„Neue Strategie“ oder zusammengebissene Zähne

Eine „neue Strategie“, eine Revision der bisherigen Wahlkampfkonzepte war nicht nur vom Bundesgeschäftsführer Glotz, sondern auch von anderen angesagt, falls es in Hamburg ein ähnlich schlimmes Wahlergebnis wie in Bayern geben würde. Aber statt einer Niederlage gab es bekanntlich ein Desaster, mit der schlimmen Folge einer fast sprachlosen Geschlossenheit einer sozialdemokratischen Wahlkampf–Notgemeinschaft. Auf der Sitzung des Parteivorstandes am Montag abend gab es im Grunde keine Auseinandersetzung über das Wahlkampfkonzept von Rau mehr. Es wurde beerdigt. Ende des „Harmonie“–Gebots von Rau. „Wir müssen Themen straffen“, „angreifen“, „zurückholzen“ (Schröder). Ohne ihn direkt anzugreifen, wurde konstatiert, daß die Person Rau sicher nicht auf Offensive umgepolt werden kann. Mit anderen Worten: jetzt wird der Persönlichkeitswahlkampf zumindest für das Bundesgebiet außerhalb von NRW reduziert. Themen und andere SPD–Politiker rücken in den Vordergrund. Die allgemeine Formel fand Vogel: Die Organisation dürfe nicht länger gelähmt werden durch „irreale Wahlziele“. Damit ist endgültig die wohl köstlichste Sprachregelung etabliert (auch von den SPD–Linken wird sie gebetet): die Partei strebe „eine eigene Mehrheit an“. Düsseldorfer Umtriebe Wichtigstes Ergebnis von Hamburg ist für die Bundespartei die Liquidierung der „Düsseldorfer Umtriebe“. Anlaß: die Spiegel–Meldung vom Montag, wonach Hombach und die Seinen einen eigenen NRW–Wahlkampf anstrebe. Die NRW–Politiker Zöpel und Mathiessen dementierten erregt. Es sei „eine vollkommene Verfälschung“, man übernehme „Garantie“, das so etwas „Perfides“ nicht mehr passiere. Laut Matthiesen und Zöpel habe Hombach allein den Auftrag gehabt, eine Studie auszuarbeiten, in der Vorschläge zur besseren Einbe ziehung der NRW–Ministerien in den Wahlkampf gemacht werden sollten. Gleichwohl gibt es jetzt einen NRW–Sonderwahlkampf. Auf jeden Fall schlug die „Baracke“ zum ersten Mal offen auf dieser Ebene gegen Hombachsche Eigenmächtigkeiten zu. Matthöfer, Lafontaine, Vogel empörten sich über eigenmächtige Wahlkampfausgaben. Die Verträge über das Rau– Buch (“Sommerreise“) seien „amateuristisch“ (Matthöfer) abgeschlossen. Statt daß das Buch sich selbst trägt muß die Partei 600.000 Mark zuschießen und darf dafür 30.000 unverkäufliche Exemplare im Keller lagern. Es war jedenfalls eine Personaldebatte, die auf den Rücktritt von Hombach zielte, stattdessen sah man sich mit dem Rücktritt von Clement konfrontiert. Linke Sozialdemokraten werfen dabei vor allem dem Parteivorsitzenden vor, Clement dazu getrieben zu haben. Andere sehen in seiner Handlungsweise ein Signal an Rau selbst, einen drastischen Schritt, der dem Spitzenkandidaten deutlich machen soll, Konsequenzen zu ziehen und sich nicht verbrennen zu lassen. Glotz als Sieger Auf jeden Fall ist das Ergebnis, daß Glotz nunmehr unbestritten die Wahlkampfführung wieder in der Hand hat. Kein Anlaß zum Jubel allerdings, zumindest nicht für den Parteilinken Norbert Gansel: „Der Bundesgeschäftsführer ist in seiner Rolle bestätigt worden. Er muß nun endlich sehen, daß er etwas draus macht“. Das Wahlkampfteam von Glotz besteht nunmehr aus Erik Bettermann (ehem. Geschäftsführer des Bundesjugendringes), Klaus Matthiesen und Horst Ehmke. Ein weiteres Ergebnis: keine Strategiediskussion. Die „Durchsetzungsfrage“ der Beschlüsse vom Nürnberger Parteitag stellt sich nicht. Der Einzige, der überhaupt die rot–grüne Koalition erwähnte, war ausgerechnet Eppler - allerdings um sie ad acta zu legen. Zwar gebe es möglicherweise eine linke Mehrheit diesseits der CDU, aber die sei eben nicht regierungsfähig. Ansonsten herrschen die hilflosen Komparative: „unsere Themen“ mehr und besser und offensiver einzubringen. Aber wie das geschehen soll, ist eben die Frage. Bislang hört man jedenfalls, daß das Ergebnis von Hamburg erst noch analysiert werden muß. Einen neuen, scharfen Ton gab es jedoch: gegenüber den Gewerkschaften, bzw. der Neuen Heimat. Bedeutsam ist, daß der Vorsitzende der AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen), Rudi Dressler, besonders scharf mit ihnen ins Gericht ging. „Den Brüdern“ müßten endlich „befreundete Ratschläge“ erteilt werden. Es gehe auf keinem Fall mehr, daß die SPD bei Gewerkschaftsskandalen weiterhin nur „Zuschauer und Opfer“ bleibe. Prinzip Hoffnung Aber was es konkret heißt, wie das neue Wahlziel, die absolute Mehrheit von CDU/CSU zuverhindern, das Willy Brandt in düsteren Visionen erläuterte, bleibt unklar. Brandt selbst optierte vorsichtig für eine Große Koalition in Hamburg, angesichts des befürchteten Durchmarsches der CDU. Seine Formel: Koalitionen in Bundesländern müßten nicht unbedingt von der Politik der Bundespartei abhängig gemacht werden. Auch Bahr und Apel äußerten sich ähnlich. Gleichwohl: Die meisten optierten für eine Hamburger Hängepartei, wohl wissend, daß jetzt jede Koalitionsaussage oder -festlegung verheerend sein wird. Eine große Koalition in Hamburg würde nicht nur die berühmten Themen, die jetzt in den Vordergrund gebracht werden sollen, gleich wieder ins Zwiellicht rückten. Sie würde auch die ideologischen Flügel der Partei, die jetzt zum Schulterschluß angetreten sind, wieder auseinanderbringen. Denn von der Strategiediskussion bleibt bislang allein übrig: Frontbegradigung und Ausspielen der letzten Karte - nämlich Mobilisierung der eigenen Mitglieder. Klaus Hartung