: Rassismus gegen Araber in Jerusalem
■ Orthodoxe Juden gehen mit Gewalt gegen arabische Bewohner im Ostteil der Stadt vor
Nach der Ermordung eines jüdischen Talmudschülers im arabischen Viertel von Jerusalem brach Mitte November eine Haßorgie orthodoxer Juden gegen die palästinensische Bevölkerung aus. Unser Korrespondent in Israel beschreibt die dortige Entwicklung, die immer mehr in Richtung „Judaisierung“ ganz Jerusalems tendiert. Dieser alltägliche Rassismus ist auch Thema des Autors Sobol in seinem skandalträchtigen Stück „Die Palästinenserin“. Am Samstag war deutsche Premiere in Bonn.
Pogromähnliche Ausschreitungen gegen die arabische Bevölkerung in Ostjerusalem wurden durch die Erdolchung des Israelis Eliahu Amedi ausgelöst. Gleich nach dem Mord am 15. November wurden drei arabische Jungen aus Jemin, einer Stadt im besetzten Westufer, als Tatverdächtige festgenommen. Der ermordete Jude war Mitglied der in der Jerusalemer Altstadt gelegenen Jeschiwa Schuwu Banim (frei übersetzt bedeutet dies: „Rückkehr der Söhne zum orthodoxen Glauben“.) Jeschiwod sind Institute für jüdisch– religiöse Studien und gelten als heilige Stätte, ähnlich wie Synagogen. Bereits das nächtliche Begräbnis des Israeli in Ostjerusalem verwandelte sich in eine von Rechtsextremisten provozierte Rache– und Haßorgie gegen die palästinensische Bevölkerung und ihr Eigentum: Arabische Häuser und Geschäfte wurden in Brand gesteckt, Autos beschädigt, Fenster arabischer Wohnungen eingeschlagen, Passanten wurden verletzt. Die Polizei mischte sich vorerst nicht ein. Man fand es wohl einerseits nützlich, die arabische Bevölkerung einzuschüchtern, andererseits erwartete man vielleicht eine Beruhigung der Gemüter, nachdem sich die wilden Begräbnisdemonstranten entsprechend ausgetobt hatten. Schließlich breiteten sich die Unruhen jedoch auf eine zu gefährliche Weise aus, und als man daran ging, eine arabische Benzinstation beim Rockefeller Museum in die Luft gehen zu lassen, gab ein Polizeioffizier ein paar Schreckschüsse in die Luft ab. Das wirkte dort für den Augenblick, aber die Überfälle auf Araber und arabisches Eigentum breiteten sich auch anderswo - in verschiedenen Teilen Ostjerusalems - aus, weil die einstweilen verstärkten Sicherheitskräfte (Polizei, Grenzschutz und Militär) nicht bereit waren, den pogromistischen Ausschreitungen überhaupt Einhalt zu gebieten. Die anti–arabischen Ausschrei tungen in der zweiten Novemberhälfte waren keineswegs spontan: Die Anführer in den Jeschiwod, in Gusch Emunim–Kreisen, und vor allem bei den Aktivisten der Kach– Organisation des Rabbiners Meir Kahaneh fühlten sich von den Behörden und höchsten Rabbinatsstellen unterstützt. Die Polizei kannte die Anstifter, beschränkte sich aber auf Überwachung, Anwesenheit und Verhinderung von allzu spektakulären Zusammenstößen. Der arabischen Bevölkerung gab man klar zu verstehen, welcher Sache die Sicherheitsbehörden dienen: Auch gewaltloser palästinensischer Widerstand wird nicht geduldet. Das arabische Ostjerusalem beschränkte sich also auf zwei allgemeine Proteststreiks. Unter der Devise: „Rache“ und „Tod den Arabern“ und „Palästinenser raus“, kam es am vergangenen Wochenende, sieben Tage nach der Ermordung von Eliahu Amedi, zu neuen wilden Massendemonstrationen und Unruhen in den arabischen Vierteln der Altstadt. An der Spitze stand wieder die rechtsradikale orthodox–religiöse Koalition von Kach und Gusch Emunim und Jeschiwod, angeführt vom Rabbiner Levinger aus der arabischen Stadt Hebron. Man kann die neue, noch andauernde rassistische Welle in Jerusalem nur als Teil einer Entwicklung verstehen, die auf die Eroberung der östlichen arabischen Stadtviertel und deren Anschluß an das israelische Westjerusalem nach dem Sechs–Tage–Krieg vor fast zwanzig Jahren zurückgeht. Es geht vor allem um die „Judaisierung“ der Altstadt und der weiten Gebiete um Großjerusalem herum, in einem Umkreis, der im Norden bis Ramallah und im Süden über Bethlehem hinausreicht. In der Ostjerusalemer Altstadt ging man zunächst an die Räumung der Araber aus den sogenannten jüdischen Vierteln und aus der weiteren Umgebung der Klagemauer. Nach der Besiedlung des neugebauten jüdischen Viertels