: Schiesser durfte nicht mehr mitreden
■ Banken zwingen gewerkschaftliche Holding BGAG, die NH zurückzukaufen / Private Wohnungswirtschaft soll sich nun bei der NH einkaufen / Banken wollen dafür bis Ende 87 nicht auf Konkurs drängen
Von Martin Kempe
Berlin (taz) - In den Pressestellen des DGB und der Einzelgewerkschaften breitete sich am Dienstag Ratlosigkeit aus. Präzise Erklärungen zur neuesten Entwicklung im milliardenschweren Possenspiel um die Neue Heimat waren nicht zu bekommen, wenn überhaupt jemand den Telefonhörer abnahm. Bis zum Nachmittag lag einzig jene Erklärung der gewerkschaftlichen Holdinggesellschaft BGAG vor, durch welche die Verwirrung um die Neue Heimat perfekt gemacht wurde: „Wir haben uns mit Herrn Schiesser geeinigt“, so hieß es dort, „daß er die Anteile an der Neue Heimat–Gesellschaft (NHG) wieder abgibt und daß sie von DNG (Neue Gesellschaft) auf eine von uns einzuschaltende Gesellschaft übergehen.“ Mit diesen dürren Worten wurde eine Episode beendet, in deren Verlauf der mittelständische Multi–Unternehmer Horst Schiesser für genau fünf Wochen zum größten Baulöwen des europäischen Kontinents aufgestiegen war. Nun wurde er von den Banken gewogen und für zu leicht befunden. Denn daß die Banken nun das Zepter in Sachen Neue Heimat in die Hand genommen haben, darüber besteht kein Zweifel. Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Konkurses von Schiesser hatten sich am Montag 15 von rund 150 Gläubigerbanken im „Hessischen Hof“ in Frankfurt zusammengefunden, um die deso late Lage zu beraten. Schon vorher hatten die Banken dem Berliner Brotfabrikanten unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß man seine Konzeption zur Sanierung des milliardenhoch verschuldeten Baukonzerns nicht mittrage. Wie unwichtig ihnen Horst Schiesser inzwischen geworden war, wurde ihm drastisch klargemacht: Er wurde - im Gegensatz zum BGAG–Vorstandsmitglied Rolf Freyberg - zu den Verhandlungen gar nicht erst zugelassen und mußte in seinem Hotel, dem „Frankfurter Hof“, darauf warten, welche Bedingungen ihm die Bank–Herren diktieren würden. Aber auch die BGAG wird das Hin und Her mit der Neuen Heimat nicht ohne weitere Zugeständnisse an die Gläubigerbanken überstehen. Erstens wurde in der Erklärung angekündigt, daß man an der Auffanggesellschaft für die NHG auch Dritte beteiligen wolle. „Wir denken zum Beispiel an wohnungswirtschaftlich interessierte öffentliche und private Kreise“, heißt es in der BGAG–Erklärung. Ein Sprecher der an den Verhandlungen beteiligten Deutschen Bank erklärte gegenüber der taz, damit seien nicht die Gläubigerbanken selbst gemeint. Die BGAG werde, so heißt es weiter, der neuen Gesellschaft „Hilfestellung zumindest im gleichen Ausmaß“ wie Schiesser zusichern. Im Unterschied zu den Abmachungen mit Schiesser aber soll der Verlustausgleich für die Neue Heimat nicht nur bis 1985, son dern bis „mindestens 31. Dezember 1987“ von der BGAG gewährleistet werden. Welche Belastungen da noch auf die Gewerkschaftsholding zukommen, läßt sich noch nicht beziffern. Lediglich im Kaufvertrag mit Schiesser findet sich im Paragraphen 7 der Hinweis, daß die beteiligten Parteien davon ausgehen, „daß der Verlust der NH– Gruppe per 31.12.1986 DM 600 Millionen nicht überschreitet“. Das Ziel der Abmachungen zwischen den Gläubigerbanken und der BGAG ist unmißverständlich formuliert: „eine geordnete Bedingung der Verbindlichkeiten“ unter „Würdigung der Belange der Mieter“. Im Gegenzug sichern die Banken zu, das Ende dieses Jahres auslaufende Stillhalteabkommen bis Ende 1987 zu verlängern und sich „erforderlichenfalls“ auf Modifizierungen bei der Schuldentilgung einzulassen. Es spricht alles dafür, daß der Aufsichtsrat der BGAG, d.h. die Vorsitzenden des DGB und der meisten Einzelgewerkschaften, auch diesen neuesten Bocksprung ihrer Manager verzweifelt und geduldig hinnehmen und absegnen werden. Horst Schiesser rechnet derweil zusammen, was ihn sein sechswöchiger Ausflug in die Wohnungswirtschaft gekostet hat. Das wird dann der Rückkaufpreis sein.
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