Tagesaufgabe der PLO im Lagerkrieg: Die Einheit

■ Die dritte, blutigste Runde im Krieg zwischen der PLO und der schiitischen Amal reflektiert auch den innerlibanesischen Konflikt / Zu den Hintergründen der Lagerkriege im Libanon sprach Thomas Reuter mit Bassam Abu Sharif, Sprecher der Volksfront zur Befreiung Palästinas Seit dem Frühjahr 1985, als die schiitische Amal-Bewegung die Machtprobe mit verschiedenen sunnitischen Gruppen in West-Beirut für sich entscheiden konnte, ist sie neben der christlich-maronitischen Miliz die stärkste Kraft unter de Bürgegsparteien des Libanon. Im Sommer letzten Jahres zerschlugen die Amal-Milizionäre die militärischen Einheiten der nasseristischen – vorwiegend sunnitischen – Morabitoun und festigten damit ihren Einfluß in West-Beirut und den gemischt-konfessionellen Gebieten des Süd-Libanon. Der Einflußbereich der „Progressiven Sozialistischen Partei“ des Drusen-Führers Walid Jumblat bezieht sich auf einen geographisch recht präzise angebbaren Raum, das drusische Siedlungsgebiet süd-östlich von Beirut. Daher ind diersnen kalkulierbarer Faktor im Machtspiel der Amal-Politik. Unberechenbar jedoch bleiben die Palästinenser, deren Lager über den Libanon verteilt sind und die sich konsequent weigern, ihre Waffen niederzulegen und die Rolle des ohnmächtigen armen Mannes zu spielen, um Versatzstück im libanesischen Puzzle zu werden. Die in den letzten zwei Jahren wiederholt eskalierenden Lagerkriege zwischen den Palästinensern und der Amal-Bewegung markieren diesen Konflikt.

taz: Warum bekämpfen sich die ehemaligen Verbündeten Amal und PLO in immer neuen blutigen Runden?

Abu Sharif: Der Konflikt zwischen Amal und der PLO ist nur ein Aspekt des ganzen Nah-Ost-Problems. Nach der israelischen Libanon-Invasion von 1982 geriet die amerikanische und israelische Politik in bezug auf den Libanon in eine Krise.

Der Versuch, eine starke, Israel hörige reaktionäre Regierung unter Führung der Maroniten zu schaffen, scheiterte. Sichtbarer Ausdruck dieser Niederlage war die Aufhebung des israelisch-libanesischen Friedensvertrags vom 17.5.83, der nichts als eine Unterwerfungsgeste gegenüber dem Zionismus war. Patriotische libanesische und palästinensische Kräfte haben den Vertrag zu Fall gebracht.

Syrien unterstützte diese Politik aufgrund der Einschätzung, daß eine Neuverteilung der Macht, die Schwächung der maronitischen Hausmacht, den syrischen Einfluß im Libanon stärkt und vor allem das Libanon-Problem vom übrigen Nah-Ost-Problem abtrennt. Gegen diese Libanisierung, die Ausgrenzung der libanesischen Frage aus dem Kontext des Palästina-Problems, steht die palästinensische Revolution, deren Interesse die Fortführung des Kampfes gegen den Zionismus ist.

Eine Neuverteilung der Macht unter den verschiedenen Konfessionen im Libanon hat eben nichts mit einer Lösung des Nah-Ost- Problems zu tun, in dessen Mittelpunkt die Palästina-Frage steht.

Syrien verliert an Einfluß

Treibt also Syrien die Amal-Bewegung gegen die Palästinenser?

Syrien versucht in erster Linie, die politische Lage in seinem Sinn zu stabilisieren. Mit dem abtrünnigen Phalangisten Hobeika, der Amal-Bewegung und der drusischen PSP sollte ein pro-syrisches Machtzentrum geschaffen werden. Diese Versuche sind im Sommer gescheitert. Ein Beweis, daß Syrien an Einfluß verloren hat. Stattdessen hat es Kontakte zwischen den klerikalen Führern der Maroniten und der Schiiten gegeben, die an Syrien vorbei einen Dialog führen wollen. Diese Kräfte wollen ihren Frieden mit Israel machen und fürchten die zionistische Intervention im Libanon gegen die palästinensische Revolution und die patriotischen libanesischen Kräfte. Die jetzige Amal-Führung sieht sich daher einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt: Der Konkurrenz des schiitischen Klerus um den Einfluß auf die schiitischen Massen und dem Widerstand der Palästinenser.

Bisher sind Vermittlungsversuche gescheitert. Werden die PLO- Kämpfer in den Lagern aushalten?

Wir werden in jedem Fall alles daran setzen, unser Volk in den Lagern zu verteidigen. Es ist ein unsinniger Krieg, weil Amal niemals durchsetzen wird, daß wir unsere Waffen niederlegen.

Wird Israel versuchen, ein Bündnis mit den libanesischen Schiiten einzugehen?

Die israelische Taktik in bezug auf den Libanon hat sich tatsächlich verändert. Obwohl die Zionisten immer noch den Strohmann Lahad, Chef der sogenannten „Süd-libanesischen Befreiungsarmee“, aushalten, setzen sie nach dem Scheitern des Vertrags vom 17.5.83 nicht mehr hauptsächlich auf die Phalange. Die ständigen Terror-Angriffe der israelischen Marine und Luftwaffe, die nunmehr schon bis in den Norden Libanons reichen, haben eben auch das Ziel, die Bevölkerung gegen die Präsenz der palästinensischen Revolution aufzubringen. Am meisten Erfolg haben sie damit bei der schiitischen Bevölkerung des Südens. Dennoch: Die patriotischen libanesischen und palästinensischen Kräfte werden wider stehen. Unsere Entschlossenheit und Ausdauer wird dieses Kalkül scheitern lassen. Daran muß auch die Amal-Führung scheitern. Es scheint so, als wenn der Befehlshaber der Amal-Milizen im Süden, Daoud Daoud, gegen die Absichtserklärungen der Beiruter Amal-Führung für eine Beilegung des Konflikts, den Krieg mit uns hartnäckig fortsetzt.

