piwik no script img

P O R T R A I T SPD–Stratege wirft Handtuch

■ Wolfgang Clement gibt sein Sprecheramt auf / Spekulationen um Gründe für überraschenden Abgang / Frustration oder Entmachtung?

Aus Bonn Tina Stadlmayr

Wolfgang Clement war Johannes Raus wichtigster Mann. Seinen Rücktritt als Presseprecher des Vorstandes hatte wohl niemand erwartet. Daß Wolfgang Clement vor lauter Frust über die Wahlen in Bayern und Hamburg einfach sagt „Mir reichts!“ wäre zwar verständlich, paßt aber überhaupt nicht in das Bild, das alle von ihm haben. Clement gilt als eiskalter Stratege, als Arbeitstier und als Kopfmensch. Die Karriere des jetzt 45jährigen begann vor 25 Jahren als Volontär bei der Westfälischen Rundschau. Neben seiner journalistischen Arbeit studierte er Jura. Nach der Staatsprüfung wurde er lieber Ressortleiter Politik bei der Westfälischen Rundschau. Willy Brandt machte ihn 1981 zum ersten Pressesprecher. Also zog der ergeizige und arbeitswütige Journalist mit seiner Frau und den fünf Töchtern von Bochum in die Bundeshauptstadt. Im Juni 1985 wurde Clement dann zum Stellvertreter von Bundesgeschäftsführer Peter Glotz befördert: Ein Signal dafür, daß Johannes Rau Kanzlerkandidat sein wird. Außerdem sollte der enge Vertraute Raus zwischen den beiden „Feinden“ Peter Glotz und Bodo Hombach (Raus Wahlkampfmanager) vermitteln.Das ist ihm nicht so ganz gelungen. Hombach hat die Wahlkampfregie weitgehend an Clement abgegeben und der hat sich inzwischen selbst mit Glotz angelegt. Und warum das Ganze? Hombach plädierte für einen „WAhlkampf mit Herz“, Clement für das Ziel „in die CDU–Wählerschaft eindringen“ und Glotz für „mehr Offenheit“. Was nun gestern auf der Präsisiumssitzung genau geschehen ist, darüber gibt es widersprüchliche Aussagen. Einige SPD–Abgeordnete versichern, Willy Brandt habe Clement zum Rücktritt aufgefordert. Clements Stellvertreter Eduard Heußen dagegen berichtet, Clement habe zunächst eine schärfere Gangart im Wahlkampf vorgeschlagen. Als er damit nicht durchgekommen sei, habe er seinen Rücktritt eingereicht. Wahrscheinlicher ist eine andere Version: Danach hat Clement auf der Vorstandssitzung das Scheitern des bisherigen Wahlkampfkonzeptes konstatiert. Er habe zwar eine politische Offensive und mithin einen Verzicht auf das Harmonie–Konzept von Rau (Versöhnen statt Spalten) als Konsequenz genannt. Aber in seiner Rücktrittsbegründung gab er zu verstehen, daß Rau der falsche Mann für einen militanteren Wahlkampf sei. Mithin ist Clements Rücktritt vor allem ein Signal an Rau, die persönlichen Konsequenzen zu überdenken. Auf jeden Fall kam Clement mit seinem Rücktritt der schweren Niederlage zuvor, die die NRWlinge im Parteivorstand erlitten. Zum ersten Mal wurde Hombachs Wahlkampfmanagment in diesem Gremium offen von der SPD–Prominenz, von Glotz bis Eppler, angegriffen. Ergebnis: Entmachtung. Rau seinerseits erklärte am Dienstag, er wolle Clement bitten, ihm bis zur Bundestagswahl als Berater zur Verfügung zu stehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen