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„Dem Arzt hilft nur noch ein Geständnis“

■ Im Prozeß gegen einen Mediziner, der Frauen in Narkose vergewaltigt haben soll, bricht die Strategie der Verteidigung zusammen / Gutachter können Dr. C. „als Täter nicht ausschließen“ / Ärztekammer schwieg trotz Informationen

Von Petra Bornhöft

Recklinghausen (taz) - „Eigentlich“ habe sie alles aus ihrem Kopf gestrichen, was im Juli vergangenen Jahres geschah, so Annette F.. Mit Verdacht auf Blasenentzündung war sie zum praktischen Arzt gegangen. Vor dem Ultraschallgerät bat Dr. Jan C. (58) die Patientin, tief durchzuatmen. „Dreimal holte ich Luft, während er mir eine Spritze gab, und dann weiß ich von nichts mehr.“ Leicht benebelt wachte die 28jährige eine Dreiviertelstunde später auf. Wegen einer furchtbaren Vermutung verließ sie die Praxis, fuhr sofort mit ihrem Mann zu einem Gynäkologen. Nach der Untersuchung schickte Dr. Arensmeyer Annette F. (Name geändert) in ein Krankenhaus, „um den ungeheuerlichen Befund bestätigen zu lassen“. Beide Mediziner sind überzeugt davon, daß „ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat“. Mit ihrer Anzeige bringt die Hausfrau und Mutter couragiert einen Skandal ins Rollen, der gegenwärtig nicht nur die Recklinghausener Strafkammer des Bochumer Landgerichts beschäftigt. In 47 Fällen habe der tschechische Arzt, so die Anklage, 25 Frauen ohne medizinische Notwendigkeit, ohne Einwilligung und ohne Vorkehrungen zur Wiederbelebung betäubt. Sechs Patientinnen sollen in diesem Zustand sexuell mißbraucht worden sein. Hartnäckig bestreitet Dr. C., von dessen Ausbildung keine Nachweise bekannt sind, die Vorwürfe und verteidigt seine eigenwillige Behandlungsmethode der „Narkoanalyse“ (vgl. taz vom 20.11.). Zwei Gynäkologen, ein Sachverständiger des Landeskriminalamtes und Prof. Dr. Brinkmann vom rechtsmedizinischen Institut der Uni Münster hatten in der Unterwäsche der Hauptbelastungszeugin und Nebenklägerin Annette F. „reichlich bis massenhaft Spermien“ festgestellt. Als Täter könne man Dr. C. nicht ausschließen. Er verfüge über ein nachgewiesenes Blutmerkmal, das, so Prof. Brinkmann, „nur drei Prozent der Bevölkerung haben“. Provozierend schloß Verteidiger Dr. Klaus Endemann daraus, daß „zigtausend andere Personen in Frage kommen“. Seine Verteidigungsstrategie: Dr. C. könne als Täter gar nicht in Betracht kommen, weil er sterilisiert sei. Der bekannte Androloge (Männerheilkundler) Prof. Dr. Karl Schirren von der Uni Ham burg bezweifelt indes nach zwei Untersuchungen den von Dr. C. behaupteten operativen Eingriff. Er stritt jedoch mit den Kollegen über „Quantität und Qualität der Samenfäden“, die „weniger“ und „unbeweglicher“ seien. Allerdings räumte Prof. Schirren ein, daß eine Manipulation des Patienten Dr. C. vor der Untersuchung durch Medikamente oder Chemikalien möglich und später nicht festzustellen sei. Prof. Schirren sieht die „Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr“ bei Dr. C. als „gegeben“ an - mithin auch die Fähigkeit zur Vergewaltigung. „Dem beschuldigten Arzt hilft nur noch ein Geständnis, das würde uns viele Verhandlungstage ersparen“, kommentiert Rechtsanwalt Volker Thorbrügge, Vertreter der Nebenklägerin, die Gutachten im Prozeß, dessen Ende sich bis Februar hinauszögern könnte. Unabhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens bahnt sich ein zweiter Skandal an, der möglicherweise auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen wird. Denn die Ärztekammer unternahm nichts gegen Dr. C., obwohl sie frühzeitig über die mutmaßlichen Vorgänge in der Praxis informiert war. Über ein halbes Jahr vor der Verhaftung von Dr. C. verständigte der Frauenarzt Dr. Arensmeyer den Sprecher der Ärzteschaft aus Oer–Erckenschwick, Dr. L. über seinen Verdacht. Dieser Kollege fand die Vermutung nach einem Gespräch mit dem Beschuldigten „ganz abwegig“, schilderte Dr. Arensmeyer dem Gericht. Im Juni, nachdem sich drei Patientinnen vertrauensvoll an den Gynäkologen gewandt hatten, informierte er die Ärztekammer des Kreises Recklinghausen. Mindestens vier Tage, bevor Annette F. vergewaltigt wurde, hatte der zuständige Verantwortliche in der Ärztekammer Kenntnis von dem ungeheuerlichen Verdacht. Er schwieg.

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