„Ein typisches Juristenurteil“

■ Stellungnahmen zum Urteil: Die Justiz selbst hat sich festgelegt - vielleicht kommt es noch zu einem Gnadenakt. Das Urteil ist nur als politisches Urteil verständlich

Rechtsanwalt Dr. Heinrich Hannover: Der Zweite Senat hat aufgrund falscher Feststellungen zum Tatbestand ein Fehlurteil getroffen und die sind vom Bundesgerichtshof festgeschrieben worden. Wir hatten gehofft, daß dieser Senat sich in weiterem Umfang, als dies jetzt tatsächlich geschehen ist, von diesen Feststellungen lösen würde. Zur Drogenabhängigkeit hätten die Richter ja die Möglichkeit gehabt, zu sagen, daß diese schon zum Zeitpunkt des Ponto–Anschlags gegeben war. Das wäre der Weg gewesen zu einer zeitlichen Freiheitsstrafe zu kommen. Es ist ziemlich willkürlich, da eine Grenze zu setzen. Gerade bei Ponto sind die Feststellungen des zweiten Senats so windig wie nur irgend etwas. Bloß weil der Boock da auf der Straße gesehen worden ist, gehöre er zum Kommando dazu, dabei hat er immer gesagt, „mit diesem Anschlag habe ich nichts zu tun“. Es ist ja auch wahnsinnig, sich vorzustellen, daß die RAF einen drogengefährdeten Mann an drei parallellaufenden Kommandounternehmen beteiligt und einweiht, das widerspricht allen Regeln der Konspiration. Dies ist ein fiktives Urteil aufgrund fiktiver Feststellungen, die einfach nicht zutreffen. Wir werden gegen das Urteil in Revision gehen. Die Chancen könnten darin liegen, daß das Gericht verkannt hat, wieweit die Bindungswirkung gehen soll, daß der Bundesgerichtshof eine weitergehende Nachprüfung des vorliegenden Urteils gewollt hat. So war das ja nicht sehr sinnvoll, monatelang mit vier Sachverständigen zu verhandeln, um dann so ein Urteil zu produzieren. Eigentlich hatten wir ja alle den Eindruck, daß dieser Senat durchgeblickt hat, daß Boock vom zweiten Senat zu Unrecht verurteilt worden ist. Von daher hätten wir eigentlich erwartet, sie würden die Möglichkeiten voll ausschöpfen, die sich hier von der Drogenabhängigkeit her ergeben hätten. Das haben sie nicht getan. Dies war ein typisches Juristenurteil. Das wird den Kampf für Boocks Freilassung auf eine politische Ebene verlagern. Wir werden jetzt mehr appellieren müssen an Leute, die Terroristen zur Umkehr bewegen möchten, denen man jetzt immer wieder sagen muß: ja was habt ihr denn mit Boock gemacht. Es wird wahrscheinlich doch irgenein politischer Akt, etwa ein Gnadenakt kommen müssen, weil die Justiz selber sich ja festgelegt hat. Prof. Wolf–Dieter Narr: Dieses Urteil ist in gewisser Weise das Schlimmste, was man sich erwarten konnte. Von diesem Urteil her muß Peter–Jürgen Boock auf Dauer sitzen. Es ist ja hanebüchen deswegen, weil es aufgrund einer überhaupt nicht einleuchtenden psychologischen Konstruktion dazu kommt, daß Boock bis etwa 25. August zurechnungsfähig war, nicht durch die Drogenauswirkungen minder fähig, sich zu steuern, und danach dann nicht mehr zurechnungsfähig war. Damit konnten sie ihm die Teilnahme am Ponto– Fall voll in die Schuhe schieben, wo gerade dort doch die Vorwürfe aufgrund einer einzigen Zeugenaussage konstruiert worden sind, daß er nämlich wo gesehen worden ist. Es kann in keiner Weise nachgewiesen werden, daß er daran beteiligt war, so daß das eigentlich Erschreckende an diesem Richterspruch die psychologische Konstruktion aufgrund des Mangels an Tatsachen ist. Das Urteil ist überhaupt nur als politisches Urteil verständlich. Die abenteuerliche psychologische Konstruktion ist nur zu verstehen, weil sie einerseits an dem erstinstanzlichen Urteil nicht festhalten konnten, weil sie aber andererseits Boock verurteilen wollten. Daß der Termin für Boocks Unzurechnungsfähigkeit nicht einen Monat vorher lag, wird kein Psychologe auf der Welt belegen können. An dem Urteil ist ja außerdem auffällig: diese Farce eines Revisionsprozesses in dem man die Tatbestände, die angeblich vorher verbindlich festgeschrieben wurden, nicht mehr in Frage stellen darf. So waren die Richter eigentlich nur gehalten, zu überlegen, ob denn Peter–Jürgen Boock aufgrund der Drogeneinflüsse in der Lage war, über seine Handlungen zu urteilen. Selbstverständlich müßte, wenn man darüber nachsinnt, die ganze Frage der Handlungen neu aufgerollt werden. Wo es ihnen ins Urteil gepasst hat, haben sie das gemacht und ansonsten nicht. Solche Art von Revisionen sind in sich schon eine rechtsstaatliche Farce. Klaus Vack (Sekretär des Kommitees für Grundrechte und Demokratie): Was unsere politischen Hoffnungen betrifft, es gibt die alte Diskussion und unsere Forderung, daß Aussteigern, die wirklich glaubwürdig ausgestiegen sind, ein faires Verfahren gemacht wird. Ein faires Verfahren beinhaltet natürlich ein faires Urteil. Es ist in diesem Verfahren anders zugegangen als in der ersten Hauptverhandlung aber das wird in gewisser Weise durch das Urteil zur Makulatur. Die politischen Hoffnungen, die wir in unserem Kampf für unverkürzte Grund– und Menschenrechte mit diesem Prozeß verbunden haben, waren, daß hier in einem rechtsstaatlichen Urteil politisch signalisiert wird, es gibt eine Chance der Rückkehr. Diese Chance ist mit diesem Urteil leider vertan. Das ist die eigentliche politische Katastrophe. rog