: Mit Magie und Sandino, die Straße als Bühne
■ Theaterkollektive in Nicaragua entwickelten ein Konzept, jahrhundertealten Widerstand gegen Kolonialismus und Diktatur in den Prozeß der Revolution zu integrieren / Verknüpfung künstlerischer Tätigkeit mit landwirtschaftlicher Arbeit garantiert wirtschaftliche Unabhängigkeit
Von Horst Wiedemann
Unweit von Matagalpa, zwischen erloschenen Vulkankegeln, die mit dichtbewachsenen tiefen Tälern eine leuchtendgrüne Hügellandschaft formen, liegt das Gehöft La Praga. Hier siedelte sich vor einigen Jahren das Theaterkollektiv Nixtayolero an, das bald zu einem bedeutenden Kristallisationspunkt für die Landtheaterbewegung Nicaraguas werden sollte. Inmitten des intensiven Grüns tropischer Vegetation entdeckt man die einfachen Holzbauten erst, wenn man fast davor steht. Wohnhaus, Schlafhaus, ein überdachtes Rund im Freien als Eßsaal, luftig durchbrochene Tropenarchitektur. Herzstück des ganzen ist der „Ranchon“, eine Art großräumiger Tenne, die sich nach drei Seiten hin auf den Tropenwald hinaus öffnet. Hier proben die Nixtayoleros. Immer ist Musik dabei, rhythmisch–mitreißende, und manchmal dramatische Klänge auf Gitarre und Bongo. Dann und wann gibt Alan Bolt, Gründer der Gruppe und Theoretiker des neuen nicaraguanischen Landtheaters, Hinweise und spielt einige Szenen, so wie er sie sich vorstellt. Es folgt eine aufgeregte Diskussion. Offensichtlich werden sich die Darsteller nicht immer einig. Das Ungefähre und Skizzenhafte gehört zu ihrer Arbeitsweise und Stärke. Von den „Barrios“ ins Ministerium Bei der sandinistischen Befreiungsfront FSLN ist Alan seit 1971, und damals begann er in Leon Theater zu machen. Es war politisches Theater, das auf die Organisierung der Bevölkerung in den „barrios“(Stadtvierteln) abzielte. 1973 wurde er in die Untergrundarbeit nach Managua geschickt, 1975 zum politisch–militärischen Chef der Südwestfront ernannt. Ein sonderlich großartiger militärischer Führer sei er nicht gewesen, sagt er heute, aber jene Jahre hätten ihm entscheidende Erfahrungen gebracht. Er lernte das Leben der Bauern und Indiogemeinden kennen, und seine Auffassung über die soziale Rolle des Theaters wandelte sich grundlegend. Mit dem Triumph der Revolution wurde Alan Leiter der Theaterabteilung im Kulturministerium. Auch in zahlreichen „Centros Populares de Cultura“ (CPC) entstanden Theaterabteilungen. Sie konnten auf die Erfahrungen des kulturellen Kampfes gegen die Diktatur zurückgreifen. Aber viel bestimmender für ihre konzeptionelle Entwicklung war der jahrhundertealte Widerstand gegen die Kolonialherrschaft, der unterschwellig in den Volksfesten und religiösen Zeremonien zum Ausdruck kommt. Diese Tradition wurde von den Nixtayoleros und anderen Gruppenaufgegriffen und in ihre stilistische Konzeption eingearbeitet. Die Kollektive, die berufsmäßig Theater betrieben und vom „Berufsverband der Kulturarbeiter“ (ASTC) finanziert wurden, regten die Entstehung zahlreicher anderer Landtheatergruppen an, die in der Folgezeit selbst zu Animatoren weiterer Gruppen wurden. Theater als Ersatz für schlechte Propaganda Mitte der 80er Jahre geriet die kaum geborene Bewegung in eine tiefe Krise. Die Verstärkung der militärischen Aggression, die die Einziehung vieler Jugendlicher zum Wehrdienst erforderlich machte, und die ökonomische Lage, die sich durch US–Wirtschaftsblockade und Krieg zuneh mend verschlechterte, machten zahlreichen Gruppen den Garaus. Einer der Schlüsselfaktoren lag aber, nach Meinung Alan Bolts, im Verhalten der Parteien und Massenorganisationen gegenüber den Erscheinungen jenes neuen Theaters: „Dieses Verhalten zeichnete sich einerseits - in der Praxis - durch absolute Gleichgültigkeit aus, andererseits durch die klare und ausdrückliche Absicht, aus dem Theater einen Lückenfüller zu machen, eine Ersatzlösung für schlechte politische Propaganda. Ihr Gedankengang war folgender: Wenn den Leuten Vorträge nicht gefallen, so sagen wir es ihnen doch durchs Theater, oder kombinieren wir Vortrag und Theaterstück zum gleichen Thema.