: Schiffahrtskrise: Die Banken verlassen Hapag–Lloyd
■ Bundesregierung und Banken nehmen Abschied von westdeutscher Handelsflotte / Billiger Exportschiffsraum statt nationaler Handelsflotte heißt die Devise
Aus Hamburg Florian Marten
„Wer die See beherrscht, beherrscht den Handel; wer den Welthandel beherrscht, verfügt über die Reichtümer der Welt und damit über die Welt selbst“ - diese Sätze des britischen staatlichen Oberseeräubers Sir Walter Raleigh von 1616 hatten bis vor kurzem in der Hapag–Lloyd einen guten Klang. Otto Seiler, Mitglied des Hapag–Topmanagements, schmückte mit diesen Sätzen noch 1983 seinen Aufsatz „Handelsflotten einmal anders betrachtet“, der viel über die reaktionäre Grundstimmung in dem riesigen Hapag–Gebäude am edlen Hamburger Ballindamm verrät. Während andere Reedereien schon längst ans Ausflaggen gingen, sich verzweifelt der immer härteren Schiffsraum– und Frachtratenkonkurrenz auf dem Weltmarkt aussetzten, blieb Hapag– Lloyd mit seinen Schiffen und Seeleuten Eckpfeiler einer eigenständigen bundesrepublikanischen Handelsflotte, die nach Otto Seiler für den Einsatz im Krisenfall unverzichtbar ist. Bewundert Otto Seiler den Malwinenkrieg: „Ja, einer der eindrucksvollsten Aspekte der jüngsten Operationen war die Art und Weise, wie sie durch die Handelsmarine unterstützt wurden.“ Seiler mahnt, daß wir es „in der heutigen Wirklichkeit mit dem sowjetischen Imperialismus zu tun haben“, er meint dies militärisch wie ökonomisch (Dumpingpreise der Ostflotten). Hapag–Lloyd konnte sich solches Gedankengut und die daraus abgeleitete Forderung nach Subventionierung einer nationalen Flotte lange bequem leisten. Mit attraktiven und zunehmend auf Containerschiffen abgewickelten Liniendiensten sowie ausgezeichneten traditionellen Verbindungen bewegte sich die Hapag–Lloyd in einem sicheren Marktsegment. Hier wurde - teils bis heute - noch gut verdient, als anderswo die Frachtraten purzelten. Noch weit wichtiger war aber die Eigentümerstruktur der Hapag: Deutsche Bank, Dresdner Bank (je 40 Prozent) und Veritas, eine Geldanlagefirma deutscher Großversicherer mit 10 Prozent. Die Banken hatten nichts gegen Dividenden aus dem Frachtratengeschäft, waren aber weit mehr interessiert an der Geldanlage in steuer– und subventionsbegünstigten westdeutschen Schiffen. Sie verdienten bei Hapag–Lloyd jahrzehntelang an Zinsen, Abschreibungen und Dividenden, sorgten zudem dafür, daß die lange Zeit reiche Hapag in Firmen einstieg, die wackelten und deren Kredite somit weich geworden waren. Der traditionelle Nationalismus und das konservative Geschäftsgebaren der Reederei paßten also vorzüglich zu den Interessen der Eigentümer. Als Anfang der 80er Jahre Hapag–Lloyd ins Schlingern geriet (man hatte zu einem falschen Zeitpunkt in zuviele neue Märkte expandiert, von einer eigenen Flugflotte über Tankschiffe, Speditionen bis zu Reisebüros) wurden die Banken erstmals sauer. Ein rigides Schrumpfprogramm (Reisebüro und Flugflotte verdienen inzwischen gut) sanierte den Konzern, der erstmals auch sehr energisch seinen Reedereibereich durchforstete. Als spätestens Anfang 1985 klar war, daß die neue internationale Seefahrtskrise sowohl Hapag–Lloyd als auch den westdeutschen Schiffsbaumarkt in ernste Schwierigkeiten bringen würden, beschlossen die Banken den Ausstieg. Das Anlagevermögen bei den 26 Hapag–Lloyd–Schiffen war auf läppische 600 Mio. DM abgeschrieben, neues Bankenkapital sollte nicht mobilisiert werden. Der Reederei–Bereich der Hapag war