Grausamkeiten sexuell erregen können, daß man die Opfer auch auf ihre Attraktivität hin geprüft habe. Und das Geständnis, daß Mann über seine eigenen Phantasien zuweilen erschrecke. Die Positionen gehen extrem auseinander: In einer Ecke wird schon das Sich–nach–Frauen–Umdrehen als Gewalt definiert, ein anderer Mann provoziert mit der These, er könne gut nachvollziehen, was in einem Vergewaltiger vor sich gehe. Konkrete Lösungsvorschläge kommen von einem bisexuellen Mann, der als einzigen Ausweg aus der Männergewalt den Rollenwechsel sieht: „Laßt euch ficken, werdet zur Frau und haltet so eure Gewalt in Schach.“ Manfred Kriener

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