“ So heißt es jedenfalls in einem Grundsatzpapier der Gruppe, in dem diese sich selbst darstellt. Die Geringschätzung des Theaters als Ausdrucksmittel hat offensichtlich geschichtliche Wurzeln: „Theater wurde hier immer in die Nähe des Zirkus gesetzt, vor allem Straßentheater.“ Viele Theatergruppen wurden sich in der Folgezeit dieser Instrumentalisierung bewußt. Nixtayolero etwa wurde aufgefordert, für eine Zeitlang ein Theaterstück pro Woche zur Verbreitung der neuen sozialistischen Ideen zu schreiben. „Man bezichtigt die Bauernschaft, sie besitze eine magische Sichtweise des Lebens“, meinte Alan Bolt jüngst in einem Interview mit der Zeitschrift Piensamiento propio, „eine magische Sichtweise aber besitzen viel eher die politischen Führer, die glauben, daß man Bewußtsein in magischer Weise übermitteln könne, so wie man eine Briefmarke auf einen Umschlag klebt“. Der Bruch mit den Formen pamphletarisch–propagandistischen Theaters eröffnete dagegen die Möglichkeit, Probleme aufzugreifen, die den revolutionären Prozeß bremsen oder in Gefahr bringen könnten. Es entstanden Theaterstücke über und gegen Verbürokratisierung, Opportu nismus und Intrigen im Staatsapparat. Es entwickelte sich eine Dynamik, die in krassem Gegensatz zur Linie der meisten Volkskulturzentren und des Kultusministeriums stand. Auch innerhalb der Führungsgremien der Kulturarbeitergewerkschaft ASTC stieß die neue Bewegung weitgehend auf Unverständnis, selbst wenn sie teilweise weiterhin von ihr finanziert wurde. Authentische Ausdrucksform für die Mehrheit Mit der Abkehr vom „offiziellen“ Theater kam auch ein anderer Klärungsprozeß zum Abschluß: Die eindeutige Privilegierung des Landes gegenüber der Stadt. 70 Prozent der Bevölkerung Nicara guas sind Bauern und die ökonomische Struktur ist folglich die eines Agrarstaates. Gerade die Bauern sollen Möglichkeiten erhalten, das durch Kolonialismus und Diktatur aufgezwungene Schweigen zu durchbrechen und authentische Ausdrucksformen zu entwickeln. Das Theater der Nixtayoleros will sowohl Anstoß als Ergebnis dieses Prozesses sein. Ihre konzeptionelle Entwicklung basiert auf der Analyse der Tradition der Volksfeste, die in verdeckter Form am meisten von der ursprünglichen nicaraguanischen Kultur bewahrt haben. In jenen Ausdrucksformen ist die bildlich– symbolische Darstellung unendlich wichtiger als der Text: „Man spielt inmitten eines Ereignisses, das schon existiert und zu dem man eine tiefe dunkle Beziehung eingeht. Die Straße ist der Raum. Die Zuschauer sind rundum. Masken und Kleidung, die sichtbaren Elemente sind essentiell. Die Darstellung ist künstlich. Nicht naturalistisch. Künstlich. Was dargestellt wird, ist nicht die tägliche Wirklichkeit. Es ist eine andere Wirklichkeit, die uns verborgene Dinge, unterschwellige Züge entdecken hilft, unbewußtes Gedächtnis aufrührt und unsere Geschichte wiedererstehen läßt.“ Bildtext geht tiefer als gesprochener Text Eins der bedeutendsten Volksfeste ist das des heiligen Jeronimo, das gegen Ende September beginnt und fast einen Monat dauert. Das Herzstück des Festes ist ein ritueller Tanz, in dem sich heidnische und christliche Elemente mischen, der sogenannte „toro venado“. „Warum tanzt ihr? - Ich weiß nicht, es gefällt uns halt zu tanzen, es ist das Fest der Freiheit, und wir tanzen, weil wir freie Menschen sind. - Tanztet ihr auch zu Somozas Zeiten? - Wir aus Massaya sind immer frei, uns hält auch die Frente Sandinista nicht auf, und nicht einmal Innenmister Tomas Borge. Wir pfeifen auf die Welt und machen tausend Sachen, denn der toro venado, das sind Tage der Freiheit.“ Die Erinnerung der eigenen Geschichte hat stark unter der jahrhundertelangen Unterdrückung gelitten und ist weitgehend verschüttet. Von daher bestimmt sich der Entschluß, in erster Linie ein Bildertheater zu schaffen, das offensichtlich und dunkel zugleich ist, und gerade deswegen zum Nachdenken bringt. Bildtext geht tiefer als gesprochener Text. Das ist der Ausgangspunkt für die Erforschung der Realität, für die Analyse der Widersprüche und für die Entwicklung von Alternativen. „Es ist schwierig, einen solchen Prozeß einzuleiten, aber in der Praxis haben wir gemerkt, daß Theater ein wunderbares Mittel ist, um Wege vorzuzeichnen und zu begleiten.