: Keine „Stadt des Friedens“
■ In Jerusalems Ostteil besuchten dreißig Jüdinnen und Araberinnen die Stätten antiarabischer Pogrome
Von Rayna Moss
Jerusalem (taz) -Aus den Schutthalden steigt noch Gestank von Qualm und Unrat. Zwei Wochen nach dem Ausbruch rassistischen Terrors im arabischen Teil Jerusalems tragen die Straßen und Häuser noch die Spuren der Brandsätze und Plünderungen. Wir streifen im Vorbeigehen einen Torbogen und bemerken zu spät, daß die Schwärze der Mauern nicht Farbe ist. Öliger Ruß beschmiert unsere Mäntel. Wir sind dreißig Frauen aus Israel, Jüdinnen und Araberinnen, und besuchen Jerusalem, um unsere Solidarität mit den Opfern der Anschläge zu bekunden, die in unseren Augen die Taten von Faschisten sind. Weil es sonst niemand tut, wollen wir Informationen über die Situation hier sammeln und in Israel und im Ausland veröffentlichen. Doch wir sind gezwungen, unseren Besuch fast unter Bedingungen von Untergrundarbeit zu organisieren. Denn Poli zei und Militär, die sich auf die Seite der Rassisten gestellt haben, werden versuchen, uns aufzuhalten. Erst am Morgen der Abfahrt erfahren wir wohin unsere „Reise“ geht. Bei unserer Ankunft treffen wir auf Frauen aus allen Teilen des Landes und teilen uns in kleine Gruppen auf. Auf dem Weg wird der Grund unserer Befürchtungen deutlich: Die Straßen sind voll von Soldaten und Polizisten, jeder schwer bewaffnet mit Gewehr, Knüppel und Gas–Granaten. Kaum bemerken sie uns, greift schon jemand hastig zum Funksprech–Gerät und meldet unsere Ankunft dem Hauptquartier. Im Hof eines Hauses, das offenbar Ziel eines Brand–Anschlags war, machen wir halt. Eine junge Frau hört uns an, ruft den Nachbarn zu, daß alle herkommen sollen, denn hier seien Leute, die von den Ereignissen der letzten Wochen hören wollen. Die Nachbarn berichten, daß die Angriffe gegen sie nicht erst vor zwei Wochen be gannen, nachdem ein orthodoxer jüdischer Siedler von Palästinensern in diesem Viertel niedergestochen wurde. Seit einigen Jahren schon mehren sich die Angriffe, seit nämlich die orthodoxen Religionsschulen, die „yeshivot“, hier eindringen und Häuser besetzen. Die Leute sprechen von Drohungen, Steinwürfen, Schlägereien, Anzünden der Wohnungen und Läden. Man bewirft sie mit Urin und Scheiße, beschimpft sie und stört ihre Nachtruhe. Kinder werden belästigt und bedroht, verschlossene Wohnungen illegal besetzt. Die arabischen Bewohner sollen es vorziehen, ihre uralten Häuser zu verlassen. Seit Jahren hören sie diese Parolen der Rassisten. Die Familien in diesem kleinen Hinterhof im Zentrum der Altstadt erinnern sich mit Schrecken an das Schicksal der Fatma Abu Miala. Vor zwei Jahren war sie von „yeshiva“–Studenten auf der Straße zu Tode geprügelt worden. Niemand wurde jemals verhaftet oder angeklagt. Aber kurz nach ihrem Tod zogen die Studenten in ihre Wohnung ein. 37 geplünderte arabische Läden zählen wir auf unserem Rundgang, dutzende von abgebrannten Autos, überall Brandspuren an den Fassaden der Häuser. Die Polizei hatte kaum eingegriffen als die Schlägertrupps durch die Stadt zogen. Als die Polizei gefragt wurde, warum die Plünderungen als legale Demonstration erlaubt worden waren, sagte ihr Sprecher, daß es eine „religiöse Prozession“ gewesen sei, die keine polizeiliche Erlaubnis erfordere! Auf dem Rückweg treffen wir auf eine Gruppe von Frauen, die gerade von einer Protestveranstaltung in einer kleinen lokalen Moschee kommen. Sie lächeln uns an und heben ihre Hände mit dem Siegeszeichen „V“. Den umstehenden Soldaten bleiben die Münder offen stehen beim Anblick arabischer und jüdischer Frauen, die zusammenhalten und denen ganz offenbar keine Furcht ins Herz gesetzt wurde.
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