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Umstrittene Ehrung für „Charta 77“

■ Der Dramatiker Vaclav Havel erhält heute in Abwesenheit den „Erasmus–Preis“ der Niederlande / Außenministerium intervenierte gegen Preisvergabe an die tschechoslowakische Charta 77

Aus Amsterdam Peter Finger

Um den mit 200.000 Gulden dotierten Erasmus–Preis, der heute um 11 Uhr in der St. Laurens–Kirche in Rotterdam verliehen wird, hat es in den Niederlanden einen großen Wirbel gegeben. Der diesjährige Preisträger ist der tsche choslowakische Theaterschriftsteller und einer der hervorragenden Wortführer der Menschenrechtsbewegung Charta 77, Vaclac Havel. Er wird jedoch nicht selbst den Preis vom „Regenten“ der privaten Prämium–Erasmium–Stiftung, Prinz Bernhard der Niederlande, in Anwesenheit der Königin Beatrice und Prinz Klaus in Empfang nehmen und seine Dankesrede halten. Havel fürchtete, nicht mehr in die CSSR zurückkehren zu dürfen und blieb deshalb dort. Frantisek Janouch, einer der besten Freunde Havels, dagegen wird den Preis entgegennehmen und seine Rede verlesen. Janouch ist Vorsitzender der Charta 77–Foundation, einer Stiftung, die vom Westen aus versucht, Menschen in der CSSR, die aufgrund ihrer politischen, religiösen und kulturellen Auffassungen verfolgt werden, zu helfen. Ursprünglich wollte die Erasmus–Stiftung der Menschen rechtsbewegung Charta 77 den Preis zuerkennen. Als dies bekannt wurde, protestierte Außenminister van den Broek mit der Begründung, daß noch nie einer Organisation, sondern immer einer Person dieser Preis zuerkannt wurde. Eine unhaltbare Argumentation, da bereits 1958 das gesamte österreichische Volk und später auch amnesty international den Preis erhalten hatten. Nachdem nun bekannt wurde, daß Havel in seiner Dankesrede unter anderem einen Bezug zwischen seinem Werk und den Aktivitäten der Charta 77 herstellen wollte, versuchte der Außenminister ein zweites Mal, die Preisverleihung zu verhindern. Über die niederländische Botschaft in Prag solte Havel veranlaßt werden, diese Passage aus seiner Rede zu streichen. Das führte zum politischen Eklat. Inzwischen hat van den Broek auf Druck des niederländischen Parlaments nachgeben müssen. Die CSSR ist „sehr enttäuscht“ „über die Art, wie der Erasmus– Preis für die Charta 77 verliehen wird.“ Am Dienstag letzter Woche fand auf Wunsch ihres Außenministers Chnoupek am Rande der Wiener Konferenz eine Unterhaltung mit dem niederländischen Außenminister statt. Der Sprecher van den Broeks teilte mit, daß Chnoupek über „eine weniger gute Situation“ und „Komplikationen in den Beziehungen zwischen beiden Ländern“ gesprochen habe. In einem Gespräch mit der holländischen Tageszeitung NRC Handelsblad kritisierte Havels Freund Janouch am Montag, daß nicht die Charta 77 den Preis erhalten hat: „Es wäre besser gewesen, wenn der Erasmus– Preis nicht Havel, sondern der Charta 77 zuerkannt worden wäre. Das hätte ihre Position in der CSSR sehr viel stärker gemacht.“ In den Niederlanden rätselt man, welchen Hintergrund das Verhalten der Regierung hat. War es doch ein niederländischer Außenminister, der Sozialdemokrat Max van der Stoel, der im März 1977 bei einem Besuch in Prag den damaligen Wortführer der Charta 77, Jan Patocka, in seinem Hotel empfing und Unterstützung zusagte. Dem jetzigen Außenminister van den Broek wird eine starke Abhängigkeit gegenüber der Industrie nachgesagt. Nach Auffassung Charta 77–naher Kreise, wird vermutet, daß ein Beginn dieses Jahres unterzeichneter Handelsvertrag mit der CSSR und der zweitägige Besuch des Ministerpräsidenten und seines Außenministers nächste Woche in Moskau der Hintergrund der Zurückhaltung der niederländischen Regierung sind. Denn in ihrer Reisegesellschaft befindet sich eine Gruppe der wichtigsten Vertreter der niederländischen Industrie. Kommentar Seite 4.

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