“ Landtheater bedeutet Nützlichkeit Ausschlaggebend dabei ist, daß die Theaterstücke, so frei die Wahl der Handlung und der Stilmittel auch sein mag, mit der sozialen und wirtschaftlichen Wirklichkeit am Ort vermittelbar bleiben. Ein großes Hindernis in dieser Arbeit ist der Paternalismus, der seit jeher auf dem Land dominiert, und der auch von den Sandinisten eher benutzt als bekämpft wird. Die Bauern werden allzu oft in ihrer passiven Haltung belassen und zum Opportunismus verführt. „Wir haben Interesse bei den Leuten festgestellt, trotzdem warten sie weiterhin darauf, daß wir ihre Probleme lösen. Das hat freilich mit der Beziehung zu tun, die auch sonst zwischen staatlichen Stellen und der Bevölkerung besteht.“ Die magische Lösungsformel der neuen Landtheaterbewegung ist: Jeder Schauspieler ein Fachmann, und für die Arbeit in Landgemeinden bedeutet das, Fachmann in Anbautechniken, in Pflanzenveredelung oder in der Technik landwirtschaftlicher Geräte zu sein, und es bedeutet, genaue Kenntnis der staatlichen Programme zu haben. Landtheater bedeutet wirtschaftliche Nützlichkeit über die Theaterarbeit hinaus: „Wir müssen unser Theater mit der produktiven Tätigkeit in Verbindung bringen und außerdem diejenigen, die produzieren, neu anregen, ihre künstlerischen Traditionen wieder aufzugreifen.“ Auf Dorfebene versuchen die Theatergruppen, eng mit den sogenannten „lideres naturales“ zusammenzuarbeiten, d.h. mit den Personen, die eine Schlüsselstellung innerhalb der Dorfgemeinschaft innehaben, als Heiler, Hebammen, Pfarrer, Großbauern usw. Sie stehen im Zentrum der traditionellen sozialen Organisation, die in die neuen Formen der sandinistischen Organisation integriert, aber nicht aufgehoben worden ist. Prinzip Kooperation statt Konfrontation „Bei zahlreichen Gelegenheiten wurde uns gesagt: Schuster bleib bei deinem Leder, und uns so zu verstehen gegeben, wir solten uns mit dem Theatermachen zufrieden geben. Aber, mal ganz abgesehen von anderen Argumenten, ist es schwierig, in die Dorfgemeinschaften zu gehen und dort ein Programm kultureller Animation zu entwickeln, ohne in die ökonomischen und technischen Probleme mitverwickelt zu werden. Wir wollen die staatlichen Stellen , die Unterstützungsprogramme entwickeln, keineswegs ersetzen. Das könnten wir auch gar nicht. Unser Vorschlag ist, mit diesen Stellen zu kooperieren und uns zugleich elementare Techniken anzueignen, die wir anwenden und somit verbreiten können. Damit unterstützen wir sowohl die Arbeit staatlicher Behörden, als auch unmittelbar die Wirtschaftstätigkeit der Bauern.“ Die Theatergruppen wollensich auf lange Sicht selbst wirtschaftlich unabhängig machen, um in der sich verschärfenden ökonomischen Krise nicht dem Staat zur Last zu fallen. Deshalb verbinden sie sich, wo es möglich ist, mit landwirtschaftlichen Kooperativen, oder gründen selbst welche. Die Gruppe „Sofana“ hat einen Hof in der Nähe von Masaya, wo sie Gemüse produziert, „Teyocoyani“ lebt auf dem Hof einer Kooperative. Die Theaterleute entwickeln dort eine experimentelle Pflanzung von Fruchtbäumen. „Nixtayoleros“ hat sein Land um Praga unter Mithilfe einiger Bauernfamilien mit Kaffee, Zitrusfrüchten und Gemüse bepflanzt. Einige nicaraguanische Landtheatergruppen sind in der Zwischenzeit international bekannt geworden. „Teyocoyani“ machte letztes Jahr eine sehr erfolgreiche Tournee durch Nordeuropa. Die „Nixtayoleros“ waren in Kalifornien und nehmen in diesem Herbst am Ibero–Amerikanischen Festival in Spanien teil. In der Bundesrepublik sind sie Anfang Dezember unterwegs. Termine: 3.12. Kulturbüro 3. Welt, Hamburg; 4.12. Kampnagel–Fabrik, Hamburg; 6.12 Lübeck.
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