besteht jetzt die Tendenz, auch die arabischen Stadtteile zu judaisieren. Dort, wo die Abwanderung der arabischen Einwohner nicht mit Geld oder auf administrativem Weg erreicht werden kann, müssen gewaltsamere Methoden Anwendung finden. So wurden alte arabische Häuser baufällig und unbewohnbar als Folge intensiver archäologischer Untergrabungen der Altstadt, vor allem entlang der westlichen Grundmauern des Tempelbergs, wo weitere Stücke der Klagemauer der jüdischen Öffentlichkeit zugängig gemacht werden sollen, als erweitertes national–religiöses Symbol. Diese vor drei Jahren unterbrochenen Ausgrabungen sollen jetzt wieder aufgenommen werden. Gleichzeitig siedelten immer mehr Jeschiwod in die arabischen Viertel der Altstadt über, und da es sich um geheiligte, religiöse Erziehungsinstitutionen handelt, denen die israelischen Behörden Schutz gewähren, können sich die arabischen Bewohner der Altstadt nur sehr schwer gegen diese ärgste Expansion wehren, die zum Teil mit List und Betrug und unter Gewaltanwendung erfolgt. Es kommt zu Angriffen auf arabische Frauen, systematischem Terror und Einbruch in arabische Wohnungen. Gezielt provokativer Lärm stört die Nachtruhe, Abfall und Exkremente werden kübelweise in die Höfe der arabischen Nachbarn geworfen, Brandstiftung und Zerstörung arabischer Läden werden immer häufiger. Während der Ausschreitungen in der zweiten Novemberhälfte war die Bedrohung der arabischen Bevölkerung so intensiv, daß sich viele gezwungen sahen, ihre Wohnungen vorübergehend zu räumen. Der ermordete Elijahu Amedi war Mitglied einer Jeschiwa, die zum orthodoxen Glauben bekehrte (zurückkehrende) Juden auch zu fanatisch–chauvinistischem Aktivismus erzieht. Die Judaisierung der weiteren Umgebung des Tempelbergs wird zur heiligen Pflicht. Man bahnt dem Tempel und dem messianischen Zeitalter den Weg. Der Tempelberg selbst muß erobert und befreit werden, bevor der dritte Tempel dort entstehen kann. In Vorbereitung dieser Ereignisse beschäftigen sich einige der Jeschiwod in der Altstadt bereits mit der Schulung der zukünftigen Hohepriester des Tempels, mit Herstellung von Kultobjekten und Priestergewändern, die demnächst erforderlich werden sollen. Den erwarteten Ereignissen muß dementsprechend nachgeholfen werden, und der Zweck heiligt dabei alle Mittel. Wie die leitenden Rabbiner der Jeschiwod zugegeben haben, sind die Mitglieder dieser Institute bewaffnet. Nach Aussage des obersten Befehlshabers der israelischen Polizei soll es in dem Ostjerusalemer Jeschiwod auch größere Waffenlager geben, die man jedoch einstweilen nicht anzutasten gedenkt. Viele der Staatsbehörden und der orthodox–religiösen Parteien oder Institutionen laufen in die gleiche Richtung: Israel möchte ganz Jerusalem allein beherrschen. In Widerspruch dazu steht jedoch der Wunsch, daß die Welt Israel auch als den verläßlichen Hüter der heiligen Stätten aller Religionen anerkennt. Bürgermeister Teddy Kotlek ist es bisher gelungen, dieses Image eines vereinigten Jerusalem, das gleichzeitig Israels Hauptstadt ist und das friedliche Zusammenleben aller Völker und Religionen angeblich sichert, irgendwie glaubhaft zu machen. Die Ereignisse der letzten Wochen haben jedoch erneut gezeigt, daß wilder Rassismus und gewalttätig expansiver jüdischer Chauvinismus mit religiösem Fanatismus vermischt weder zu einer wirklichen Vereinigung noch zu einem friedlich gesicherten Zusammenleben der Bevölkerung führen können. Kolleks Befriedungsversuche durch Zusammenkünfte unter seinem Vorsitz zwi schen Gusch–Emunim–Leuten oder religiös–orthodoxen Siedlern und ihren palästinensischen Opfern in der Altstadt haben wenig Aussicht auf Erfolg, solange jüdische Pogromisten ganz anders behandelt werden als arabische sogenannte Terroristen. Jossi Sarib, ein Abgeordneter der Bürgerrechtspartei–Fraktion, hat in der Knesset gefordert, daß zuerst einmal die expansiven Jeschiwod aus der Altstadt entfernt werden müßten, wenn man eine friedliche Koexistenz tatsächlich anstrebt. Bei dem bestehenden Regime in einem Staat, in dem es noch keine Trennung von Staat und Religion gibt, ist Saribs Vorschlag reine Utopie. Amos Wollin
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