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Der Kongreß tanzte nicht

■ „Prima Klima“ - Dreitägige Bestandsaufnahme der linken Intelligenz des Jahres 1968 / Viele Veranstaltungsteilnehmer neigen zu verhaltenem Optimismus / Mehr Fragen als Antworten

Der Kongreß des ehemaligen SDS (Sozialistischer Studentenbund) ging gestern mittag zu Ende. Drei Tage lang hatten die „Genossinen und Genossen“ der 68er Revolte versucht, neue politische Perspektiven zu entdecken und wieder gesellschaftlich handlungsfähig gegen den „Rechtsblock“ zu werden.

Der Titel der Veranstaltung war so lang, wie die Erwartungen groß waren: „Prima Klima! Wider den Zeitgeist - Erste gnadenlose Generaldebatte zur endgültigen Klärung aller unzeitgemässen Fragen“. Prima Klima! Es regnete in Strömen, als Helmut Schauer am Freitagabend auf dem Frankfurter Messegelände den Kongreß eröffnete. Rund 1.400 Linke - vor und während der 68er Revolte politisch sozialisiert - hatten es sich 30 Mark kosten lassen, den Versuch zu unternehmen, „20 Jahre danach“ noch einmal miteinander zu reden. Und sie stellten schon am ersten Abend fest: Es gebricht an gemeinsamer Sprache. Der Fundus des kritischen Denkens, der Revolte, der gemeinsamen Theoriebildung hat sich im Lauf der Zeit aufgezehrt, versteinert oder auch individuell gewandelt. Vom zerbrochenen Konsens war die Rede, von alten Wunden, von Schuld und Verdrängung. Heide Berndt kritisierte gleich anfangs die alte und neue Männer– Bündelei der SDSler. Sie könne nicht sehen, daß sich hier irgendetwas geändert habe, sagte sie und schlug der Versammlung vor: „Mischt die Opas uff!“ Die Grüne im Bundestag, Antje Vollmer, wollte in den „Gesichtern der über 40jährigen Frauen“ ablesen, daß auf ihrem Rücken die Männer der Revolte mit ihren „ewig ungemachten Betten“ groß geworden seien. Außerdem seien sie mit ihrer damaligen Straßenmilitanz schuld am Terrorismus. Empörung löste ihr Satz aus, daß der „Weiberrat“ des SDS, der die Männer seinerzeit mit Tomaten bewarf, diese damals, nur dieses eine Mal, besser gegen Steine ausgetauscht hätte. „Graue Mäuse“ der Revolution? Etliche Männer und einige Frauen wehrten sich anschließend gegen die Uminterpretation der Revolte in eine frauenunterdrückende, chauvinistische Bewegung. Betten machen sei, so die Zwischenrufe, damals „völlig out“ gewesen, auch bei den Frauen. Und „graue Mäuse“ der Revolution seien sie auch nicht gewesen. Dies versuchte auch Dagmar Hartung, ehemals in der Kommune I, zu erklären. Sie bekam den Ärger der Feministinnen zu spüren, die den Stil der gesamten Veranstaltung, eine endlose Aneinanderreihung der Redebeiträge und Selbstdarstellungen, als Indiz für das Gegenteil nahmen. Drei Themen beherrschten diese drei Tage in Frankfurt: die „Gewaltfrage“, das Verhältnis von Frauen und Männern zu traditioneller Politik und Macht und die vielgestaltige Hilflosigkeit im Umgang mit der „konservativen Hegemonie“. Schwer nachzuvollziehen, wie aus ehemaligen Straßenkämpfern überzeugte Gewaltfreie wurden, waren doch die Erklärungsversuche oft so karg, daß - gerade bei heute grünen Parteimitgliedern - die Glaubwürdigkeit litt. Wie wird ein Ex– KBWler zum Pazifisten, wie ein ehemaliger KPD–Mann zum rechten Öko–Libertären, der den Kapitalismus als Endlosschlaufe betrachtet? Wie konnte es geschehen, daß Rainer Langhans aus der Kommune I sagte, es sei notwendig, „sich dem Faschismus zu öffnen“? Wie kam es, daß Theoretiker Referate hielten, die verglichen mit der hohen Qualität vergangener Diskussionen, wie dürftige Beiträge zu Proseminaren daherkamen? Sonntagsreden, Lebensbeichten Viele Fragen wurden gestellt, wenige beantwortet. Die Versammlung hörte sich mit bemerkenswerter Geduld eine lange Reihe von Sonntagsreden, Appellen und Lebensbeichten an. Ernsthafte Diskussion entspann sich dann um den Beitrag von Ulrich K. Preuß, der den Untergang des Wohlfahrtsstaates prophezeite und die „Kultur des Dissenses“ gegen die bestehende Gesellschaft forderte. Er setzte für die Zukunft auf „das historische Projekt der ökologischen Demokratie“. Jüngere Diskutanten und Diskutantinnen mahnten die „68er Generation“ zur „historischen Verantwortung“, aus der sie sich nicht einfach davonstehlen könne. Sie hätten die Aufgabe, ihre Erfahrung zu vermitteln, und nicht die, in Selbstzerfleischung zu verharren. „Ich glaube“, sagte ein junger Mann aus Bayern, „ihr seid zum zweiten Mal einer Chance ausgesetzt!“ Mit der Spannung zwischen traditionellem, machtorientiertem Politikverständnis und neuer politischer Kultur setzte sich Jürgen Seifert auseinander: „Bei mir geht diese Trennung mitten durch mich durch.“ Er forderte die Männer auf, vom „Bild des Helden“ endgültig Abschied zu nehmen. Ex– SDSler Klaus Hartung formulierte einen konkreten Vorschlag zur zum Neubeginn gemeinsamer gesellschaftlicher Intervention: dafür Sorge zu tragen, daß alle Opfer des Faschismus angemessen entschädigt werden. Das Fest, das die Versammlungsleitung für den Sonntagabend angekündigt hatte, fand so nicht statt. In kleinen Gruppen zerstreute sich der Kongreß im Saal. Er tanzte nicht, und am Ende des Regenbogens aus Krepppapier, der den ganzen Raum umspannte, stand kein Topf voll Gold sondern eine Ansammlung gescheiterter Utopien. Und doch hinterließen die drei Tage in Frankfurt neben dem Unbehagen an dieser „ersten gnadenlosen Generalabrechnung“ bei vielen Hoffnung: Niederlagen konnten öffentlich quittiert werden, die eigene Kraft und der Wille zur Veränderung der Gesellschaft konnten neu belebt werden. „Und darauf“, so Veranstalter Helmut Schauer, „sind wir ein bißchen stolz.“ Heide Platen

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