Das Herz Chatilas schlägt in den Bunkern

■ Seit zwei Wochen halten knapp 3.000 Bewohner des Beiruter Palästinenserlagers dem Dauerbombardement schiitischer Milizionäre stand / Per Telefon konnte taz–Mitarbeiter Joseph Kaz eine Verbindung zu den Eingeschlossenen herstellen

Beirut (taz) -Charif und Siham haben „Ja“ gesagt, mitten im Krieg. Der 23jährige palästinensische Feddayi und die junge Krankenschwester haben letzte Woche im belagerten Flüchtlingscamp Chatila geheiratet. In einem der Bunker hat der Sheikh des Camps die beiden vermählt, während die Wände unter den Geschossen schwerer Artillerie bebten. Seit nunmehr 13 Tagen liegt das Palästinenserlager am Südrand von Beirut unter einem wahren Hagel von Geschossen; seit 13 Tagen haben die Milizen der Schiitenbewegung Amal das Camp unter permanenten Beschuß genommen. Charif hat „Urlaub“ beantragt, 48 Stunden, um zu heiraten. Die Hochzeitsgesellschaft sang den beiden die traditionellen Hochzeitslieder, man tanzte Dabke, während Amal und die schiitischen Einheiten der libanesischen Armee die Nacht im Camp mit ihren Artillerie–Geschossen erhellten. Das Herz von Chatila, in dem noch die 3.000 Palästinenser Wi derstand leisten, ist seit dem 25. November vollständig von Panzern und schweren Kanonen der Schiitenbewegung eingekreist. Die Menschen in dem wenige hundert Quadratmeter großen Kessel haben ihr Leben unter der Erdoberfläche organisiert, Chatilas Herz schlägt in den Bunkern. „Wir sind von aller Welt abgeschnitten, unsere einzige Verbindung ist das Fernsehn. Wir sehen, wie es über unseren Köpfen aussieht, sehen auf dem Fernsehschirm, wie die Bomben auf unser Camp hageln, wir sehen, wie unsere Brüder Maghdouche (ein Dorf im Südlibanon, d.Red.) erobern. Und neulich haben wir eine Übertragung des libanesischen Fernsehns gesehen, ein Interview mit dem Alten, mit Yassir Arafat“, lautet die Botschaft eines Mannes, der per Telefon die Situation in Chatila schildert. „Die Bunker gleichen Bienenkörben: Für einige Stunden am Tag werden sie beleuchtet, wenn Generatoren den nötigen Strom liefern. Dann backen die Frauen Brot, das von unseren Jungen in die Frontstellungen gebracht wird. Die Frauen müssen die Kinder versorgen und die alten Leute.“ Die Menschen in Chatila wissen, was sie zu erwarten haben. Seit ihr Camp im ersten Lagerkrieg 1985 zu drei Vierteln zerstört wurde, haben sie Vorräte angelegt, haben Decken, Verbandsmaterial gehortet und Keller gebaut. Wann immer die Bombardements es zulassen, steigen sie aus den Bunkern und versuchen etwas frische Luft zu schnappen. Sie suchen die Wasserleitungen unter den Ruinen und füllen die Kanister. In seinem unterirdischen Hospital versorgt Dr. Giannou, ein Kanadier griechischer Abstammung die Schwerverletzten. Eine britische und eine französische OP–Schwester gehen dem Chirurgen zur Hand, der den Palästinensern in all ihren Kämpfen im Libanon während der letzten acht Jahre zur Seite gestanden hat. Fast ein Dutzend Mediziner hat Dr. Giannou auf den jetzigen Krieg vorbereitet und ausgebildet, dennoch steht das Team angesichts von 60 Schwerverletzten kurz vor dem Zusammenbruch. „Chatila wird jetzt seit 19 Monaten permanent belagert, seit der ersten Runde im Lagerkrieg, im Mai/Juni 1985, aber lieber sterben wir jetzt mit der Waffe in der Hand, als daß wir uns den Amal– Leuten ergeben und an ihren Checkpoints am Rande des Lagers abgeknallt werden, lieber sterben wir in Ehre“, lautet die verzweifelte Botschaft aus dem Herzen Chatilas. „Wir wissen, daß unsere Schlacht verloren ist, aber wir werden bis zum Ende kämpfen“, sagt Ali Abu–Tok, der für Chatila verantwortliche Mann von Yassir Arafats Organisation Al Fatah. Und wieder Ali Abu–Tok: „Wir sind zu allem entschlossen. Wir sind ungeduldig, die Leute von Amal sollen sich endlich dem Kampf stellen. Und wenn Amal uns in diesen Ruinen begraben will, dann hoffen wir, daß endlich unsere Brüder zum Palästinensichen Nationalrat (dem „Exilparlament“, d.Red.) in Algier zusammenfinden, daß die zerstrittenen Organisationen wieder vereint werden. Hier stehen wir zusammen, und niemand hat eine Alternative: Siegen oder Sterben.“ Seit dem 25. November haben die Palästinenser in Chatila 34 Tote zu beklagen, 660 Menschen wurden nach Angaben aus dem Hospital verletzt, und, so sagt Dr. Giannou: „Vor vier Tagen wurde im Bunker ein Kind geboren.“