: „Es ist doch nichts passiert“
■ Ein Vergewaltigungsprozeß in der Provinz / Ohne Unterstützung von außen setzen sich zwei Frauen dem Gerichtsverfahren aus und unterliegen / Der Angeklagte setzt sich mit Hilfe seiner Freunde von der CDU durch / Ein ungewöhnlicher Film dokumentiert fast Alltägliches
Malerische Unterstadt“ steht auf einem Schild, das Durchreisenden in Lauenburg den Weg ins historische Zentrum des Elbstädtchens weist. Enge Gassen, Kopfsteinpflaster, mittelalterliche Häuser, im Sommer sitzt man hier am Elbufer. Sonntags legt der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ zu Ausflugsfahrten ab. Nur 50 km von Hamburg entfernt, aber unmittelbar an der DDR–Grenze gelegen, scheinen die Uhren in Lauenburg langsamer zu gehen. Eine heile Welt nicht nur für Sommergäste. „Das ist doch gar nicht möglich; das kann einfach nicht wahr sein...“ So jedenfalls schildert die städtische Angestellte Helga H. ihre ersten Empfindungen, als ihr Chef sie eines Tages aus heiterem Himmel zum Schäferstündchen in ein Amtszimmer zitieren will. Auch ihre Kollegin Vera R. möchte die permanenten Anzüglichkeiten und Annäherungsversuche durch den höchsten Beamten und Personalchef der Stadt, der als CDU–Kassenwart zur Lokalprominenz gehört, am liebsten einfach nicht wahrhaben. Und als ihr Klaus E. im Rahmen einer Betriebsfeier unter den Rock greifen will, macht sie für diese „Entgleisung“ eher seinen Alkoholpegel als den Mann selbst verantwortlich. Schließlich kommen die beiden Frauen, die beide über fünfzig und verheiratet sind, miteinander ins Gespräch. Was können sie als kleine Angestellte schon tun, fragen sie sich. „Deswegen“ einen „Aufstand“ anzetteln? „Die ist in den Wechseljahren und hat wohl Halluzinationen“, wurde Jahre zuvor hinter dem Rücken einer Kollegin getuschelt, die sich öffentlich der sexuellen Belästigungen durch Klaus E. zu erwehren versuchte. Ein vertrauenswürdiger Kollege, der Stadtkämmerer von Lauenburg, wird zu Rate gezogen. „Selbst wenn Du jetzt in der Stadtverwaltung Gehör findest, wirst Du das noch jahrelang zu spüren bekommen“, sagt er zu Vera R. Die Situation spitzt sich zu. Tag und Nacht werden die Frauen auch telefonisch von Klaus E. belästigt. Schließlich wird Helga H., die nach mehreren Hüftoperationen auf zwei Krückstöcke angewiesen ist, in ihrem Dienstzimmer von ihm regelrecht angefallen. Nur durch einen gut plazierten Stoß mit dem Ellenbogen gelingt es ihr, den Angreifer kurzfristig zu vertreiben und Vera R. zur Hilfe zu holen. Wenig später sucht der hohe Beamte Vera R. nachts in ihrer Wohnung auf und vergewaltigt sie. Ihr Ehemann ist aus beruflichen Gründen die Woche über nicht in Lauenburg. Das war im Dezember 1979. Jetzt endlich entschieden sich die beiden Frauen, nicht nur den Bürgermeister der Stadt zu informieren, sondern auch Anzeige gegen Klaus E. zu erstatten. Daß sie überhaupt den Mut fanden, den Weg durch die behördlichen und gerichtlichen Instanzen anzutreten, und daß sie auch nach einem in Teilen skandalösen Gerichtsverfahren noch bereit waren, ihre Geschichte den jungen Kieler Videofilmern Quinka F. Stöhr und Kay Illfrich anzuvertrauen - das unterscheidet diesen Fall wohl vor allem von den vielen anderen, die sich täglich nicht nur in Lauenburg ereignen. Mangelnde Unterstützung Der Film, der Ende Oktober in Kiel uraufgeführt wurde, ist vor allem aus den Gesprächen mit den beiden Frauen entstanden. Mag einem auch mancher Kommentar der Filmemacher eher überflüssig, manche Frage an die Frauen, die mühsam nach Formulierungen suchen, zu ungeduldig erscheinen - entstanden ist doch ein ungewöhnlicher Einblick in die gewöhnliche sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz. Und als stärkster Eindruck bleibt die Einsamkeit und Isolation, in die zwei Frauen geraten, die ohne die Einbindung in Frauenzusammenhänge, ohne die Unterstützung von Notrufgruppen o.