dank der hohen Abschreibungen vergleichsweise liquide, die Großreederei also attraktiv für Neueinsteiger. Zuerst wollten die Banken die Hapag ins Ausland verkaufen, wo man den besten Übernahme–Preis erzielt hätte. Das war dann doch zuviel nationaler Verrat. Bei den hartnäckigen Bemühungen von Dresdner und Deutscher Bank, ihren 80 Prozent–Anteil auf einen Kontrollrest von 30 Prozent abzubauen, gelangen jetzt spektakuläre Erfolge: Der staatskonzern VEBA stieg mit 12,5 Prozent ein, Anfang dieser Woche folgte der belgische Gevaert–Konzern. Gevaert ist größter Aktionär beim Chemieriesen Bayer Leverkusen. Siemens, MBB, Daimler– Benz und Bosch werden als Kandidaten für weitere Anteile gehandelt. Auch die zum Oetker–Konzern gehörende Konkurrenz–Reederei Hamburg–Süd ist im Gespräch. Der Verkauf der Bankanteile an Industrieunternehmen, die Schiffe nicht als Geldanlage, sondern als billigen Transportraum für ihre Exportprodukte brauchen, wird einen radikalen Schwenk der Unternehmenspolitik zur Folge haben. Nach Befürchtungen der ÖTV und des Hapag–Lloyd–Betriebsrates fällt damit der wichtigste Pfeiler einer westdeutschen Handelsflotte, inklusive ihrer Sicherheits– und Sozialstandards. Schlimmer noch: Werftarbeiter (ohne deutsche Schiffe keine Aufträge), Hafenarbeiter (ohne deutsche Reeder keine Schiffe und deutsche Heimat–Häfen) und Zulieferindustrie sehen sich vor dem gemeinsamen Ruin. Einen ersten Coup hat Hapag– Lloyd im September bereits gelandet: Erstmals in der Firmengeschichte charterte die Reederei ein fremdes Schiff, die „Pampa“ (bremischer Eigner, liberianische Flagge, philippinische Seeleute - 400 Mark Monatslohn - deutscher Kapitän), um damit in fremden Revieren zu wildern: Hapag schippert jetzt die gesamte südamerikanische Ostküste entlang, obwohl zumindest ein Teil dieser Route seit langem zum Fahrtgebiet einer anderen Reederei gehört. 1934 hatte die nationalsozialistische Handelsflotten–Politik für strikte Zuständigkeiten gesorgt: Der Hamburg–Süd–Reederei wurde von der südamerikanischen Ostküste der Südteil, Hapag–Lloyd der Nordteil und die gesamte Westküste zugeteilt. Die Einteilung wurde bisher respektiert und im Fahrtgebiet der Hamburg–Süd bilden derzeit zwölf Reedereien ein gut verdienendes Frachtkartell. Hapag–Lloyd, sonst braver Kartelljunge, bricht also ungeschriebene Gesetze. Das liberianische Hapag–Schiff „Pampa“ wurde am 22. September deshalb von Hamburg–Süd– und Hapag–Lloyd–Seeleuten gemeisam geentert, weil sie in diesem Hapag–Schachzug den bisher schwersten Angriff auf die westdeutsche Schiffahrt sahen. Die Seeleute konnten das Auslaufen um zwei Stunden hinauszögern. Hapag–Lloyd wird sich in Kürze von zehn nicht mehr konkurrenzfähigen seiner insgesamt noch 26 Schiffe trennen. Die Seeleute befürchten, daß diese nur zu einem geringen Teil durch eigene Schiffe ersetzt, vermutlich aber alle ausgeflaggt werden. Auch die Bundesregierung, bisher wortstarke Unterstützerin einer deutschen Flotte, steckte kürzlich verbal zurück: „Wir wollen eine eigene Flotte, aber nicht um jeden Preis“, verkündete das Bundesverkehrsministerium am 19. September. Die Seeleute wollen zusammen mit ÖTV und IG Metall aktiv werden, um erstmals über den sektoralen Widerstand hinaus zu gemeinsamen Aktionen von Werftarbeitern, Seeleuten und Hafenarbeitern zu kommen. „Wenn sich nichts ändert, haben wir an der Küste bald Arbeitslosenquoten von über 25 Prozent“, meint Hapag– Lloyd–Betriebsrat Söncksen.
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