: Südafrika: Wende im politischen Prozeß?
■ Im Hochverratsprozeß gegen 22 prominente politische Aktivisten beantragte der Verteidiger Freilassung / Ziel des mit großem öffentlichen Interesse verfolgten Prozesses ist, eine Verbindung zwischen den Angeklagten und dem ANC herzustellen
Von Hans Brandt
Johannesburg (taz) - Ein seit Januar dieses Jahres laufender Hochverratsprozeß gegen 22 führende politische Aktivisten in Südafrika hat nun einen entscheidenden Punkt erreicht. Anfang November wurde die Freilassung der 22 Angeklagten beantragt, nachdem der Verteidiger dem Gericht vorgehalten hatte, daß die seit Monaten vorgetragenen Argumente der Anklage den Vorwurf des Hochverrats nicht stützen können. So wurde beispielsweise einer der Angeklagten weder in der mehr als 300 Seiten langen Anklageschrift noch von einem der zahlreichen Zeugen der Anklage erwähnt. Der vorsitzende Richter, K. von Dijkhorst, hat angekündigt, daß er vor Ende des Monats ein Urteil über den Antrag sprechen wird. Unter den Angeklagten befinden sich die führenden UDF–Mitglieder Patrick Lekota, Pressesprecher dieser größten internen Widerstandsorganisation, Popo Molefe, UDF–Generalsekretär, und Moses Chikane, ehemaliger UDF–Sekretär für die Provinz Transvaal. Außerdem sind Mitglieder der Bürgerintiative „Vaal Civic Association“ (VCA), die der UDF angegliedert ist, und Mitglieder der Azanischen Volksorganisation (Azapo) mitangeklagt. Die meisten Angeklagten befinden sich schon seit Ende 1984 im Gefängnis. Die 22 Angeklagten in dem nach dem 90 Kilometer östlich von Johannesburg gelegenen Verhandlungsort genannten „Delmas–Prozeß“ kommen alle aus dem sogenannten Vaal–Dreieck, einem Gebiet der Schwerindustrie südlich von Johannesburg. Dort hatte im September 1984 die noch immer laufende Protestwelle gegen die Strukturen der Apartheid begonnen, nachdem die schwarze Bevölkerung gegen drastische Mieterhöhungen demonstriert hatte. Bei diesen Auseinandersetzungen kamen unter anderen mehrere als Kollaborateure verurteilte schwarze Gemeinderäte ums Leben. So sind die „Delmas 22“ neben Hochverrat auch des Mordes, der Aufhetzung zur Subversion und des Terrorismus angeklagt. Als Höchststrafe droht ihnen der Tod. Ziel des Prozesses ist es auch, die UDF mit der gewaltsamen Strategie des verbotenen ANC in Verbindung zu bringen. Denselben Vorwurf hatte Pretoria gegen 16 UDF–Führer erhoben, die jedoch Ende letzten Jahres freigesprochen wurden. Auch in Delmas fällt dem Staat ein Beweis der ANC–UDF Verbindung schwer. So halten viele Beobachter diesen Hochverratsprozeß für einen politischen Schauprozeß, der durch eine lange Verhandlung die politischen Aktivitäten der prominenten Apartheid–Gegner unterbinden soll. Die politische Zielsetzung und die Prominenz der Delmas–Angeklagten sorgt für ein großes öffentliches Interesse. Doch wenn es um die Sicherheit des Apart heid–Staates geht, sind solche rein politisch motivierten Gerichtsverfahren die Ausnahme. Regelmäßig und meist wenig beachtet werden Südafrikaner für ihren aktiven Widerstand gegen Pretoria zu oft langen Haftstrafen verurteilt. Diese Verfahren folgen in der Regel auf konkrete Sabotageangriffe. Das war beispielsweise Anfang November der Fall, als mit Marion Sparg erstmals eine weiße Frau für Sabotageakte und für ihre Mitgliedschaft im ANC– Militärflügel „Speer der Nation“ verurteilt wurde. Nach Angaben des Johannesburger Elternkomitees von politischen Gefangenen (DPSC) hat es 1986 in ganz Südafrika bisher 49 Verfahren gegeben, in denen die Anklage auf Hochverrat, Subversion, Terrorismus oder Mitgliedschaft des ANC lautete. In 18 Verfahren wurden die Angeklagten freigesprochen, in einem Fall wurde das Verfahren unbefristet verschoben, nachdem der Angeklagte sich ins Ausland abgesetzt hatte. Bei den 30 Verurteilungen lag die durchschnittliche Strafe bei zehn Jahren Gefängnis. Unter anderen wurde ein Neffe des zusammen mit Nelson Mandela inhaftierten ANC–Führers Walter Sisulu für seine Beteiligung am bewaffneten Kampf zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Aber auch ein 15jähriger in Kapstadt wurde der Unterstützung der Ziele des ANC für schuldig befunden, und zu 2 Jahren Gefängnis auf Bewährung (“suspended sentence“) verurteilt. Derartige Verfahren haben dazu geführt, daß sich im Februar 1985 nach Angaben der Polizei 337 Menschen für „Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates“ hinter Gittern befanden. Letztendlich gründen sich all diese Verurteilungen auf Südafrikas Sicherheitsgesetzgebung, die die Erhaltung des Apartheid–Staates garantieren soll. Selbst international anerkannte Juristenverbände halten es für unsinnig, einen Schwarzen des „Hochverrats“ gegen einen Staat anzuklagen, in dem er kein Mitbestimmungsrecht hat. So bleibt es auch weiterhin für oppositionelle Rechtsanwälte ein nicht zu vermeidendes Paradox, daß sie im Interesse ihrer Mandanten innerhalb eines ungerechten Rechtssystems arbeiten müssen. Die oft überraschende Unabhängigkeit einzelner Richter hat allerdings dazu geführt, daß sich selbst innerhalb dieses Systems wichtige Erfolge erzielen lassen. Pretoria erhofft sich andererseits durch die gerichtliche Anklage von Apartheid–Gegnern eine gewisse internationale Legitimierung. Wichtigstes Beispiel ist die immer wiederholte Behauptung, daß Nelson Mandela ein „Terrorist“ ist, wie auch das Oberste Gericht erkannt habe. In der anhaltenden Auseinandersetzung mit der Opposition versucht sich Pretoria dabei auch vor Gericht mit immer neuen Varianten. So wurde im Oktober zum ersten Mal eine Anklage wegen „wirtschaftlicher Subversion“ gegen den UDF–Aktivisten Abiot Motsegwe erhoben. Er hatte in der Gegend östlich von Johannesburg zu einem Konsumentenboykott aufgerufen. Das Verfahren läuft noch.
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