In Berlin vor dem 750. Geburtstag: Moderne Zeiten

■ Berliner Innovations– und Technologietage voller Erfolgsmeldungen / High–Tech Protagonisten blieben unter sich / Eröffnung bei Nixdorf - Grundsteinlegung bei DIAG - das ist auch keine Re–Industrialisierung / Brutstätte für Gründer erfolgreich / CDU–Modernisierung: Doppelstrategie für Marktführer und Marktneulinge

Aus Berlin Georgia Tornow

Berlin stand in der letzten Novemberwoche ganz im Zeichen wirtschaftspolitischer Erfolgsmeldungen. Medienwirksam war eine ganze Serie von Ereignissen mit Zukunftsorientierung in den Rahmen der „Berliner Innovations– und Technologietage“ vom 24. bis 29. November gezwängt worden. Als echtes Kontrastprogramm zu den ewigen bad news über Bestechungsskandale in der Verwaltung und die Bau & Bordell Connection der Berliner CDU–Prominenz gab es zum Thema Wirtschaftsentwicklung der Stadt good news satt. Nicht ungünstig dabei auch der Zeitpunkt. Die Berliner sind zwar direkt an den Bundestagswahlen im Januar nicht beteiligt, aber als Wahlkampfunterstützung für die Regierung sind die Modernisierungserfolge der gleichen Koalition in Berlin allemal zu gebrauchen. „In Berlin herrscht Aufbruchstimmung!“ Die Chronik der Ereignisse ist in der Tat beachtlich:Mit Pomp und Kanzler–Präsenz eröffnete die nach Siemens größte deutsche Computerfirma Nixdorf aus Paderborn ihr Berliner Zweigwerk. In der 300 Millionen Mark teuren supermodernen Fabrik, die auf einem Teil des traditionsreichen ehemaligen AEG–Geländes errichtet wurde, sind derzeit 2.000 Menschen beschäftigt. Es sollen einmal 6.000 Mitarbeiter werden, die hier Computer zusammenbauen. Die Nixdorf–Investition hat damit einen Effekt mit Seltenheitswert: Arbeitsplätze in Dimensionen zu schaffen, die an die gute alte Zeit der Industrieansiedlung erinnern. Das war dann neben den üblichen Subventionen schon einen besonderen Service wert, nämlich die Direktverbindung Berlin–Paderborn durch „Tempelhof Airways“. Am gleichen Tag wurde die Grundsteinlegung für ein neues Werk der zur bundeseigenen DIAG gehörenden Werner und Kolb Werkzeugmaschinen GmbH vorgenommen. Nach Jahren mit Verlustbilanzen, Belegschaftsabbau und Rationalisierung, geht es im Maschinenbaubereich der DIAG wieder aufwärts. Die eigenen Neuentwicklungen im Bereich der automatisierten Fertigung sind äußerst erfolgreich, die Geschäftsleitung erwartet bald „schwarze Zahlen“ und denkt an die Privatisierung des Staatsunternehmens. Schließlich gab es in diesem Jahr nach langer Zeit erstmalig 50 Neueinstellungen im alten Berliner Werk. In Anwesenheit des Bundespräsidenten und internationmaler Gäste wurde das Produktionstechnische Zentrum Berlin eingeweiht. Unter Leitung des als Automatisierungsfachmann und „Maschinenbaupapst“ international bekannten Professors der Technischen Universität Günter Spur sollen hier rund 400 Mitarbeiter „anwendungsbezogen“ an der „Fabrik der Zukunft“ arbeiten. Zu ungleichen Teilen wurde das sogenannte Doppelinstitut von der Technischen Universität (103,2 Mio. DM) und der Fraunhofer Gesellschaft (32,5 Mio. DM) finanziert. Durch Auftragsforschung kann die Hälfte der laufenden jährlichen Kosten von rund 20 Millionen Mark abgedeckt werden. Während Skeptiker unter den zur Einweihung geladenen Experten die Ausstattung für echte Forschungsarbeit im Versuchsfeld bemängelten und die riesige Rundhalle mit ihrem Maschinenpark zum „schönsten und modernsten Museum Berlins“ erklärten, besteht bei Großkunden wie Siemens, VW und Daimler kein Zweifel über die Effizienz der Einrichtung. In einer Hinsicht ist der futuristische Institutsneubau ganz sicher ein Denkmal: eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Industrie hat hier ihren Tempel erhalten. Zum dritten Mal fand mit der BIG–TECH eine Messe statt, die als „Markt für neue Technologien“ speziell kleinen Unternehmen und Existenzgründern im high–tech–Bereich Ausstellungs– und Kommunikationsmöglichkeiten bieten will. Ausgerichtet wird die Messe und eine Reihe be gleitender Workshops - in denen es dann auch ganz produktorientiert um „Elektronische Kommunikationshilfen für Behinderte“ und „Umwelttechnik“ geht - vom Berliner Innovations– und Gründerzentrum. Das BIG wurde 1983 als Gemeinschaftsprojekt von Senat und Technischer Universität eröffnet. Damit war es das erste von mittlerweile 40 deutschen Gründer– und Technologiezentren, Einrichtungen, in denen technologieorientierte Unternehmensgründungen durch Serviceleistungen und Marketingberatung unterstützt werden sollen. Der Prototyp BIG war so erfolgreich, daß auf dem Nachbargrundstück eine Zweigstelle entsteht und nun über die Privatisierung der Einrichtung diskutiert wird. Neben diesen „handfesten“ Ereignissen gab es eine Reihe von Tagungen, bei denen allerdings die jeweilige Szene fast immer unter sich blieb. Eine Ausnahm, bildet das „Produktionstechnische Kolloquium“, das sich traditionell um interdisziplinäre Beiträge bemüht, d.h. einen Gewerkschafter und den einen oder anderen Sozialwissenschaftler in den Kreis der arrivierten Ingenieure bittet. Auch wenn die Technologie–Woche mit viel Tamtam inszeniert wurde, es wäre falsch, all das nur als konservative Agitprop abzutun. Die Berliner Wirtschaftsstruktur hat sich verändert. Etliche Pleiten traditionsreicher Berliner Industriebetriebe, der Abbau von an die 350.000 Arbeitsplätzen seit dem Mauerbau und über 80.000 Arbeitslose heute sind Eckdaten hierfür. Der CDU als Partei des Regierenden Bürgermeisters ist es gelungen, diese Krise erfolgreich zu beerben. Bei ihrem Regierungsantritt 1981 hatten die Schrumpfungsprozesse faktisch ihre Sättigungsgrenze erreicht. Unbeeindruckt von einer ewig unzufriedenen Gewerkschaftsklientel konnten die Konservativen sich an die Umsetzung einer stromlinienförmigen Doppelstrategie machen: „Marktführer“ und „Marktneulinge“ sollten bei der Entwicklung und Produktion von „Zukunftstechnologien“ gefördert werden. Daß Berlin am Tropf hängt, war dabei ein geradezu günstiger Umstand. Während an anderen Stellen der Rotstift angesetzt wurde, gab es Mittel für die Ausstattung Berlins mit Standortvorteilen: das Subventionssystem wurde auf Förderung von hightech in allen Variationen ausgerichtet. Forschungseinrichtungen bei Kooperationen mit der Industrie großzügig ausgebaut und gestaffelte Beratungseinrichtungen für Klein– und Mittelunternehmen und Technologie–Transfer entstanden. Zu guter Letzt scheint auch die Insellage zum Pluspunkt zu werden. Die DDR im Sinn und das jeweilige Publikum im bedeutungsvollen Blick, verkündete Wirtschaftssenator Elmar Pieroth immer wieder: „Keine fünf Kilometer von hier liegt ein unendlicher Markt für neue Technologien!“ Entfernungsmäßig verschätzte er sich andauernd. Allerdings gehört auch noch etwas ganz Anderes zur Bilanz der Berliner Technologie–Woche: am vorausgehenden Wochenende wurde auf den Privatwagen des Prof. Spur ein Brandanschlag verübt und ein paar Tage später ein angeblicher, auf die Firma Nixdorf geplanter, Brandanschlag verhindert. Es ist gefährlich, die Fragen sozialer Innovation aus der Debatte über neue Technologien auszublenden. Und es ist fahrlässig, sich in diese Diskussion nicht einzumischen. Bei gesellschaftlichen Problemen ist von jedem Konflikt–Bereitschaft und Konflikt–Kultur gefordert.