ä. versuchen, sich gegen den Verursacher ihrer körperlichen und psychischen Verletzungen zur Wehr zu setzen. Neben den beiden Ehemännern, die, nachdem sie „eingeweiht“ wurden, ihre Frauen rückhaltlos unterstützen, bleibt als einziger Beistand Karl–Heinz E., der Stadtkämmerer. Als Einziger war er trotz des massiven Drucks von Seiten der Stadtverwaltung zu Aussagen vor der Kamera bereit. Im deutsch–gemütlichen Ambiente seines Wohnzimmers hat der Zuschauer Teil an seinen Überlegungen, inwieweit ein gewisses Maß an sexueller Belästigung von Frauen nicht einfach hingenommen werden muß, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht wegen Aufmüpfigkeit aufs Spiel setzen wollen. Auch noch angesichts der Vergewaltigung Vera R.s meint er: „Aber ich möchte eine Frau wie sie, mit 54, heutzutage auch nicht ohne Arbeitsplatz sehen...“. Die übrigen Kollegen im Amt gehen auf Distanz, verwenden ihr Mitgefühl eher auf den „armen Familienvater Klaus E.“, der durch disziplinarische Maßnahmen wie Suspendierung und Kürzung seiner Dienstbezüge hart getroffen sei. Erst als er in erster Instanz zu sieben Jahren Haft wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung verurteilt wird, haben es plötzlich alle schon immer gewußt. „Wir hätten ein Buch über ihn schreiben können, wenn wir ausgepackt hätten“, bekommen Vera R. und Helga H. jetzt zu hören. Politische Freunde springen ein Aber mit diesem Urteil ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen. Klaus E., der sich seiner Freundschaft zu CDU–Spitzenpolitikern wie Uwe Barschel und Gerhard Stoltenberg rühmt, weiß dann schließlich doch, wie man sich bei Gericht Gehör verschafft. Mit einem Anwalt aus dem Barschel–Büro zieht er vor das Kieler Landgericht, um dort mit seiner haarsträubenden Variante der Geschichte aufzuwarten: Das Ganze sei ein Komplott zwischen Vera R. - zu der er eine Liebesbeziehung unterhalten habe - und dem ehemaligen Lauenburger Bürgermeister, der sich aufgrund politischer Querelen an ihm habe rächen wollen. Sein Beweis: die Zeugenaussage eines Lauenburger Dachdeckers, der Klaus E. zweimal um die Mittagszeit mit einer blonden Frau (die er nicht als Vera R. zu identifizieren weiß) im Auto gesehen hat. Zwar bestätigen ein ärztliches Attest und mehrere Zeugenaussagen Vera R.s desolaten Zustand am Morgen nach der Vergewaltigung, und in der Version von Klaus E. ist die Motivation der Frau, sich dem Bürgermeister zuliebe diesem Prozeß auszusetzen, nicht nachzuvollziehen. Dennoch folgt das Kieler Landgericht Klaus E.s Darstellung in vollem Umfang und spricht ihn frei. Was die Nötigung gegenüber Helga H. betrifft, gesteht er massiven Alkoholkonsum und eine „Erinnerungslücke“ ein und wird zu 4.000 DM Geldstrafe verurteilt. Für die Lauenburger Stadtverwaltung offenbar ein Kavaliersdelikt: Die disziplinarischen Maßnahmen gegen Klaus E. werden aufgehoben, der Beamte voll rehabilitiert zum Verwaltungsleiter des Städtischen Krankenhauses gemacht. Als strahlender Sieger läßt er