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Arafat ist wieder Faktor im Libanon

■ Der PLO–Chef will eine Entscheidung über den Befreiungskampf der Palästinenser herbeiführen / Eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Südlibanon könnte weitreichende Konsequenzen für die Zukunft des Landes bedeuten / Palästinensische Flüchtlingscamps im Libanon werden weiterhin belagert

Aus Beirut Joseph Kaz

Bereits Anfang vergangener Woche kündigte das in Wien ansässige UN–Hilfswerk für Palästina– Flüchtlinge ( UNRWA) ein Soforthilfeprogramm für die medizinische Versorgung von 7.000 palästinensischen Flüchtlingen in den Camps nahe der südlibanesischen Hafenstadt Saida an. Die Flüchtlinge seien vor den anhaltenden Kämpfen zwischen Palästinensern und einheimischen Milizen geflohen und hätten Zuflucht in Schulen der UNRWA gefunden. Völlig zusammengebrochen sei die medizinische Versorgung in den drei Flüchtlingslagern Adloun, Ghaziyeh und Nabatiyeh nahe der Stadt Sour. Mehr als 80 Menschen seien in den letzten Wochen bei den „Lagerkriegen“ ums Leben gekommen, wurde aus palästinensischen Kreisen im Libanon berichtet. In einem mehr als einstündigen Interview, das am Dienstag vergangener Woche vom TV–Sender der libanesischen Phalangisten ausgestrahlt wurde, sagte PLO– Chef Arafat die Ausdehnung der Fronten in den Beiruter Flüchtlingslagern Chatila und Bourj–el– Brajne voraus. Beide Camps werden seit Monaten von Milizen der libanesischen Schiitenbewegung Amal belagert, Bourj–el–Brajne steht fast täglich unter Beschuß schwerer Artillerie, Journalisten wurde der Zugang zum Camp strikt verwehrt. Arafat wählte einen trefflichen Zeitpunkt Die Rückkehr der Arafat–loyalen palästinensischen Einheiten ist mittlerweile zu einem der wichtigsten Faktoren der libanesischen Polit–Landschaft geworden. Die israelische Invasion im Libanon hatte die PLO–Einheiten 1982 aus dem Südlibanon und der Hauptstadt Beirut getrieben, 1983 hatte Syrien die Arafat–Loyalisten gezwungen den Norden Libanons zu verlassen und seit 1985 versucht die Schiitenbewegung Amal, die von ihr kontrollierten Gebiete von Arafat–Loyalisten zu säubern. Der erbitterte Widerstand der Palästinenser gegen Belagerung und Angriffe der Amal, die offizielle Ankündigung Arafats, seine Einheiten seien in den Libanon zurückgekehrt, erfolgt zu einem Zeitpunkt, da Syrien großem Druck auf der internationalen Szene ausgesetzt ist. Großbritannien beschuldigt Syrien, den „Internationalen Terrorismus“ zu unterstützen. Syrien muß zudem eine gewisse Isolation in der arabischen Welt verarbeiten, die aus seiner pro–iranischen Position im Golfkrieg rührt. Arafat, der „Alte aus Tunis“, hat einen trefflichen Zeitpunkt gewählt, nach langen Monaten der Vorbereitung, der Wiederbewaffnung und personellen Verstärkung seiner Einheiten, nach neuen Kontakten mit lokalen Kräften, die Konfrontation mit Amal einzugehen. Außerdem bannt diese Konfrontation mit einem „externen“ Gegner den anhaltenden Konflikt innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung, vor allem zwischen der Arafat–loyalen Fatah und der „Nationalen Rettungsfront“ auf die hinteren Ränge. Diese Koalition von sechs Arafat– gegnerischen palästinensischen Parteien mit Hauptsitz in Damaskus sieht sich jetzt mit der gleichfalls mit Damaskus liierten Amal konfrontiert. Die „Rettungsfront“ kann nur schweigen Die politische Position von Amal ist für die „Rettungsfront“ zwar völlig inakzeptabel, andererseits bleibt ihr aber nicht mehr als Schweigen übrig, denn die politische Handlungsfreiheit wird in Damaskus bestimmt. Das Schweigen wiederum minimiert die Glaubwürdigkeit der „Rettungsfront“ gegenüber den rund 325.000 Bewohnern der Lager im Libanon. Schließlich haben die Palästinenser erst 1985 erlebt, wie