Sandoz verharmlost Brand–Folgen

■ Bei einer Pressekonferenz in Basel weicht Sandoz den Fragen von Journalisten aus / Umweltminister Wallmann verzichtet öffentlich auf Schadensersatzforderungen / Eine Flut von Strafanzeigen läuft gegen die Chemiefirma

Aus Basel Thomas Scheuer

„Unverschämtheit“, maulte nicht nur der Kollege eines großen deutschen Wochenperiodikums, als Vertreter der Sandoz–Konzernleitung gestern eine vielköpfige internationale Presseschar geschlagene zwei Stunden lang mit ausweichenden Gemeinplätzen hinhielten. Unter dem Gelächter der Journalisten erklärte ein Herr der Rechtsabteilung, erst am Mittwoch habe man die Endfassung der vertraulichen Studie erhalten, in welcher die „Zürich–Versicherung“ bereits 1981 Sicherheitsdefizite bemängelte und deren Enthüllung durch die Bundestagsfraktion der Grünen vor zwei Tagen zu Schlagzeilen wurden. Mehrfach wurde die Pressepolitik des Konzerns sowie die Tatsache attackiert, daß Sandoz–Chef Marc Moret seit der Katastrophe völlig auf Tauchstation gegangen ist. „Systematische Informationsverhinderung“ wirft auch der Basler Presseverein dem Chemie–Multi in einer Stellungnahme vor: „Die Firma ist in ihrer Pressearbeit bis jetzt vermutlich davon ausgegangen, daß die Medien nett über das 100–Jahr–Jubiläum zu berichten haben und ansonsten als nützliche Idioten zu bezeichnen sind.“ Vergeblich mühte sich das hochkarätige Sandoz–Podium, den ökologischen Schaden und die Verantwortung des Konzerns herunterzuspielen: Die ellenlange Aufzählung von allerlei Sicherheitsmaßnahmen wurde von einem Journalisten mit der trockenen Frage gekontert: „... und wie beurteilen Sie die Folgen dieser Maßnahmen?“ Keine Antwort! Zur Haftungsfrage erklärte Sandoz, alle „rechtlich abgesicherten Ansprüche werden selbstverständlich honoriert“, Details wurden jedoch vorenthalten. Auf einer Konferenz der Umweltminister der Rhein–Anrainerstaaten, zu der der Schweizer Bundespräsident Egli am Mittwoch nach Zürich geladen hatte, hat Bonns Ressortminister Wallmann für die BRD lauthals den Verzicht auf Schadensersatzforderungen an den Konzern erklärt, was die Position weiterer Forderungssteller von vorneherein schwächt. In seiner Regierungserklärung zur Chemie–Katastrophe in Basel hat Umweltminister Wallmann gestern im Bundestag alle Vorwürfe zurückgewiesen, er habe die Länder nicht schnell und umfassend genug informiert. Er sprach allerdings von einem „schweren Brandunglück mit gra vierenden Folgen“. Der Schweiz habe er vorgehalten, daß die Einleitung des Giftstoffes Atrazin nicht gestattet sei. Auch heute würde im Rhein noch Atrazin gemessen, wenngleich in geringerer Konzentration. Wenn der Chemie–Konzern Ciba–Geigy, wie behauptet, nur am 1.11 etwa 4OO Liter Atrazin–haltiges Wasser in den Rhein geleitet hätte, dürften die Meßpegel allerdings nicht mehr ausschlagen, betonte Wallmann. Als Konsequenz aus dem Unglück müßten u.a. bessere internationale Standards geschaffen und Lücken bei der Alarmorganisation geschlossen werden, so Wallmann. Die Kantonsregierung von Basel–Stadt hat am Donnerstag das Verhalten von Sandoz als „fahrlässig“ bewertet. Das Kantonsparlament will sich übernächste Woche in einer Sondersitzung mit der Katastrophe befassen. Derweil sind die ersten Strafanzeigen gegen Sandoz eingelaufen: Nachdem bereits am Dienstag der westdeutsche „Verein zum Schutz des Rheins“ über seinen Basler Anwalt Strafanzeige gegen die Sandoz AG eingereicht hat, haben auch die links–grünen „Progressiven Organisationen Basel“ (POB), die sowohl im Basler Kantons– als auch im Berner Bundesparlament vertreten sind, einen entsprechenden Vorstoß gestartet. Der auf einer Pressekonferenz am Mittwoch präsentierte Anklageentwurf listet insgesamt zwölf nach Auffassung der POB verletzte Gesetzesartikel auf, von der „Gefährdung des Lebens“ über die „Verunreinigung von Trinkwasser“ bis zur „Störung des öffentlichen– und des Eisenbahnverkehrs“. Wild spekuliert wird in Basel weiterhin darüber, wie die Grünen im deutschen Bundestag an die vertrauliche Risikostudie der „Zürich–Versicherung“ über die Sandoz–Chemielager gelangen konnten. Pikantes Detail: Der Verwaltungsratspräsident der „Zürich–Versicherung“, Fritz Gerber, ist gleichzeitig Generaldirektor des Sandoz–Konkurrenten Hoffmann–LaRoche. Es scheint allerdings sehr unwahrscheinlich, daß sich die Basler „Chemischen“, wie die Gift–Giganten hier im Volksmund heißen, nun gegenseitig in die Pfanne hauen. Gerade in den Chefetagen bei Hoffmann–LaRoche weiß man seit dem eigenen Seveso–Debakel sehr genau, daß derartige Skandale immer auf Kosten des Images der gesamten Branche gehen.