Revanchismus

■ Die Regierungskoalition und die NS–Opfer

Der Begriff Revanchismus ist - man muß sagen leider - von der DDR–Propaganda ruiniert worden. Dennoch trifft er jenes Verhalten der politisch Verantwortlichen, das aus Opfern Angreifer, aus NS–Verfolgten geldgierige Profiteure macht. Revanchismus ist die exakte psychologische Formel für die verfolgende deutsche Unschuld, für die angriffslustige Selbstzufriedenheit. Seit eineinhalb Jahren antichambrieren die NS–Opfer in Bonn. Sie müssen triefende Betroffenheit und kaltes Weghören hinnehmen. Seit eineinhalb Jahren erlebt die Bonner Bühne ein gespenstisches Stationendrama lebenden Leides, von den „Mengele–Zwillingen“ (schon dieser Titel zeigt einen Abgrund von Inhumanität) bis zu den Trägern der rosa Winkel. Auf eine Entschädigung nach vierzig Jahren, in denen den Opfern die Anerkennung ihres Leids versagt wurde, will sich der Deutsche Bundestag nicht verstehen. Die eineinhalb Jahre Diskussion stellen sich jetzt geradezu als heimtückische Strafe heraus für den Mut, immer noch Ansprüche zu formulieren. Die Wiedergutmacher haben etwas nicht wieder Gutzumachendes erreicht: Sie haben die letzte Chance von Versöhnung und Großzügigkeit gegenüber den NS–Opfern (die wir doch brauchen, um hierzulande noch atmen zu können) verspielt. Man darf den Parlamentarismus diesen Parlamentariern nicht überlassen. Eine Politik, die die sozial Ausgegrenzten nicht nur ihrem Schicksal überläßt, sondern sie auch noch verhöhnt, ist in sich undemokratisch. Das ist revanchistische Innenpolitik, eine Politik, die grundsätzlich der Moral entsagt. Das ist der antidemokratische Grundkonsens dieser Republik, der - der Bogen ist nicht zu kühn - bis zur Kronzeugenregelung reicht. Auch da geht es nicht um Moral und Demokratie, sondern um revanchistische Strafjustiz. Wer könnte es jetzt den NS–Opfern nach dieser eineinhalbjährigen politischen Mißhandlu AUTOR_________: Klaus Hartung