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Ein angepaßter Theodorakis in Istanbul

■ Insgesamt zehntausend Menschen besuchten die Konzerte von Theodorakis in Istanbul/ Kritische Worte gegen die türkische Regierung fand er nicht/ Der Enthusiasmus blieb aus / Dennoch bleibt Theodorakis ein Symbol der Linken

Aus Istanbul Ömer Seven

„Der heutige Tag wird in die Geschichte eingehen. Wir werden sagen, Theodorakis hat hier in Istanbul gespielt.“ Mit diesen Worten stellte der türkische Komponist und Liedermacher Zülfü Livaneli den griechischen Gast dem Istanbuler Publikum vor. Der Sport– und Ausstellungspalast, der größte Saal Istanbuls, ist fast voll, und viertausend Menschen gelangen hinein, nachdem die Polizei jeden einzelnen am Eingangsportal auf Waffen hin durchsucht hat. An vier Abenden sind insgesamt an die zehntausend Menschen zu den Konzerten von Theodorakis in Istanbul gekommen. In der Türkei steht alles auf dem Kopf. Nur Lob und Sympathie erntete Theodorakis in den türkischen Medien. Massenblätter, die ansonsten Kommunisten jagen, sprachen voller Ehrfurcht über den großen Komponisten, der Freund der Türken sei. Und nach dem Motto „Nur ein griechischer Kommunist ist ein guter Kommunist“ hatte Theodorakis sogar die Gelegenheit, im staatlichen Fernsehen aufzutreten. Ansonsten präsentiert der Bildschirm als Abschreckung von der Kriegsrechtsverwaltung verhaftete Kommunisten - kahlgeschoren, das verbrecherische Propagandamaterial auf Tischen ausgelegt. Selbst der türkische Ministerpräsident Özal lobte, daß „Künstlern wie Theodorakis große Verdienste beim kulturellen Dialog“ zukomme. Theodorakis hat selbst viel dazu beigesteuert, daß ihm einhellige Sympathie in der Türkei zuteil wurde. Auf der Pressekonferenz in Istanbul gab er vage Erklärungen zur türkisch–griechischen Freundschaft ab, sehr allgemein verurteilte er die „dunklen Kräfte, die Völker auseinanderdividieren.“ Konkret wurde er nur dann, wenn es um die chauvinistische Politik der Pasok–Regierung ging - zur türkischen Regierung schwieg er sich aus. „Was würden Sie tun, wenn Sie griechischer Ministerpräsident wären?“ fragte ihn die türkische Zeitung Milliyet. „Zu dem türkischen Ministerpräsidenten Özal gehen und ihm die Hand schütteln“, war die Antwort. Zwei Fahnenmasten befinden sich im Sport– und Ausstellungspalast. Auf einer ist die türkische Flagge gehißt, die andere ist leer. Nicht das dies dem Verständnis der Zuhörer entsprechen würde. Im Gegenteil. „Wo ist die griechische Flagge?“ wird auf den Zuhörerbänken gefragt. Kein Wunder, das türkische Publikum ist klar umrissen: Linke Istanbuler Intellektuelle, Durchschnittsalter 40 - die alten militanten Kämpfer der Zeit vor dem türkischen Miltärputsch 1980. Symbol des Widerstands Trotz alledem. Es ist schön, Theodorakis in Istanbul zu hören. Den ersten Teil des Konzertes dirigiert Theodorakis nur. Es sind viele vertonte Liebespoeme. Theodorakis erntet zwar großen Beifall, aber die Begeisterung bleibt aus. Es ist ein geschlagenes und geschundenes Publikum - wie soll nach sechs Jahren Unterdrückung durch die Militärs bei einem Konzert Enthusiasmus aufkommen? Aber die Melodien sind uns nicht fremd, selbst die Polizisten im Saal hören aufmerksam zu. Trotz alledem ist in Istanbul Theodorakis ein Symbol - ein Symbol wider Chauvinismus, ein Symbol des Widerstandes. Im zweiten Teil des Konzertes wird es deutlich: Theodorakis, immerhin schon über 60, tritt inmitten der kleingewachsenen Türken mit seiner imposanten Figur auf die Bühne und singt selbst Lieder, die er zur deutschen Besetzung Griechenlands komponiert hatte: Lieder gegen den Faschismus. Das Publikum ist angestachelt, nicht mehr ehrfurchtsvollen, sondern leidenschaftlichen Beifall erfährt Theodorakis. Ein Freund, der kurz vor dem Konzert in Griechenland war, erzählt mir, wie Theodorakis innerhalb der griechischen Linken angegriffen wird, er unterstütze die türkischen Militärs. „Ich habe ihnen gesagt, wie wichtig Theodorakis für uns ist. Wir haben nach sechs Jahren Militärherrschaft Lieder nötig, die uns moralisch Beistand geben.“ Jenen moralischen Beistand hat er gegeben.

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