Studentenproteste: Frankreich lebt auf

■ Tausende von Studenten und Schülern protestieren in Frankreichs Universitätsstädten gegen Elite–Universitäten und erhöhte Studiengebühren / „Wir sind nicht die Kinder von Ministern!“ / Nationalversammlung berät über neues Hochschulgesetz

Aus Paris Georg Blume

Frankreich hat eine neue Studentenbewegung. Der Donnerstag nachmittag in Paris nimmt denen, die dies zunächst nicht glauben wollten, alle Zweifel. Eine neue Generation ist auf den Straßen. Von Montparnasse bis zur Notre– Dame, von der Sorbonne bis zum Invalidendom sind die Boulevards überfüllt. Auf den Bushaltestellen wird getanzt, und frische Grafitti schmückt die Wände. Die Sprechchöre überschlagen sich und gleichen den Jubelgesängen von Fußballfans. Die Demo macht Krach. Frankreich lebt auf. Sie sind älter als 15, aber jünger als 25. Schüler und Studenten. Sie sind 100.000, 200.000 oder mehr in Paris, im Radio schätzt man 150.000. „Wir sind absolut nicht politisch, wir sind nicht manipuliert und für keine Partei.“ Clotilde, 17 Jahre, zwölftes Schuljahr, schreit es in mein Mikrophon. „Ich protestiere gegen Artikel 31, 32 und 40 des neuen Universitätsgesetzes.“ Sie sagen, sie wissen, warum sie demonstrieren, und haben das neue Gesetz gelesen, das Hochschulminister Devaquet zur gleichen Zeit an diesem Donnerstag der französischen Nationalversammlung vorlegt. Es will den französischen Universitäten eine Auswahl der Studenten ermöglichen, die Einschreibegebühr erhöhen und die Diplome je nach Uni qualifizieren. Auf der Banderole der Kunststudenten erscheint Devaquet im Comic als Vampir: „Rühr meine Uni nicht an.“ „Wir sind nicht die Kinder von Ministern.“ Das Plakat eines Pariser Gymnasiums verkündet: „Ob mit oder ohne Knete, eine Elite bleibt Elite.“ Eine Schülerin erklärt: „Wir sind wir, mit oder ohne Geld, das bleibt gleich.“ Paris ist das Zentrum der Bewegung, doch demonstriert wird an diesem Nachmittag im ganzen Land. 10.000 in Saint–Etienne, das hat die Stadt noch nie erlebt, 10.000 in Lyon, in Lille, wo man die Unterrichtsausfälle an den Gymnasien auf 80 Prozent bezifferte, in Marseille, und weitere Demonstrationen in allen französischen Universitätsstädten. „Wir sind nichts weiter als eine Studentenbewegung, die protestiert. Das hat es immer gegeben“, sagt eine Studentin aus Caen. Tagesthema auf Seite 3