sich gemeinsam mit seiner Frau in Bild ablichten. Öffentlichkeit unerwünscht Vera R. hingegen wird die Rechnung nun auch noch von ihrer Anwältin präsentiert: 30.000 DM für ihren Einsatz, der sich laut Aussagen von Prozeßbeobachtern auf ein paar dürre Worte im Schlußplädoyer beschränkte. Frauen aus der Kieler Notrufgruppe, die sie bei der Wahl der Anwältin hätten beraten können, erfuhren erst am vorletzten Verhandlungstag von dem Verfahren. In Lauenburg ist das alles inzwischen vorbei und vergessen, sagt Helga H.: „Die Leute sagen: Es ist doch nichts passiert.“ Vera R., Helga H. und Karl–Heinz E., die weiter versuchten, gegen das Kieler Urteil anzukämpfen, sind auf unattraktive Arbeitsplätze abgeschoben und von eigentlich „anstehenden“ Gehaltserhöhungen aufgenommen worden. Eine nicht „anstehende“ Gehaltserhöhung hatte Klaus E. Vera R. noch am Morgen nach der Vergewaltigung angeboten. Sie hatte von dem Schweigegeld nichts wissen wollen. Wie dünn der Mantel aus Schweigen und Selbstgefälligkeit ist, der über die „Affaire“ in Lauenburg gedeckt wurde, bekamen allerdings Quinka F. Stöhr und Kay Illfrich bei ihren Dreharbeiten zu spüren. Mit Drehverboten in den Räumen der Stadtverwaltung und Einschüchterungsversuchen gegenüber aussagewilligen Kollegen fing es an. Dann intervenierten Klaus E.s politische Freunde sogar bei der Kulturabteilung des Kieler Studentenwerkes - und erreichten, daß den Studenten keine Videokameras mehr für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt wurden. Selbst die Vorführung des auf eigene Kosten fertiggestellten Filmes wurde schwierig; es fand sich in Kiel über längere Zeit kein Veranstalter. Auch eine im Anschluß an die Uraufführung geplante Podiumsdiskussion konnte nicht stattfinden, weil sich aus dem Spektrum der CDU und aus den Reihen der Kieler Richter/innen keine Diskussionsteilnehmer bereitfanden. Skepsis und Ratlosigkeit Aber auch im Spektrum der Kieler Frauengruppen und -organisationen stießen Quinka F. Stöhr und Kay Illfrich auf Skepsis und Kritik. Hauptkritikpunkt war die Tatsache, daß ein Mann an den Dreharbeiten beteiligt war und Männer auch zur Urauffürung zugelassen werden sollten. Angegriffen wurde aber auch die „taktisch unkluge“ (aber rechtlich abgesicherte) bewußte Nicht–Anonymisierung der Beteiligten, die dem Film gerade seine Realitätsnähe und -schärfe gibt. In der brechend vollen Kieler „Pumpe“ hinterließ die Uraufführung ein sichtlich beeindrucktes, aber ratloses Publikum. Als Veranstalterinnen hatten sich dann doch die Grünen, die Notrufgruppe, und das Frauenreferat des AStA gefunden. Der mit Vera R. zur Uraufführung erschienene ehemalige Stadtkämmerer Karl– Heinz E. lieferte einige Nachträge zum Stand der Auseinandersetzungen in Lauenburg. U.a. berichtete er von Vera R.s Versuch, Mitglied des „Deutschen Beamtenbundes“ zu werden. Ihr Aufnahmeantrag wurde abgelehnt, weil die Gewerkschaft befürchten mußte, durch ihre Aufnahme „ein anderes wichtiges Mitglied“ zu verlieren. Wo es darum geht, den Täter vor der Konfrontation mit seinem Opfer zu schützen, scheint das Gedächtnis der Stadt Lauenburg denn so schlecht nicht zu sein. Irene Stratenwerth Der Videodokumentarfilm „Vergessen kann ich das nie“ (Spieldauer ca. 100 Minuten) kann von Frauenprojekten etc. zur Vorführung ausgeliehen werden. Kontakt: Kay Illfrich, Lornsenstr. 44, 2300 Kiel. Tel. 0431 / 566 298.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen