: Gesucht: Das andere, grüne Europa
■ Internationaler Kongreß von europäischen Grünen in Köln / Die Suche nach einem Europa jenseits der erstarrten Blöcke prägte den Kongreß / Grüne „Internationale“ oder europäisches „Netzwerk“
Aus Köln Antje Bauer
„Für ein anderes Europa“ hieß der Titel eines Kongresses, zu dem die Grünen am vergangenen Wochenende geladen hatten. Europa, das ist die wirtschaftliche Großmacht, die die Entwicklung anderer Länder hemmt, wie die in Südafrika lebende Schriftstellerin Ruth Weiß erklärte. Ist es die Schöne aus der griechischen Mythologie, die von zwei Stieren entführt wurde und nun riskiert, von ihren atomaren Hörnern zermalmt zu werden, wie Lew Kopelew vortrug?Die dort auf dem Podium saßen, wollen ein anderes Europa: Jürgen Fuchs, der über Europa der DDR diskutieren will, die österreichische Grünenabgeordnete Freda Meißner–Blau, Lew Kopelew, der die Menschenrechte zur europäischen Verpflichtung erklärte und Ruth Weiß, die als Jüdin aus Europa flüchten mußte. Daß es ein gemeinsames Europa von unten bislang nicht gibt, zeigte das Diskussionsforum „Europa wächst von unten - Ansatzpunkte und blinde Flecken“. Ludo Dierickx, belgischer grüner Abgeordneter, sprach über die Kämpfe zwischen flämischen und wallonischen Politikern, eine Irin über den politischen Bonus, den sie überall erhält, weil die Iren so ein tapferes Volk sind. Raissa Orlowa–Kopelew beschrieb, wie sie erst bei einem USA–Besuch ihre europäische Identität entdeckte und Christian Alix, deutsch–französischer Pädagoge, beschrieb die alltäglichen Unterschiede zwischen den Nachbarn Deutschland und Frankreich. Und die Zeit zu kurz bemessen, um Perspektiven zu entwickeln. Klarheit herrschte nur über das existierende Europa der Blöcke. Der tschechoslowaki sche Historiker Zdenek Mlynar erklärte dazu: „Die wichtigste Problematik ist, daß die Beziehungen zwischen Ost und West vorwiegend militärischen Charakter tragen. Da muß auch auf der Regierungsebene eine entsprechende Politik realisiert werden.“ Daß neben einer blockübergreifenden Entspannungspolitik auch das Verhältnis unter den europäischen Grünen geklärt werden muß, zeigte ein Forum am Nachmittag mit dem Thema: „Kooperation der Grünen in Europa - Netzwerk oder Grüne Internationale?“Während die deutsche Grünen–Abgeordnete Dorothee Piemont ein Plädoyer für ein offenes Netzwerk aller den Grünen nahestehenden Gruppen hielt, setzte Freda Meißner–Blau dem die Idee einer eingegrenzten Internationale als politisches Machtinstrument entgegen. Und als der Belgier Ludo Dierickx eine etablierte Instanz forderte, die auch Rechts–und Linksabweichler ausschließen könne, verdrehte der Italiener Sergio Andreis entsetzt die Augen. Einig waren sich die meisten ausländischen Gruppen darin, den deutschen Grünen Vorherrschaft vorzuwerfen. Über eine Vertretung linker Gruppen aus Osteuropa konnte bei so viel Meinungsunterschieden nicht ernsthaft gesprochen werden. Am Abend sollte Walter Moßmann spielen. Dazu brauchte er ein Klavier. Es gab nur eins, das völlig verstimmt war. Sollte man dann darauf neue Weisen spielen? Auf bessere Zeiten warten? War dieser Kongreß nicht auch so ein Konzert, ohne Klavier? Doch es war wohl richtig, daß der Kongreß tagte: mit alten Instrumenten zwar und etwas verstimmt, aber immerhin.
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