Sabra, ein Camp am Rand der libanesischen Hauptstadt, vollständig vernichtet wurde, wie die Bewohner von Chatila und Bour–el– Brajne eingeschüchtert und in die Flucht getrieben wurden. Solange die „Rettungsfront“ sich auf der Ebene politischer Entscheidungen unter die Macht der syrischen Regierung stellt, schlagen sich die Feddayin, die im Libanon um die bewaffnete und unabhängige Präsenz der PLO kämpfen, auf die Seite Arafats, stellte erst kürzlich ein Vertreter der Arafat–oppositionellen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) des George Habache fest. Amal, Hoffnungsträger der schiitischen Gemeinde im Libanon, hat mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Infrastruktur der Organisation ist keineswegs gefestigt, es mangelt an militärischen wie auch an politischen Kadern, die vergangenen Kämpfe haben hohe menschliche, wie auch materielle Opfer gefordert, interne politische Konflikte schwächen die Bewegung. So wird z.B. Daoud–Daoud, der Chef der Region Sour von seinen Widersachern der latenten Kooperation mit Israel beschuldigt, ihm wird vorgehalten, eine autonome Rolle zu spielen und sich nicht an die Direktiven seiner Beiruter Führung zu halten, die er wiederum als Damaskus–hörig bezeichnet. Zwischen den Mühlsteinen Israel, das seine Nordgrenze sichern will und Syrien, das der Bewegung seine Politik oktroyiert, konkurriert die Bewegung zudem auch mit den pro–iranischen Integristen, die im Kampf gegen Israel objektiv Verbündete der Palästinenser sind. Die Auseinandersetzungen um die palästinensische Präsenz im Südlibanon könnten indes das Kräfteverhältnis in der Region umstürzen. Nachdem ein Waffenstillstand zwischen Palästinen sern und Amal ausgehandelt werden konnte, hat im Süden eine regelrechte Jagd auf Palästinenser eingesetzt. Einige hundert Frauen, Kinder und Alte wurden auf Militär–LKWs von Sour nach Saida gebracht, dort leben weitaus die meisten Palästinenser im Libanon, ca 100.000 auf engem Raum konzentriert. Die Ausweisung ganzer Familien, die Verhaftungswelle, von der nach Angaben der UNIFIL (UN–Interims– Truppe) an die tausend Palästinenser betroffen sind, die in der Stadt Sour lebten, könnten nur ein Vorgeschmack sein auf das, was den ca. 36.000 Flüchtlingen in den vier Camps in der Nähe von Sour und den ca 8.000 Palästinensern bevorsteht, die in Sour selbst leben. Sollte Amal sich tatsächlich zum Ziel gesetzt haben, die Palästinenser vollständig aus diesem Gebiet zu vertreiben, müßten die Fedddayin in Rashediyeh (17.000 Bewohner) und Bourj Chemali (15.000 Bewohner) besiegt werden. Die knapp 4.000 Bewohner von Al Bass hätten militärisch freilich keine Chance, sich zu verteidigen. Allerdings sind die Palästinenser durchaus in der Lage, die Hafenstadt Saida unter ihre Kontrolle zu bringen, ihre Ausfälle gegen mehrheitlich von Schiiten bewohnte Dörfer in der Nähe Saidas haben das während der vergangenen Woche signalisiert. Also könnten sie die Küstenstraße, die Verbindung zwischen der Hauptstadt Beirut und dem schiitischen Süden kontrollieren, gar unterbrechen. Gleichzeitig wäre in Saida und Umgebung mit seinen rund 200.000 sunnitischen Bewohnern quasi ein weiterer Kanton geschaffen, in dem die Palästinenser sich weitaus größerer Sympathie sicher sein können. Der Kampf um die Lager im Libanon wird nicht nur für die Präsenz der Palästinenser im Libanon entscheidend, sondern vor allem auch für den palästinensischen Befreiungskampf, denn, so formulierte kürzlich Hani–el–Hassan, der politische Berater von PLO– Chef Arafat, „der Libanon ist nach wie vor das Sprungbrett, um jeglichen Versuch, eine Lösung des Nah–Ost–Konfliktes ohne Berücksichtigung der palästinensischen Rechte herbeizuführen, zu torpedieren“.

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