Die Kontinuität des Schreckens

■ Im Wiedergutmachungsverfahren traten Hitlers „Zigeunerpolizisten“ als Sachverständige auf

Ein beredtes Beispiel dafür, wie Sinti und Roma nach dem Ende des Faschismus um ihre Rechte betrogen wurden, gibt das Schicksal der Eva Ernst (Name geändert, richtiger Name ist der Redaktion bekannt). Es steht exemplarisch dafür, wie Ansprüche ehemaliger Verfolgter durch entscheidende Stellungnahmen und Aussagen früherer Mitarbeiter der NS–“Zigeunerpolizeistellen“ und späteren „Landfahrerzentralen“ bei den Landeskriminalämtern abgewehrt wurden. Diejenigen, die zahlreiche Verwandte in der Todesmaschinerie des NS–Regimes verloren hatten, mußten nach dem Krieg erleben, daß ihnen als Antwort auf ihre Entschädigungsforderung die Rechtfertigungsgründe der Nazis nochmals entgegentraten, im vorliegenden Fall auch in personeller Identität. Frau Ernst wurde 1939 in Salzburg festgenommen und daraufhin im „Zigeunerlager Lackenbach“ inhaftiert. Nach einem dreiviertel Jahr der Demütigung und Schikane gelingt ihr die Flucht aus diesem Konzentrationslager. In München wird sie im Jahre 1943 erneut aufgegriffen. Beamte der „Zigeunerpolizeistelle“, die direkt Himmlers Reichssicherheitshauptamt unterstellt ist, organisieren ihren Transport ins Vernichtungslager Auschwitz. Für Frau Ernst zuständig ist dabei der Kriminalbeamte Herr Wutz (der Mann hieß wirklich so). Nach einem halben Jahr KZ flieht sie von einem Arbeitseinsatz, wird allerdings drei Tage später wieder gefaßt und schließlich nach Auschwitz zurückgebracht. Zwei Wochen lang wird sie völlig nackt und ohne Nahrung in den sogenannten „Stehbunker“ gesperrt und schwer mißhandelt. Später zerschlägt ihr eine Aufseherin mit einer Eisenstange das Ellenbogengelenk, so daß sie fortan den linken Arm nicht mehr gebrauchen kann. Bis zur Befreiung vom Faschismus bleibt sie im KZ Auschwitz gefangen. Nach Kriegsende stellt sie in München einen Entschädigungsantrag. Um ihren Antrag zu bearbeiten, fragen die Behörden bei der „Landfahrerzentrale“ des bayerischen Landeskriminalamts nach. Dort erhalten sie die Auskunft, daß rassische Verfolgung bei Frau Ernst „keinesfalls bejaht werden könne“. Vielmehr sei die Frau als „asoziale, wenn nicht gar kriminelle Zigeunerin zu bezeichnen“. Ins KZ sei sie „wegen ihrer Wahrsagereien und Gaukeleien“ eingeliefert worden. Der Wiedergutmachungsantrag wird abgewiesen, in der darauffolgenden Gerichtsverhandlung tritt als Zeuge gegen Frau Ernst auf: der Kriminalbeamte Wutz, derselbe der sie damals auf den Transport nach Auschwitz schickte. Seiner Aussage, Frau Ernst sei als reinrassige Zigeunerin und damit Arierin gar nicht unter die nationalsozialistischen Rassegesetze gefallen, und schon deshalb deute alles darauf hin, daß sie als Kriminelle ins KZ gebracht wurde, folgt das Gericht. Bis zur letzten Instanz, dem Bundesgerichtshof wird der Frau eine Entschädigung verweigert. Mit der historischen Wahrheit hat die Argumentation, „reinrassige Sintizigeuner“ seien von den Rassenverfolgungen verschont geblieben, nichts gemein. Die wenigen hundert als „reinrassig“ klassifizierten Sinti wurden genauso in die KZs eingeliefert wie die anderen. Bereits 1942 war der angebliche Sonderplan Himmlers von Goebbels und anderen NS–Größen zu Fall gebracht worden. Trotzdem, eine Revision der Urteile gegen Frau Ernst hat es nie gegeben. Ihr Weg durch die Gerichtsinstanzen wird zu einem entwürdigenden Spiel um Zahlen. Da fehlen ihr für ein volles Jahr der KZ–Inhaftierung insgesamt 13 Tage, weil sie nach ihrer Flucht aus dem KZ Auschwitz bis zum Rücktransport einige Zeit im Zwickauer Gefängnis festgehalten wurde und diese Tage von der KZ–Haft abgezogen werden. Auch das halbe Jahr, das sie in dem KZ Lackenbach zubringen mußte, wird ihr nicht angerechnet, da das „Zigeunerlager“ Lackenbach keines der offiziell anerkannten KZs ist. Erst 1967, 22 Jahre nach dem Ende der Nazi–Herrschaft, erhält sie auf dem Vergleichsweg überhaupt einen finanziellen Ausgleich für ihre Inhaftierung. Ihre Leiden werden mit insgesamt 1.500 DM abgegolten. Rolf Gramm