Wie verhalten sich die anderen libanesischen Parteien gegenüber Amal?

Man darf nicht vergessen, daß die Verhältnisse zwischen den verschiedenen libanesischen Kräften nicht stabil sind. Es gibt aber niemanden, der für sich allein stark genug ist, alle anderen zu unterwerfen. Außerdem zwingt die tiefe ökonomische Krise alle Beteiligten, nach Lösungen zu suchen. Man hat sich darauf geeinigt, sich einigen zu wollen. Das wichtigste Mittel dazu ist, einen Dialog zu beginnen über die Präsidentschaftswahl. Diese Wahl soll nun im Winter stattfinden. Das heißt, daß alle großen und kleinen Gruppen, ob traditionelle Par teien, der Klerus, Milizen oder Clans, hervortreten und ihre Position und Macht neu abstecken müssen.

Keine Front gegen PLO

Die Widersprüche unter den einzelnen Gruppen werden im Hinblick auf die näherrückende Präsidentschaftswahl schärfer werden. In diesem Kontext wird es keine gemeinsame Front aller Libanesen gegen die palästinensische Revolution geben. Darum wird Amal auch keine Unterstützung gegen die PLO bekommen, obwohl genügend andere Kräfte vielleicht eine ähnliche Position einnehmen wie Amal.

Nach der Wahl des Staatspräsidenten müßte sich die Lage dann innenpolitisch stabilisieren.

Ja, sobald die neuen Verhältnisse unter den Machtblöcken ihren politischen Ausdruck gefunden haben, vermindert das den gegenseitigen Druck; vertieft aber auch die konfessionelle Spaltung des Libanon, die Kantonisierung.

Wie werden sich die Palästinenser dazu verhalten?

Für uns geht es nur um die Erhaltung der Möglichkeit, den Kampf gegen den Zionismus fortzusetzen. Und zwar mit den nationalen libanesischen Kräften. Das ist ein ganz klares Prinzip.

Gilt das für alle Organisationen innerhalb der PLO?

Ja, auf der Ebene der Lagerkriege im Libanon haben wir die nationale palästinensische Einheit wiederhergestellt.

„Marshall“-Plan wird scheitern

Das heißt nicht, daß alle Gefahren von der Revolution abgewendet sind. Wir sehen uns einer starken drohenden Gefahr ausgesetzt: Das ist, was ich die strukturelle Teilung oder die Spaltung der Aufgaben nenne. Die Aufgaben nämlich, die bei der Organisierung und Stabilisierung eines vertriebenen Volkes notwendig sind. Der Zionismus und Imperialismus planen eine Alternative zur revolutionären, organisierenden Kraft des palästinensischen Volkes, der PLO. Mit der finanziellen und politischen Hilfe der USA und einiger reaktionärer arabischer Staaten versuchen König Hussein von Jordanien und die zionistische Führung, eine neue politische Vertretung der Palästinenser zu schaffen. Der ominöse Fünf-Jahres- Plan, der mit Milliarden Dollar finanziert werden soll, ist als Hebel gedacht, um zunächst durch jordanische Vermittlung ökonomische und administrative Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensern in den besetzten Gebieten herzustellen. Bis heute unterdrücken die Zionisten ja alle ökonomischen Aktivitäten. Dann soll aus dieser neuen Bourgeoisie von Reagans Gnaden eine politische Elite gebildet werden, die bereit ist, mit Israel zu kooperieren. Die Lakaien König Husseins, die heute gelegentlich von der Besatzungsmacht als Bürgermeister etc. eingesetzt werden, können diese Funktion nicht übernehmen. Theoretisch kann man natürlich durch die Zufuhr großer Finanzmittel in eine relativ kleine Gesellschaft soziale Veränderungen bewirken. Für die Westbank bedeutete dies aber nur die Verschärfung der Abhängigkeit und die doppelte Unterwerfung unter das feudale Regime Jordaniens und den auch ökonomisch aggressiven Zionismus, der so die immmensen arabischen Märkte erschließen will. Schon gar nicht wäre die Frage der palästinensischen Massen im Exil gelöst. Wir werden nicht in diese Falle treten.

Welchen Stellenwert hat in dieser Beziehung der Koordinationsvertrag zwischen Jassir Arafat und König Hussein?

Der Vertrag von Amman war vorab schon wertlos. Wir fordern von der Fatah-Führung, den Vertrag klar und eindeutig als null und nichtig zu erklären. Nicht nur, daß er nicht mehr erfüllt wird. Der Vertrag muß zurückgenommen werden. Er ist Ausdruck der Träume der palästinensischen Rechten, daß die US-amerikanischen Pläne für den Nahen Osten zu irgend etwas taugen. Die reaktionären arabischen Regimes versuchen, die palästinensische Rechte in diese Pläne einzubeziehen. Das sind gefährliche Illusionen. Aber es gibt auch andere Regimes, z.B. Syrien, die versuchen, die Politik der PLO zu dominieren. Auch das ist Zerstörung. Wir haben oft bewiesen, daß wir uns dagegen wehren können. Und wir werden zeigen, daß wir auch die wichtigste Tagesaufgabe lösen können, die Rückkehr zur Einheit.