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Justiz läßt Aussteigern keine Chance

■ Peter Jürgen Boock wurde auch im zweiten Anlauf zu lebenslänglicher Haft verurteilt

„Wir hatten die Hoffnung“, so Boocks Verteidiger Heinrich Hannover, „dieser Senat blicke durch.“ Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, am Ergebnis hat es offensichtlich nichts geändert. Eingeklemmt zwischen dem ersten Urteil ihrer Kollegen und der Revisionsvorgabe des Bundesgerichtshof entschied sich der 5. Senat für einen Kompromiß, der Boock dennoch keine Chance gibt.

Fortsetzung v.S.1 Da wird Peter Jürgen Boock erneut mit lebenslänglich für die angebliche Beteiligung an der Ermordung des Frankfurter Bankiers Jürgen Ponto bestraft, nur weil er am Tage vor dem Anschlag Fahrzeuge präpariert, einen sauberen, gutsitzenden Anzug getragen und gepflegt in Erscheinung getreten ist (die Aussage des längst verschwundenen Kronzeugen Volker Speitel). Da spielt keine Rolle, daß Pontos Frau ihn bei einer Gegenüberstellung ausdrücklich nicht wiedererkannt hat. Da wird Boock wegen versuchtem vierfachen Mord bei einem versuchten Raketenwerferanschlag auf die Karlsruher Bundesanwaltschaft zu 12 Jahren Haft verurteilt, obwohl es nach der Beweislage ein leichtes gewesen wäre, dem Angeklagten zu glauben, daß er selbst es war, der das Losgehen der Höllenmaschine aus eigenem Antrieb verhinderte. Wie der 5.Strafsenat zu der Ansicht kommt, Boock habe zwar bereits seit Ende 1976 Opiate gespritzt, und die tägliche Dosis von erst 1–2 Ampullen innerhalb eines Jahres auf 6–8 Apullen gesteigert, gerade zur Zeit der Anschläge auf Ponto und die Bundesanwaltschaft aber sei er nicht in einem solchen Maße drogenabhängig gewesen, daß ihm verminderte Steuerungs– und damit verminderte Schuldfähigkeit konstatiert werden könne, muß für alle, die sich je mit Drogenabhängigkeit auseinandergesetzt haben, wie rechtfertigende Verhöhnung klingen. Kurze Zeit später, jetzt aber drogenabhängig mit der entsprechenden Prognose, soll Boock sich umsichtig und voller Energie für die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und die Ermordung seiner vier Begleiter eingesetzt haben, verwerflich und mitleidlos. Der Beweis: Verschiedene Fingerabdrücke an dem Fahrzeug, mit dem Schleyer entführt wurde, und ein Tonband aus einem Erddepot der RAF. Was zahlreichen Zeugen beim Abhören des Bandes oft wie unverständliches Murmeln von irgendwem über irgendwas vorkam, wertete Richter Schmid in seinem Urteil als die „Sprechweise eines eher bedrückten Menschen“. Aber Boock soll es allemal gewesen sein. Wie bizarr sich die „Bindungswirkung“ des ersten Stammheimer Landrechtsurteils gegen Boock auswirkt, konnte mit seiner Verurteilung wegen Beteiligung an der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer nicht besser demonstriert werden. Obwohl das Gericht mit Nachdruck feststellte, daß Boock zum Zeitpunkt von Schleyers Ermordung am 18. Oktober in Mühlhausen im Elsaß, schwerkrank und drogenabhängig in Bagdad weilte, hält es doch eine Ahndung des Mordes mit 12 Jahren Haft für angemessen. Boock habe eben den Mord an Schleyer zusammen mit anderen bereits ein halbes Jahr vorher gewollt und geplant. Wie, weshalb, und ob es ohne die Entführung der Landshut–Maschine und dem Tod der in Stammheim einsitzenden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe dazu überhaupt gekommen wäre, brauchte die Richter da nicht mehr zu interessieren. Boock sei über alles informiert gewesen habe sich an jeder der drei Aktionen bewußt und mit „Hingabe“ beteiligt, und habe das alles wie geschehen gewollt, auch wenn er „keinen Einfluß auf die Ereignisse und die Entscheidungen zur Tat und vielleicht gar keine Kenntnis von Mogadischu und den Stammheimer Toten“ gehabt habe. Gemessen an Schleyers Qualen bis zu seinem Tod aber, so der Vorsitzende, seien 12 Jahre angemessen. Als insgesamt „schuldmindernd“ sahen die Richter des 5. Stammheimer Strafsenats, daß Peter Jürgen Boock seinen Genossen aus der RAF Ende 1979 den Rücken kehrte und aus der RAF ausstieg und daß er über Publikationen und eigene schriftstellerische Äußerungen versucht hatte, andere und seine ehemaligen Genossen zur „Abkehr vom Terrorismus“ zu bewegen. Darüberhinaus habe der Angeklagte seit seiner Verhaftung im Januar 1981 eine „ungewöhnlich positive Entwicklung“ begonnen. Keine Strafmilderung wollte das Gericht wegen Boocks Veröffentlichung eines anscheinend geplanten Anschlags auf das Heidelberger Schloß, gewähren. Diese Information hätte Boock, anonym, schon ein Jahr vorher leisten müssen. Wenigstens nicht straferschwerend wertete das Gericht daß „Boock nicht bewußt zum Verräter geworden war“. Eine weitere Verhandlung des Aussteigers Peter Jürgen Boock steht vor dem Europäischen Gerichtshof an, das Komitee für Grundrechte und Demokratie bittet um Prozesskostenhilfe: Kto Nr. 24619 bei der Volksbank Oberzent–Beerfelden BLZ 50861401 Kennwort P–J Boock. Dietrich Willier

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