: Antes–Prozeß ohne Antes
■ Im Prozeß gegen Berliner Ex–CDU–Stadtrat Antes greift die Justiz zum alten Hugerstreikparagraphen Verhandlung wird ohne den Angeklagten stattfinden / Antes Anwalt spricht von gespenstischer Situation
Von Benedict M. Mülder
Berlin (taz) - Zur Sache wird seit einigen Wochen schon nicht mehr verhandelt im sogenannten Antes– Prozeß, dem ersten großen im April gestarteten Verfahren gegen einen Berliner CDU–Kommunalpolitiker wegen Bestechlichkeit. Von ehemals acht Angeklagten, deren Verfahren mit einem Urteil oder einer vorläufigen Einstellung über die Bühne gebracht wurden, ist neben Antes selbst nur noch ein angeklagter „Schankwirt“ übriggeblieben. Gestern entschied nun die Zehnte Strafkammer des Berliner Landgerichtes, daß man auch ohne Antes auszukommen gedenkt. Seine Anwesenheit, so das Gericht, sei beim derzeitigen Stand des Verfahrens „nicht erforderlich“, außerdem habe der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit mitverschuldet. Ursache von allem ist seit mehreren Wochen die Blase des Angeklagten. Wegen einer Harnwegerkrankung konnte Antes bereits mehrfach an der Verhandlung nicht mehr teilnehmen. Sogar die Ärzte im Haftkrankenhaus und ein Gerichtsmediziner bescheinigten Antes übereinstimmend neben der Berhandlungs– auch die Haftunfähigkeit. Von den Grenzen der Belastbarkeit, von irreparablen Schäden war in ihren Stellungnahmen die Rede. Antes stehe am Rande der Selbstaufgabe, so die Gutachter. Doch schon am 24. Oktober stellte die Kammer in einem Beschluß fest, daß Antes seine Verhandlungsunfähigkeit „vorsätzlich und schuldhaft“ herbeigeführt habe. Er habe zwei operative Eingriffe verweigert und außerdem, so die Kammer gestern, die Ende letzter Woche nach einer Operation entstandenen Komplikationen durch den späten Zeitpunkt des Eingriffs selbst provoziert. War der erste Beschluß aufgrund einer Beschwerde von Antes–Anwalt Studier noch vom Kammergericht aufgehoben worden, so fühlte sich das Gericht gestern allerdings durch Hinweise der Kammer gestärkt. Die in Zusammenhang mit den Hungerstreiks sogenannter terroristischer Straftäter eingeführten Bestimmungen des § 231a (SStPo) dürfen, so die Kammer, dann angewendet werden, wenn ein Angeklagter schon zur Anklage vernommen worden ist, das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für erforderlich hält und wenn der Angeklagte von der Hauptverhandlung „ausbleibt“. In all diesen Fällen darf ohne ihn verhandelt werden. Das Gericht unter dem Vorsitz von Richter Hillebrand wie auch die Staatsanwaltschaft waren sich gestern darin einig, daß all diese Punkte im laufenden Antes–Prozeß erfüllt sind. Staatsanwalt Fätkinhäuer: „Wer die Dinge auf die Spitze treibt wie Antes, provoziert Komplikationen. Antes hat sich in die Situation hineinmanövriert, die ihn heute verhandlungsunfähig macht“. Zu einem erregten Schlagabtausch kam es darüber zwischen dem Staatsanwalt und einem weiteren Gutacher. Der bestritt nämlich, daß „Antes simuliert und seine Krankheit willentlich verstärkt“. Antes, so der Arzt, wisse um den möglichen tödlichen Ausgang seiner Krankheit, die er als ein psychosomatisches und urulogisches Krankheitsbild beschrieb, einhergehend mit einer massiven Gehunfähigkeit. Das Gericht, das so vehement ein Platzen des Prozesses verhindern will, hatte bei seiner gestrigen Entscheidung ohnehin keine Wahl. Am Montag wäre die zulässige Unterbrechungsfrist von 30 Tagen abgelaufen, die ob Antes Aufenthalt im Krankenhaus bereits zum zweiten Mal in Anspruch genommen wurde.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen